Welche Auswirkungen hat die ÖVP-FPÖ-Koalition in Niederösterreich auf die Wahl in Salzburg und den Bund? Dieser Frage geht Politik- und Medienberater Peter Plaikner in seinem Gastkommentar nach. Und er warnt vor den Schwächen des Proporzsystems.

ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner und FPÖ-Landeschef Landbauer bilden eine Koalition. Der richtige Weg?
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Dies Niederösterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält? Sogar das Versmaß leidet, wenn Friedrich Hebbels Zitat für die neuen Verhältnisse von St. Pölten herhalten muss. Doch sie sind das Exerzierfeld für die zwar nicht große, aber größere Welt Österreich. Was die ÖVP im Bundesland mit den meisten Wahlberechtigten durchzieht, ist ein Probegalopp für die Nationalratswahl spätestens im Herbst 2024. Die Volkspartei hat mitten im Vollgas zu einer Schrumpfversion der großen Koalition die Handbremse gezogen. Nach der Landtagswahl in Tirol und der zweiten ÖVP-SPÖ-Koalition neben der Steiermark schien alles schon wie auf Schienen: Schwarz-Rot auch in Niederösterreich sowie Salzburg und erneut Rot-Schwarz in Kärnten als Testfälle und Grundlage für den Bund. Das wirkt nun lediglich noch in Klagenfurt fix.

"Mikl-Leitner betreibt eine tektonische Verschiebung der parteipolitischen Platten, auf denen die Zweite Republik gebaut ist."

Mit ihrer Entscheidung für das schwarz-blaue Modell Oberösterreich begeht Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mehr als nur einen Tabubruch gegenüber der angeblichen Wertehaltung ihrer Partei. Die bundesweit realpolitisch mächtigste Person der ÖVP wird nicht bloß sich selbst in ihrer Position gegenüber Niederösterreichs FPÖ-Chef Udo Landbauer untreu. Sie verrät nicht nur Prinzipien des Anstands, wenn sie ein Arbeitsübereinkommen mit der Partei Gottfried Waldhäusls schließt – der vom Asyllandesrat zum Zweiten Landtagspräsidenten avanciert. Mikl-Leitner betreibt eine tektonische Verschiebung der parteipolitischen Platten, auf denen die Zweite Republik gebaut ist. Bei der nächsten Nationalratswahl leben zumindest 37,5 Prozent (2019) aller Wahlberechtigten in den schwarz-blau regierten Ländern Nieder- und Oberösterreich. Kein anderes Modell umfasst annähernd so viel Bevölkerung.

Salzburger Auslaufmodell

Das beeinflusst auch die Salzburg-Wahl am 23. April, dem Tag des Wien-Marathons. Dort galt der lahme Dreier mit Grünen und Neos schon als Auslaufmodell und eine künftige schwarz-rote Partnerschaft als wahrscheinlich. Wenn wie in Tirol und Niederösterreich die FPÖ unter Marlene Svazek die SPÖ von Rang zwei verdrängt und Landeshauptmann Wilfried Haslauer ähnlich abgestraft wird wie zuletzt alle Regierenden, könnte es sich für seine ÖVP mit den von David Egger geführten Sozialdemokraten allein nicht mehr ausgehen. Denn im linken Gefilde fischt Kay-Michael Dankl nach steirischem Vorbild für die KPÖ plus. Für die Grünen unter Martina Berthold und Neos mit Andrea Klambauer wird es in einer solchen Gemengelage noch schwieriger, zusammen groß genug für eine stabile Mehrheit mit der ÖVP zu werden. Eher erreichen ÖVP und FPÖ eine solche schon zu zweit. Haslauer galt zwar einer schwarz-blauen Option bisher als unverdächtig, doch diese Einschätzung überwog auch in Bezug auf Mikl-Leitner.

Erwünschter Nebeneffekt

Die Ursachen ihres Abbruchs der Gespräche mit der SPÖ können nur vermutet werden. Hochrangige Sozialdemokraten bezweifeln die Ernsthaftigkeit der Sondierung. Den roten Kometen Sven Hergovich auf den Boden zu holen war sicher bloß ein von der ÖVP erwünschter Nebeneffekt. Sie hat den Express zur nur noch namenshistorisch großen Koalition im Bund aber vor allem gestoppt, weil sich diese aufgrund eigener und Partnerschwäche nicht mehr ausgehen könnte. So wie auch ein rot-grün-pinker Dreier laut allen aktuellen Umfragen keine Mehrheit hätte. Zweierkoalitionen sind demnach nur mit der FPÖ möglich. Dass Pamela Rendi-Wagner das insgesamt und Hans Peter Doskozil namentlich mit Herbert Kickl ausschließt, ist lediglich ein semantischer Unterschied.

"Offenbar fürchten die Türkis-Schwarzen die Mühen einer großen Koalition plus Grünen oder Neos mehr als ein erneutes Scheitern mit der FPÖ."

Eine Ursache für den Strategiewechsel der Volkspartei liegt in der anhaltenden Schwäche der Sozialdemokratie. Offenbar fürchten die Türkis-Schwarzen die Mühen einer großen Koalition plus Grünen oder Neos mehr als ein erneutes Scheitern mit der FPÖ. Wobei der Volkspartei Niederösterreich jegliches Partnergefühl fehlt, weil sie bisher in der Landesregierung ohnehin immer die absolute Mehrheit hatte.

Wenn nun Mikl-Leitner auch ohne die freiheitlichen Stimmen vom Landtag zur Landeshauptfrau gewählt wird, zeigt dies auch die Schwächen des Proporzsystems, dessen Abschaffung in Oberösterreich soeben wieder diskutiert wird. Die FPÖ kann in St. Pölten jederzeit alles aufkündigen und bleibt dennoch mit drei Landesräten in der neunköpfigen Regierung. So wie auch die SPÖ mit ihren zwei Sitzen. Doch nur aus dieser Proporzperspektive ist Niederösterreich kein Testfall für die nationale Ebene.

Frühzeitiges Scheitern

Der größte Denkfehler beim schwarz-blauen Turbo für eine Bundeskoalition besteht in der Reihenfolge von ÖVP und FPÖ. Die beste Möglichkeit, diese Kombination grundsätzlich zu verhindern, böte eine wiedererstarkte SPÖ durch Lösung ihres Führungsstreits. Allenfalls hilft aber auch ein frühzeitig scheiterndes Modell Niederösterreich dabei. Der Dramatiker Hebbel ist schon im Jahr nach seinem Reim auf Österreich als kleine Welt gestorben. (Peter Plaikner, 18.3.2023)