Am Samstag verhandelten in Nordmazedonien der serbische Präsident Aleksandar Vučić (im Bild), der kosovarische Premier Albin Kurti und Vertreter der EU über ein Abkommen. Vučić betonte, dass er keine völkerrechtlich bindenden Verträge abschließen werde.

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Nach dem Treffen des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, des kosovarischen Premiers Albin Kurti und Vertretern der EU am Samstag im mazedonischen Ohrid zu einem Abkommen zwischen den beiden Staaten, betonte der serbische Staatschef am Sonntag, dass er keinerlei rechtliche Vereinbarungen – weder das Abkommen noch den Annex, in dem es um die Umsetzung geht – unterschrieben habe. Kurti hingegen meinte, dass er abermals bereit gewesen wäre, das Abkommen zu unterschreiben.

Vučić begründete seine Nicht-Unterzeichnung damit, dass Serbien mit der Republik Kosovo "keine völkerrechtlichen Vereinbarungen treffen wolle". Der Kosovo sei für ihn "nichts". Wenn es um den Staat Kosovo geht, verwendet der serbische Staatschef nach wie vor den Begriff "die Albaner", so als würde es darum gehen, mit Vertretern einer Volksgruppe zu verhandeln. Serbien erkennt den unabhängigen Staat Kosovo nicht an. "Ich habe unerträgliche Schmerzen in meiner rechten Hand", sagte Vučić "und diese Schmerzen werden die nächsten vier Jahre anhalten", beschrieb er seinen Unwillen das Abkommen zu unterschreiben.

Scheindiskussion um UN-Mitgliedschaft

Die roten Linien für Serbien seien die Anerkennung des Kosovo und seine Aufnahme in die Vereinten Nationen. Eine solche Aufnahme ist aber tatsächlich eine Scheindiskussion, weil sie ohnehin nicht infrage kommt, weil die Veto-Mächte Russland und China dies verhindern würden. Trotzdem sagte Vučić: "Genau deshalb haben wir das, was die EU das Abkommen oder den Anhang nennt, nicht unterzeichnet." Er fügte jedoch hinzu: "Wir akzeptieren das Konzept, wir werden an der Umsetzung arbeiten."

Serbiens Haltung zu dem EU-Abkommen bleibt also weiterhin unklar. Beide Seiten sprachen in den zwölf Stunden langen Verhandlungen aber auch um die Frage der im Krieg vermissten Personen. In dieser Frage gab es offensichtlich Fortschritte. Vučić betonte zudem, dass die Bildung einer Assoziation serbischer Gemeinden wichtig sei. In der Frage, wie dieser Verband aussehen soll, sind sich Serbien und Kosovo aber überhaupt nicht einig. Vučić sagte, dass er die Bedingungen von Kurti in dieser Frage nicht akzeptieren würde.

Selbstverwaltung für Gemeinden

Vorgesehen ist laut dem Text des EU-Abkommens ein "angemessenes Maß an Selbstverwaltung für die serbische Gemeinschaft im Kosovo". Dazu gehört die "Möglichkeit finanzieller Unterstützung durch Serbien". Bisher gibt es einen Vorschlag der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung, der mit kosovarischem Recht in Einklang steht.

Vučić meinte, die Gründung des Verbands serbischer Gemeinden müsse für Kosovo "vorrangige Verpflichtung" sein. Vučić will also, dass zuerst der Gemeindeverband von kosovarischer Seite gegründet und dann erst das Abkommen unterschrieben wird. Die Unterzeichnung könnte auch durch die serbische Premierministerin Ana Brnabić erfolgen – damit würde Vučić rechtlich auch nicht verantwortlich sein. Brnabić will sich ohnehin aus der Politik zurückziehen und Vučić möchte bald Neuwahlen und dann wieder Premierminister werden. Für eine Anerkennung des Kosovo müsste Serbien seine Verfassung ändern.

Deutsch-deutscher Grundlagenvertrag

Das Elf-Punkte-Abkommen basiert insgesamt auf dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR aus dem Jahr 1972. Serbien soll sich durch das Abkommen verpflichten, den Kosovo auf dem Weg in internationale Organisationen nicht weiter zu behindern.

Beide Staaten würden mit dem Abkommen die "Gleichheit aller Staaten, die Achtung ihrer Unabhängigkeit, Autonomie und territorialen Integrität" akzeptieren. Dies ist insofern wichtig, als Serbien bisher immer territoriale Ansprüche auf den Kosovo gestellt hat. Kosovo und Serbien sollen zudem ihre jeweiligen Dokumente und nationalen Symbole, einschließlich der Pässe, Diplome, Kfz-Kennzeichen und Zollstempel, wechselseitig anerkennen. Die serbisch-orthodoxe Kirche soll einen Schutzstatus bekommen.

EU-Lesart ist eine andere

Kurti sprach nach dem Treffen in Nordmazedonien von einer "De-facto-Anerkennung zwischen dem Kosovo und Serbien". Auf die Frage nach der Gründung eines Verbands von Gemeinden mit serbischer Mehrheit betonte er, dass das Abkommen die "Selbstverwaltung" für Kosovo-Serben erwähnte, er aber weiterhin der Premierminister aller Kosovo-Bürger sein werde, "unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit".

Während die Ergebnisse der Ohrider Verhandlungen von serbischer Seite mit Vorbehalt kommentiert wurden, spricht die EU von Einigungen und Fortschritten. Der Hohe Vertreter der EU für auswärtige Angelegenheiten, Josep Borrell, sagte: "Kosovo und Serbien haben sich darauf geeinigt, wie das Abkommen umgesetzt werden soll", das "beim letzten hochrangigen Treffen im Februar angenommen" wurde. Borrell fügte hinzu, dass "die Parteien sich voll und ganz dazu verpflichtet haben, alle Artikel der Vereinbarung einzuhalten und alle ihre jeweiligen Verpflichtungen zügig und in gutem Glauben umzusetzen".

Mangel an Flexibilität

Borrell sagte zudem, die Parteien könnten sich nicht auf einen detaillierteren Vorschlag einigen, weil es Kosovo "an inhaltlicher Flexibilität mangelt". Der Annex zu dem Abkommen gilt der EU zufolge aber nun als angenommen und wird ein integraler Bestandteil des EU-Wegs von Kosovo und Serbien sein. Der EU-Außenbeauftragte meinte, der Annex werde auch in die EU-Beitrittsverhandlungen aufgenommen. "Auf diese Weise werden beide Parteien an das Abkommen gebunden sein … und die Nichterfüllung wird Konsequenzen haben," warnte Borrell. Unklar ist allerdings, welche rechtlich bindende Kraft ein bilaterales Abkommen haben kann, wenn es vom Auswärtigen Dienst der EU überwacht werden soll.

Die Verhandlungen über ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo wurden auf Initiative von Deutschland und Frankreich begonnen. Denn die Sorge, dass Serbien sich von der EU abwendet und immer engere Verbindungen mit Russland und China eingeht, intensivierten sich angesichts des Kriegs des Kremls gegen die Ukraine. Es besteht die Sorge, dass der Kreml auch über Serbien und serbische Nationalisten in anderen südosteuropäischen Staaten, etwa in Bosnien-Herzegowina und in Montenegro, seinen Machtbereich ausdehnen wird und für Unruhe und Unsicherheit sorgt.

Hybrides Regime

Der Wunsch, Serbien an den Westen anzubinden, geht also nicht von Belgrad aus. Allerdings wurde die serbische Regierung "gewarnt", dass EU-Hilfsmitteln, die derzeit noch in erheblichem Maß nach Serbien fliessen, gestoppt werden könnten, wenn sich Serbien nicht auf ein Abkommen mit Kosovo einlässt. Serbische Aktivisten hatten im Winter im Kosovo Straßensperren errichtet, auf Anweisung von Belgrad haben auch sämtliche Politiker und Beamte, die unter der Kontrolle von Belgrad stehen, die kosovarischen Institutionen verlassen.

Serbien hat in den vergangenen Jahren kaum Anstrengungen unternommen, der EU beizutreten, sondern arbeitet politisch mit Russland zusammen, viele Kredite kommen aus China. Serbien gilt als hybrides Regime, weil die demokratischen Grundstandards immer mehr vernachlässigt wurden.

Polizei- und Militärarchive öffnen

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, sagte kürzlich bei einem Besuch in Serbien: "Es ist höchste Zeit für Serbien, sich dem Erbe der Vergangenheit zu stellen, die Medien- und Versammlungsfreiheit zu schützen und seine Verpflichtungen in Bezug auf die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter zu erfüllen."

Die Kommissarin stellte auch eine Stagnation bei der Lösung der anhängigen Fälle vermisster Personen in der Region fest. Auch die fehlende Auslieferung von verurteilten Kriegsverbrechern und mutmaßlichen Kriegsverbrechern an andere Länder in der Region bleibe ein weiteres Hindernis im Kampf gegen die Straflosigkeit, so die Kommissarin. "Nur wenn die Täter von Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden, können die Gesellschaften in der Region beginnen, zu heilen, ihre gewalttätige Vergangenheit zu bewältigen und eine Zukunft auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit aufzubauen", so Mijatović.

Indem man verurteilten Kriegsverbrechern in Serbien eine öffentliche Plattform biete, um ihre Ansichten zu vertreten und die Verbrechen, für die sie verurteilt wurden, zu leugnen, käme Serbien nicht seiner Pflicht nach, das Recht der Opfer auf Wahrheit zu wahren und die Verbreitung von intoleranter und hasserfüllter Sprache zu verhindern. Die Tolerierung von Graffitis zu Ehren von Kriegsverbrechern durch die Behörden sei ein weiteres unglückliches Beispiel dafür. Organisationen der Zivilgesellschaft haben mehr als 300 solcher Wandmalereien in ganz Serbien kartiert und kürzlich die Behörden aufgefordert, sie zu entfernen.

Westliche Unternehmen finanzieren Propaganda-Medien

Zudem sei die Sicherheit von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. Serbien ist bislang nicht seiner Verpflichtung als EU-Kandidatenstaat nachgekommen, sich den Sanktionen gegen Russland wegen der Aggression gegen die Ukraine anzuschließen. In vielen serbischen Medien wird massiv Stimmung gegen die EU und für den Kreml gemacht. Die Auswertung der serbischen NGO CRTA zeigt, dass westliche Unternehmen diese Medien durch Werbeeinschaltungen finanzieren.

Eine Auswertung der Werbung von CRTA im Jahr 2022 in TV-Sendern und serbischen Zeitungen kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 63 Prozent davon von Unternehmen aus der EU, den USA oder der Schweiz stammte. "Ohne das Geld der westlichen Unternehmen wäre die serbische Propagandamaschinerie nicht machbar", meint Raša Nedeljkov von CRTA.

Deutsche Unternehmen gehören zu den wichtigsten Akteuren. Sie machen knapp zehn Prozent der Anzeigen in serbischen Meiden aus. Mehr als zehn deutsche Unternehmen schalteten 2022 Anzeigen im Wert von mehr als einer Million Euro. Der Konzern Ldil gab das meiste Geld, etwa 54 Millionen Euro aus. Beiersdorf inserierte mit 10,3 Millionen Euro, Glovo mit fünf Millionen Euro und die Berlin Chemie AG mit 3,7 Millionen Euro. Auch dm, Dr. Theiss, Bayer und Metro investierten jeweils eine Million Euro in den serbischen Medienmarkt.

TV Pink und TV Happy

Dabei ging ein großes Ausmaß der Werbeausgaben dieser deutschen Unternehmen in die Regierungs-Propaganda-Sender TV Pink und TV Happy, die auch pro-russische Kriegspropaganda verbreiten und gegen die EU und für die extrem nationalistische ungarische Regierung unter Viktor Orbán auftreten. In TV Pink wird zudem das Kreml-Narrativ von der "Entnazifizierung" übernommen und die Nato für den Krieg gegen die Ukraine verantwortlich gemacht.

Der deutsche Parlamentarier Boris Mijatović von den Gründen findet das Verhalten der deutschen Unternehmen in der Causa "zweifelhaft". "Es ist nicht im Interesse der westeuropäischen Politik, wenn man mit mehr als 20 Millionen Euro russische Narrative unterstützt", so der Politiker. Vučić selbst sagte vergangene Woche zu der Aggression Russlands gegen die Ukraine: "Heute erleben wir eine Art Dritten Weltkrieg, der in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten größer, breiter und schwerer werden wird als heute." (Adelheid Wölfl, 19.3.2023)