Eine Brille trägt er seit seinem Studium. Einblick in Geschäfte mit Brillen erhielt er schon als Kind. Seit mehr als drei Jahren setzt Michael Schmied die Tradition der Brillenproduktion in Linz fort.

Michael Schmied: "Die Großmutterhat immer gesagt: Schauts, dass unabhängig bleibts. Auch von Banken."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wir leben länger, sehen aber immer schlechter. Handys, Tablets und Laptops fördern die Kurzsichtigkeit junger Menschen. Sind das gute Aussichten für Brillenhersteller?

Schmied: Der globale Brillenmarkt soll sich bis 2030 auf 230 Milliarden Dollar verdoppeln. Für uns sind das aber keine relevanten Messgrößen, da wir im Premiumbereich arbeiten.

STANDARD: Studien zufolge soll bis 2050 die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein. Klingt beängstigend.

Schmied: Es gibt hier auch genetische Faktoren: In Asien ist Kurzsichtigkeit weiter verbreitet als in Europa. Stark gewachsen ist jedoch auch der Sportbrillenmarkt. Bei der Tour de France etwa, in der Nachkriegszeit, hat noch kein einziger Radfahrer eine Brille getragen. Und wir alle haben gelernt, dass Sonnenschutz nicht nur für die Haut wichtig ist.

STANDARD: Der Sehbehelf als Nasenfahrrad ist Geschichte, er wurde Accessoire und Wegwerfprodukt. Wie kurzlebig sind Brillenkollektionen?

Schmied: Unsere größten Mitbewerber produzieren in Asien. Es wird dort oft nur eine einzige Charge erzeugt – bei bis zu sechs Kollektionen im Jahr. Wir ticken anders. Natürlich muss man den Zeitgeist widerspiegeln. Wir streben aber Lebenszyklen von mehreren Jahren an.

STANDARD: Hat die Corona-Krise Geschäfte mit Brillen verändert?

Schmied: Unser Glück in dieser Zeit war, dass die Brille ein notwendiges medizinisches Produkt ist. Dass der Blaulichtschutz durch stärkere Bildschirmarbeit auch für Nicht-Brillenträger weiter an Bedeutung gewonnen hat. Und dass das Gesicht während der Lockdowns wichtiger wurde. Mode hat gelitten – das Gesicht jedoch wurde in Videokonferenzen mehr denn je zur Visitenkarte.

STANDARD: Brillenträger gelten als intelligent. Ist da was Wahres dran?

Schmied: Studien zeigen, dass man mit randlosen Brillen sogar noch intelligenter wirkt, weil man dadurch offener erscheint. (lacht) Aber dass an dieser Wahrnehmung was dran ist, das würde ich nicht unterschreiben.

STANDARD: Silhouette hat sich von den Lockdowns rasch erholt?

Schmied: Umsatz und Ergebnis sind in dieser Zeit eingebrochen. In Summe kamen wir aber sehr gut durch die Krise. Unser Vorteil war, in Österreich, in Europa zu produzieren. Da wir so vieles selbst machen, hatten wir auch keine Lieferprobleme.

STANDARD: Mussten Sie Arbeitsplätze infolge der Pandemie abbauen?

Schmied: Wir hatten Kurzarbeit. Wir haben aufgrund der Krise aber niemanden entlassen.

Silhouette wurde von beiden Großeltern gegründet, erzählt Michael Schmied. "Von Tag eins an herrschte unter ihnen völlige Gleichberechtigung."
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STANDARD: Viele Österreicher arbeiten nach wie vor lieber im Homeoffice. Gelingt es Ihnen, Ihre Angestellten zurück ins Büro zu holen?

Schmied: Wir haben eine neue Regelung, die in der Woche zwei Tage Homeoffice ermöglicht. Diese Balance braucht es, denn es ist ja auch sozialer Austausch erwünscht.

STANDARD: Wie erleben Sie die Suche nach neuen Mitarbeitern?

Schmied: Recruiting wurde schwieriger, die Mobilität der Arbeitnehmer ist gesunken. Man muss als Arbeitgeber noch stärker herausstreichen, was man so alles bietet. Und wir nehmen die Ausbildung unserer Lehrlinge weiterhin sehr ernst.

STANDARD: Wollen immer mehr Ihrer Leute lieber Teilzeit arbeiten?

Schmied: Wenn Beschäftigte mit sehr viel Know-how Arbeitszeit reduzieren, ist es herausfordernd. Wir finden aber meistens für beide Seiten gute Lösungen. Es waren ja auch immer Karenzen für Männer wie für Frauen bei uns möglich. Silhouette wurde von meinen Großeltern gegründet. Von Tag eins an herrschte unter ihnen völlige Gleichberechtigung. Und seit damals gab es bei uns auch nie Unterschiede in der Bezahlung zwischen Frau und Mann.

STANDARD: In der Produktion haben Sie jüngst die Akkordarbeit beendet. War diese nicht mehr zeitgemäß?

Schmied: Wir waren einer der letzten verbliebenen Akkordarbeitbetriebe in Österreich. Und dieses singuläre Arbeiten war tatsächlich nicht mehr zeitgemäß. Wir arbeiten heute in Teams. Das setzt sich von der Produktion bis ins Office durch.

STANDARD: Das Gros der Brillen produziert China. Hat Ihre Familie nie mit der Idee gespielt, Kapazitäten aus Österreich und Tschechien zu verlagern?

Schmied: Nein, wir fühlen uns dem Standort verpflichtet. Für Konsumenten macht es zunehmend einen Unterschied, woher Produkte kommen, unter welchen sozialen Bedingungen und unter welchen UmweltStandards sie gefertigt wurden.

STANDARD: In einer Brille stecken 260 Arbeitsschritte. Was gefährdet die Konkurrenzfähigkeit österreichischer Produktionen, abgesehen von der aktuellen Krise der Energiemärkte?

Schmied: Problematisch ist, wenn Lohnkosten in Europa stärker steigen als jene im nichteuropäischen Ausland. Aber auch bei den Umwelt- und SozialStandards braucht es fairen Wettbewerb. Warum Zölle in der EU aufgrund ökosozialer Standards künftig nicht schärfer ziehen? Wettbewerb soll zu besseren Lösungen anspornen. Es kann nicht sein, dass qualitativ nach den niedrigsten Standards gesucht wird.

STANDARD: Wurden Brillen teurer?

Schmied: Wir mussten unsere Preise im Vorjahr im hohen, heuer im niedrigen einstelligen Bereich erhöhen. Wettbewerber in Asien haben diesen hohen Inflationsdruck nicht.

STANDARD: Silhouette ist weltgrößter Anbieter von Randlosbrillen. Wie sehr schadete Ihnen die Retrowelle mit großen Gläsern und dicken Gestellen?

Schmied: Wir haben heute ein breites Angebot und fangen damit die unterschiedlichsten Trends auf. Jener zu ganz schweren, dunklen Brillen ist auch schon wieder vorbei.

STANDARD: Ihre Marktführung im Weltraum dank Nasa-Piloten, die Ihre Titanbrillen tragen, ist unangetastet?

Schmied: Wir nahmen an 60 Space-Missions teil und sind meines Wissens nach immer noch die einzige Brillenmarke, die im Weltall vertreten ist. Diese Brille ist auch das einzige Produkt, das man auf Erden erwerben kann, das sich durch nichts von jenem im All unterscheidet.

Michael Schmied: "Meines Wissens nach ist Silhouette die einzige Brillenmarke, die im Weltall vertreten ist."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Silhouette hat bis 2019 in Lizenz Sportbrillen für Adidas produziert. Warum kam es zur Trennung?

Schmied: Unsere Stärke sind hochfunktionale Brillen von gehobener Qualität, nicht günstige Importware. Es war der richtige Schritt, auch im Sinne der Unabhängigkeit. Wir haben seither erfolgreich unsere eigene Sportbrillenmarke eingeführt.

STANDARD: Wie halten Sie die wachsende Zahl an Plagiaten in Schach?

Schmied: Es gibt Razzien auf Messen, wir kontrollieren Vertriebsknoten, mahnen Händler ab. Wir suchen mehr – und finden auch mehr.

STANDARD: Sind Handelsketten wie Fielmann, Hartlauer und Pearle nach wie vor als Vertriebspartner tabu?

Schmied: Ja, wir glauben an unabhängige Fachhändler. Unsere Produkte brauchen Beratung.

STANDARD: Ihre Großeltern haben Silhouette mit fünf Mitarbeitern und einer Designerin gegründet. Wie wichtig ist es Ihrer Familie, das Unternehmen in Familienhand zu halten?

Schmied: Die Großmutter hat immer gesagt: Schauts, dass unabhängig bleibts, auch von Banken. Das ist uns bisher gut gelungen. Es hat auch kulturell Charme, ein Familienunternehmen und kein internationaler Konzern zu sein. Meine Geschwister und ich werden es in dritter Generation weiter so halten.

STANDARD: Eine Zeitlang wurden externe Geschäftsführer an die Konzernspitze geholt, von den Eigentümern jedoch bald wieder abgelöst ...

Schmied: Wir hatten eine kurze Periode, in der Silhouette nicht familiengeführt war. Ich bin froh, im Unternehmen zu sein, ich bin damit aufgewachsen. Es steckt viel Herzblut drin. Und vielleicht kommen meine Geschwister noch hinzu.

STANDARD: Ihr Onkel gab seine Anteile an die Familie zurück und baut nun als Biobauer Heidelbeeren an.

Schmied: Landwirtschaft war schon immer seine Passion, und ich habe höchsten Respekt vor der Entscheidung. Der Übergang war ruhig, unaufgeregt und geordnet, was nicht selbstverständlich ist. Das Verhältnis zur Familie ist besser denn je. (INTERVIEW: Verena Kainrath, 19.3.2023)