Jazz Gitti verurteilt Politik aus "Hass, Lügen und Ausgrenzung".

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Bereits vor der Besiegelung des Koalitionspakts von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich machten Kulturschaffende des Landes letzte Woche in einem offenen Brief ihrem Unmut Luft: Zu jenen, die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner vor einer Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen warnten, gehörten unter anderen Josef Hader, Gertraud Klemm, Iris Andraschek, Robert Palfrader, Robert Menasse, Peter Turrini und Florian Scheuba. DER STANDARD hat sich umgehört und lässt nun weitere Stimmen zu Wort kommen. Tenor: Das weltoffene kulturelle Klima, das Niederösterreich zuletzt auszeichnete, sei durch die FPÖ bedroht.

Jazz Gitti, Musikerin, lebt in Niederösterreich:

"Natürlich passt mir diese Koalition nicht. Ich bin enttäuscht und traurig. Ich habe jüdische Wurzeln, und jedes Mal, wenn die FPÖ an der Macht war, hat sie uns abgezockt. Wir zahlen ja heute noch an den Schulden in Kärnten. Jetzt kann man sagen, das ist die Demokratie, aber schauen wir einmal, wie lange wir die noch haben mit der FPÖ. Die machen Politik nur mit Hass, Lügen und Ausgrenzung. Ich frag mich, wie man so negativ sein kann? Unsere Vorfahren haben ihr Leben für die Demokratie gelassen. Der Pröll hat noch Eier gehabt und gesagt, nicht mit der FPÖ. Ich bin ja eine Rote, aber den Pröll hab ich gewählt, weil ich gesehen habe, was der für Niederösterreich getan hat. Ich habe auch für die Hanni (Mikl-Leitner, Anm.) Wahlwerbung gemacht. Ich glaube, sie hat einiges ausbaden müssen, wegen der Bundespolitik, aber ich versteh es trotzdem nicht. Ich bin sehr traurig und mach mir Sorgen um die jungen Leute."

Jazz Gitti.
Foto: Günther Pichlkostner

David Schalko, Regisseur aus Waidhofen an der Thaya:

"Die rechtsradikale niederösterreichische FPÖ in die Regierung einzuladen geht über die ohnehin bereits salonfähige Verharmlosung nationalsozialistischer Koketterie hinaus. Hier wurde ein weiterer Tabubruch zugunsten eines obszönen Machterhalts in Kauf genommen. Es ist unerträglich, dass jemand mit einem so klaren nationalsozialistischen Weltbild mit Agenden wie EU betraut wird. Die atmosphärischen und demokratiepolitischen Auswirkungen richten einen irreparablen Schaden in Niederösterreich an. Das bundesweite Signal ist hiermit eindeutig: Die ÖVP würde auch einen Kanzler Kickl ermöglichen, um nach beinahe 40 Jahren durchgehender Regierungsbeteiligung weiterhin an der Macht zu bleiben. Das Wohl von Österreich und das rechtsradikale Weltbild spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Wer hätte gedacht, dass so kurz nach dem Ibiza-Skandal die moralische Spirale nach unten wieder angeworfen wird. Diese Regierung ist ein Schandfleck in der Historie dieses Landes."

David Schalko.
Foto: AP/Michael Sohn

Anna Maria Krassnigg, künstlerische Leiterin des Festivals Europa in Szene, Wiener Neustadt:

"Ich bin zutiefst irritiert und in Sorge. Am allermeisten stört mich der Umgang mit der Wahrheit, mit der Verleugnung von Fakten: Die FPÖ hat keine Erinnerungskultur. Udo Landbauer war ja nicht nur Burschenschafter der 'Germania', sondern auch Unterstützer des Neonazi-Verbands 'Junge Patrioten', die unter anderem NS-Gedanken und -Liedgut vertrieben haben. So jemand ist doch nicht regierungsfähig. Mit mangelnder Erinnerungsfähigkeit kommt aber die Wahrheit abhanden. Aus der 'Berlusconisierung' wissen wird doch, dass eine politische Wirklichkeit tatsächlich die Wirklichkeit verändert. Und ich mache mir da Sorgen um die vielen kritischen, proeuropäischen Stimmen in Niederösterreich. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber so eine Vielfalt – die 30 Jahre Aufbauarbeit bedurfte – ist sehr schnell zerstörbar."

Anna Maria Krassnigg.
Foto: Julia Kampichler

Daniel Glattauer, Autor und Wahl-Waldviertler:

"Als Wahl-Waldviertler würde ich zu dieser unheilvollen pechschwarzen und gruselig blauen Allianz gerne etwas Hoffnungsvolles sagen. Das Einzige, das mir spontan dazu einfällt: Scheitern nicht nur erlaubt, sondern dringend erforderlich, besser heute als morgen."

Daniel Glattauer.
Foto: APA/EVA MANHART

Vea Kaiser, Autorin aus Niederösterreich:

"Dass Johanna Mikl-Leitner bereit ist, für Machterhalt zum billigsten Preis mit der offen menschenverachtenden Landbauer-FPÖ zu koalieren, ist nicht nur inakzeptabel für ein modernes, menschliches Niederösterreich. Es ist ein Zeichen der Charakterlosigkeit dieser Frau. Es ist zudem eine Schande für das wunderbare, vielfältige Niederösterreich, dass seine Zukunft nun von einer rückwärtsgewandten, seelenlosen Truppe bestimmt werden soll. Das haben wir Niederösterreicher und Niederösterreicherinnen nicht verdient."

Vea Kaiser.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Robert Stachel, Kabarettist aus Wiener Neustadt, Maschek:

"Die ÖVP in Niederösterreich hasst die Roten mehr, als sie die Vernunft liebt. Anders ist eine Koalition mit dieser Corona-leugnenden Liederbuchtruppe nicht zu erklären. Ich bedaure das doppelt, denn mein Plan für den Lebensabend war eigentlich die Intendanz eines gemütlichen Sommertheaters in einer beschaulichen niederösterreichischen Weingegend. Mein kleiner Trost ist, dass Mikl-Leitner und Landbauer für ihre Entscheidung schon sehr bald die Höchststrafe erhalten: fünf Jahre täglich miteinander arbeiten zu müssen."

Robert Stachel.
Foto: Alexi Pelekanos

Florian Krumpöck, Intendant des Kultursommers Semmering:

"Die Koalition mit der Landbauer-Waldhäusl-Schnedlitz-FPÖ ist ein schmerzlicher Schlag gegen die Form der Weltoffenheit, für die man als Künstler steht. Unentschuldbares, das nicht selten die allgemeine Menschenwürde angreift, wird dadurch quasi geadelt. Nationalistische Tendenzen jedweder Art haben in der Geschichte neben unermesslichem menschlichem Leiden stets auch zu einer fürchterlichen Einengung und damit zu gesellschaftlich-kulturellen Rückschritten geführt. Über die tatsächlichen möglichen Auswirkungen auf ein einziges Bundesland zu philosophieren finde ich dabei aber viel zu klein gedacht. Die Vorbildwirkung und damit steigende gesellschaftliche Akzeptanz von Tabubrüchen, ähnlich wie durch die SPÖ-FPÖ-Koalition unter Doskozil im Burgenland (auch in Zusammenhang mit seiner Bundes-Kandidatur), finde ich dabei tatsächlich gefährlich für unsere europäische Wertegemeinschaft."

Florian Krumpöck.
Foto: Lukasbeck

Thomas Edlinger, künstlerischer Leiter des Donaufestivals in Krems:

"Das Donaufestival steht, seitdem ich es als Besucher unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin kennenlernen durfte, für einen weltoffenen und emanzipatorischen Kulturbegriff. Wir sehen keinen Grund, nun aufgrund der neuen politischen Situation in Niederösterreich von unseren programmatischen Leitvorstellungen abzurücken, und werden das auch nicht tun. Persönlich lehne ich die Koalition mit der FPÖ aus politischen und moralischen Gründen ab."

Thomas Edlinger.
Foto: Heribert CORN

(red, 21.3.2023)