Der große Irrtum von US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003: Auf der USS Lincoln verkünden die USA "Mission accomplished" im Irak.
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Zwanzig Jahre später nennt man es eher "die erste Phase des Kriegs", was am 19. März 2003 mit US-Luftangriffen auf eine Farm bei Bagdad begann und am Tag danach mit einer US-geführten Offensive vom Südirak her auf den Boden gebracht wurde. Es ging rasch. Am 7. April übernahmen US-Truppen die Kontrolle über die irakische Hauptstadt, die Statuen Saddam Husseins fielen.

Am 1. Mai verkündete US-Präsident George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Lincoln "Mission accomplished" und den Beginn von Wiederaufbau und Stabilisierung. Im Sommer – spätestens mit dem Bombenattentat auf die Uno in Bagdad – war die Illusion, dass der Irak befriedet sei, vorbei. Nichts war "accomplished". Keines der US-Kriegsziele war erreicht worden.

Der Aufstieg Teherans

Müsste man die eine große Konsequenz von 2003 nennen, so ist es der Aufstieg Teherans zur Regionalmacht, inklusive industriellen Urananreicherungsprogramms. Mit allen Verwerfungen.

Der im April untergetauchte irakische Diktator, dem der Erstschlag gegolten hatte, wurde erst im Dezember gefasst und drei Jahre später auf Befehl der irakischen Regierung hingerichtet, nach einem Prozess, der nur eines der vielen Regimeverbrechen abgedeckt hatte. Unter seinem Galgen johlten schiitische Extremisten. Da war der sunnitisch-schiitische Bürgerkrieg bereits in vollem Gange.

Alte Regimekräfte und sunnitische Jihadisten hatten sich im Kampf gegen die "Besatzer" und die neue irakische politische Elite zusammengefunden, die die USA vor allem in den von Saddam verfolgten religiösen Schiiten sahen.

Völkerrechtswidriger Einmarsch

Die US-geführte Koalition war tatsächlich ohne Uno-Mandat, also völkerrechtswidrig, im Irak einmarschiert: Als wichtigster Kriegsgrund wurden Saddams Massenvernichtungswaffen – die es tatsächlich gegeben hatte, bis 1991 – angeführt. Im Mai 2003 bekamen die Eroberer jedoch mangels anderer Alternativen von der Uno den Auftrag, die politische Transition zu managen.

Der Irak hält seit 2005 regelmäßig Wahlen ab, trotz des Bürgerkriegs 2006 bis 2008 und obwohl nach 2014 Teile des Landes jahrelang vom "Islamischen Staat" kontrolliert wurden. Gut ist deswegen noch gar nichts. In einem Artikel für die Century Foundation in Washington zum 20. Jahrestag des Kriegsbeginns nennt der renommierte irakische Politikexperte Sajad Jiyad den Irak eine "Frankenstein-Demokratie: stark deformiert, brutal und kaum zu gestalten". Er schreibt nüchtern: "Der Irak ist eine dysfunktionale Kleptokratie, in der ich leben kann. Zuvor war er eine Autokratie, wo ich nicht einmal hinfahren konnte."

Iran in Schach halten

Die US-geführte Invasion im Irak vor zwanzig Jahren wurde zum Einschnitt in der Region und darüber hinaus. Im Nahen Osten gibt es ein Davor und ein Danach, viele der späteren Entwicklungen nahmen damit ihren Ausgang. Die Machtverhältnisse wurden neu geordnet – allerdings anders, als sich das die Befürworter des Kriegs vorgestellt hatten. Er bedeutete das Ende von Washingtons Politik der "doppelten Eindämmung" von Irak und Iran. Genau sie war nach dem Golfkrieg 1991 für US-Präsident George H. W. Bush – den Vater – eines der Motive gewesen, Saddam Hussein an der Macht zu belassen.

Anders formuliert: Als die USA 2003 den Diktator stürzten, befreiten sie nicht nur die irakische Bevölkerung, sondern auch den Nachbarn, die Islamische Republik Iran.

Starker Einfluss

Je schwächer die USA im Irak wurden, desto stärker wurde dort der iranische Einfluss – und desto mehr radikalisierten sich sunnitische jihadistische Ränder. Das war 2006 so, als sich manche sunnitische Stämme dem Kampf von Al-Kaida – die es vor dem Krieg nur im kurdischen Nordirak gegeben hatte – anschlossen. Das war 2014 so, als ein Teil der Bevölkerung im sunnitischen Westirak die Mörderbande des "Islamischen Staats" (IS) als authentische islamische Kraft sehen wollte, die sie von der "schiitischen" Fremdherrschaft befreien sollte.

Die Jahre dauernde Schlacht gegen den IS, unter anderem um Mossul, führte wiederum zur Profilierung der direkt von Teheran aus geführten und teilweise sehr radikalen schiitischen Milizen. Der iranische Revolutionsgardengeneral Ghassem Soleimani, später (Jänner 2020) durch einen US-Luftangriff am Flughafen Bagdad getötet, stieg zum strahlenden Schutzherrn der Schiiten und ihrer Verbündeten in der ganzen Region auf.

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Irak, Libanon, Syrien, Jemen

Die Iran-loyalen irakischen Schiitenmilizen wurden bei den Parlamentswahlen 2018 zur zweitstärksten Kraft. Zwar haben sie seitdem an Ansehen wieder eingebüßt: Aber aus den Klauen lässt Teheran den Irak nicht mehr. Wie das Mullah-Regime auch in anderen arabischen Staaten via Stellvertretergruppen politisch mitmischt: im Libanon, im Jemen und in Syrien, wo sich das Assad-Regime nach Ausbruch des Aufstands 2011 auf die iranische Unterstützung verlassen konnte.

Gerade in Syrien sahen sunnitische islamische Gruppen nach 2011 die Chance, sich nach – wie sie es sahen – dem Verlust des Irak für die arabisch-sunnitische Welt wieder etwas zurückzuholen. Das bedeutete, dass sie einen demokratisch motivierten Aufstand zum Religionskrieg gegen "die Schiiten" und das alawitischstämmige Assad-Regime umdeuteten, um damit mehr Unterstützung zu lukrieren. In der unter türkischem Schutz stehenden syrischen Provinz Idlib hat heute eine der Al-Kaida zuzurechnende Gruppe, die HTS (Hay’at Tahrir al-Sham), noch immer das Sagen.

US-freundliche Führung

Die Welt scheint sich daran gewöhnt zu haben, zwölf Jahre nach dem Tod von Osama bin Laden. Die Idee, das Saddam-Regime zu stürzen und eine US-freundliche Führung in Bagdad zu kreieren, hatte in den ersten Tagen nach den Al-Kaida-Angriffen auf die USA am 11. September 2001 Gestalt angenommen.

Dahinter stand die Sorge vor einer Destabilisierung Saudi-Arabiens, woher die Mehrzahl der Täter ja stammte. Die Erfahrung, dass ein wichtiger strategischer Verbündeter – und Ölproduzent – schnell wegfallen konnte, hatte Washington schon einmal gemacht: als die Revolution 1979 in Teheran den Schah stürzte und die Mullahs danach die gesamte Macht an sich rissen.

Saddam sollte nicht der letzte republikanische arabische Autokrat bleiben, der fiel: Als zu Beginn des Jahres 2011 der damals so genannte Arabische Frühling ausbrach, hefteten sich die Irak-Kriegsfalken in den USA den vermeintlichen späten Triumph, die Ausbreitung des demokratischen Gedankens in der Region, gerne auf die Fahnen.

"Der Irak ist eine Frankenstein-Demokratie: stark deformiert, brutal und kaum zu gestalten."

Sajad Jiyad

Revolution und Reaktion

Auch diese Freude hielt nicht lange, als vor allem die Muslimbrüder in Ägypten die Wahlen gewannen und aus diesem Dunstkreis kommende Gruppen in Libyen, dem Jemen, aber auch in Tunesien profitierten, wo der demokratische Prozess am längsten überlebte. Der autokratische Backlash ließ dort, wo nicht gleich Kriege ausbrachen wie in Syrien, im Jemen und in Libyen, nicht lange auf sich warten. In den konservativen Golfmonarchien schrillten die Alarmglocken. Auf der einen Seite der Iran, auf der anderen Muslimbrüder: ein neues, proaktives Politikzeitalter, mit einer neuen Führungsschicht, brach für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an.

Die Lektion von 2011 hätte der Westen, wenn nicht der Wunsch Vater des Gedankens gewesen wäre, schon aus dem Irak ziehen können: dass das Ende der Sowjetunion und ihrer Satellitenregime nicht automatisch den weltweiten Sieg des "besten Modells", der liberalen Demokratie, bringen würde. Man nehme Institutionen, befülle sie mit Wahlen, lasse eine neue Verfassung schreiben, gebe den Menschen eine freie Marktwirtschaft, auf dass sie ihre Kreativität im Business entfalten: Allein es funktioniert nicht. Inzwischen wissen wir, dass auch in den westlichen Demokratien der Fall eintreten kann, dass die bei Wahlen Unterlegenen das Ergebnis nicht akzeptieren – und sogar vor Gewalt nicht zurückschrecken.

Der gespaltene Westen

"Der Westen" ging aus 2003 mit starken Blessuren hervor: mit einer tiefen Spaltung, auch innerhalb der Nato, wo die USA, Großbritannien, anfangs auch Italien, Spanien und andere europäische Staaten auf eine Legitimation durch den Uno-Sicherheitsrat pfiffen und wiederum andere – Frankreich und Deutschland – gegen diesen Krieg waren.

Es war in den USA die Zeit der Umbenennung der French Fries in "Freedom Fries" und anderer Lächerlichkeiten, die der existenzgefährdenden transatlantischen Spaltung eine folkloristische Note gaben. In der im Bürgerkrieg versinkenden irakischen Hauptstadt verbunkerten sich die kriegsbeteiligten Staaten in ihren zu Botschaften und Residenzen umgewidmeten Regimegebäuden in der damaligen "Grünen Zone", während die anderen draußen blieben. Die USA saßen, bevor sie die größte Botschaft der Welt bauten, in einem absurden Saddam-Palast, möglichst abgeschirmt von Al-Kaida-Angriffen – und von den primitiven Raketen der radikalen schiitischen Gruppen getroffen.

Anfang April 2003 fallen im Irak die Statuen Saddam Husseins. Im Untergrund formiert sich der Widerstand gegen die "Besatzer" und gegen die neue politische Elite in Bagdad.
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London driftet ab

Europa hatte die Spaltung besonders schlimm erwischt. Osteuropäpische Staaten, die sich im EU-Beitrittsprozess befanden, traten Bushs "Koalition der Willigen" bei: Die neuen EU-Länder schauten nach Washington, nicht nach Brüssel. Großbritannien, dessen Premier Tony Blair zu einem besonders willigen Gefolgsmann Bushs wurde und den USA jede Massenvernichtungswaffenstory abkaufte, traf eine nachhaltige strategische Entscheidung für die USA.

Der "war on terror" leitete aber vor allem Entwicklungen in der Region ein. Direkt mit dem Irakkrieg könnte man den Sturz des libyschen Regimes von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 in Verbindung bringen: Gaddafi gab, abgeschreckt durch das irakische Beispiel, nach 2003 sein Atomwaffenprogramm und seine Chemiewaffen auf. Vielleicht wäre das Gaddafi-Regime sonst heute noch am Ruder – vielleicht kehrt ja aber auch Gaddafi-Sohn Saif al-Islam auf dem Weg von Präsidentschaftswahlen an die libysche Staatsspitze zurück.

Zwanzig Jahre später

Auch der jemenitische Langzeitpräsident und Saddam-Freund Ali Abdullah Saleh bekam es mit der Angst zu tun und schloss sich dem US-Antiterrorkrieg an. Das löste 2004 den ersten Aufstand der vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen aus. Seit nunmehr neun Jahren kontrollieren sie die jemenitische Hauptstadt Sanaa. Vor acht Jahren, im März 2015, standen sie vor der südjemenitischen Hafenmetropole Aden – was die saudisch geführte militärische Intervention im Jemen zur Folge hatte. Iranische Stellvertreter konnten sie am Golf von Aden nicht dulden.Heute wollen die Saudis, die damals an einen kurzen Krieg glaubten, dringend aus dem Jemen-Sumpf heraus.

Und zwanzig Jahre nachdem die USA "den Irak dem Iran auf dem Silbertablett servierten", wie es oft heißt, haben nun Riad und Teheran unter Vermittlung Chinas – das 2003 in der Region noch weitgehend abwesend war – die Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen beschlossen. Ob damit die israelische Ambition, eine arabisch-israelische Koalition gegen den Iran aufzubauen, vom Tisch ist, bleibt noch zu sehen: Keine der Seiten wird ihre Vorbereitung auf eine neue militärische Auseinandersetzung in der Region aufgeben. (Gudrun Harrer, 19.3.2023)