Der neue Bericht des Weltklimarats warnt erneut vor extremer werdenden Wetterereignissen.

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In Österreich sind die Folgen der Klimakrise längst merkbar, aktuell durch die ungewöhnliche Trockenheit. Die Warnung, die der Weltklimarat (IPCC) heute mit der Veröffentlichung seines zusammenfassenden Berichts ausspricht, ist ebenfalls bekannt: Die Klimakrise verschärft sich zunehmend. "Wir müssen von der Klima-Prokrastination zur Klima-Betätigung übergehen", formulierte es die dänische Ökonomin und Ökologin Inger Andersen vom UN-Umweltprogramm.

Lösungswege, die das Desaster abfangen sollen, gibt es mehrere, unterstreichen die 93 Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die an dem Bericht gearbeitet haben. Einige der Stellschrauben sind allerdings besonders entscheidend, allen voran die Energiewende. So würden sich allein mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie bis 2030 rund 8,5 Milliarden Tonnen CO2 einsparen lassen. Doch neben technologischen Modernisierungen muss die Menschheit muss auch ihr Verhalten ändern und die Umweltzerstörung stoppen, um die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu verhindern und eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen zu gestalten. Ein Überblick zu jenem Bericht, der die entscheidende Quelle für die Klimapolitik der kommenden Jahre liefert, und über die Folgen für Österreich.

Der IPCC-Abschlussbericht von uns zusammengefasst.
DER STANDARD

Frage: Was ist der IPCC-Synthesebericht?

Antwort: Der neue IPCC-Bericht ist der Abschlussbericht der aktuellen Arbeit des Weltklimarates. Das ist die größte und aktuellste Metastudie zum Klimawandel. Auf einigen Dutzend Seiten werden die drei großen Teile des sechsten Sachstandsberichts und drei Sonderreports zusammengefasst, die in den vergangenen drei Jahren veröffentlicht wurden und die insgesamt auf 10.000 Seiten kommen. Die einzelnen Berichte wurden von hunderten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern in freiwilligem Engagement erstellt. 93 Fachleute haben sie bis zum vergangenen Wochenende im Schweizer Ort Interlaken im Synthesebericht zusammengefasst.

Der Bericht zeigt mit bisher unübertroffener Sicherheit, dass die globale Erhitzung auf das Handeln von Menschen und ihre Treibhausgasemissionen zurückzuführen ist: Von 1900 bis 2020 hat sich die Erde um durchschnittlich 1,1 Grad Celsius erwärmt. Das hat massive Folgen für die Erde und menschliche Gesellschaften, die die Berichte abdecken – wie auch die Anpassungen an den Klimawandel, die uns möglich sind.

Die IPCC-Grafik zeigt, wie sich die globale Durchschnittstemperatur im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit verändert und in fünf Szenarien weiterentwickeln wird. Außerdem wird gezeigt, wie lange drei Generationen die Folgen der globalen Erwärmung erleben werden.
Grafik: IPCC, Der Standard

Frage: Hat der Bericht Folgen für die Politik?

Antwort: Der Report gibt der Politik keinen konkreten Maßnahmenfahrplan in Auftrag. Er zeigt aber, welche Werkzeuge zur Verfügung stehen und wie viel sie erreichen können. Damit liefert er eine sehr solide Grundlage für Diskussionen, auch für die Klimakonferenzen: Das Abkommen von Paris 2015 wäre ohne den vorangegangenen IPCC-Bericht so nicht möglich gewesen und setzte neue Maßstäbe in der Klimapolitik. Wichtig ist dafür besonders die mitgelieferte Zusammenfassung für Entscheidungstragende (Summary for Policymakers, SPM): Dieses Dokument müssen Vertretungen aller 195 Länder, die zum Weltklimarat gehören, vor seiner Veröffentlichung absegnen. Es braucht politischen Konsens über die genauen Formulierungen, die in dem Bericht verwendet werden, sie müssen aber auch mit dem wissenschaftlichen Bericht in Einklang stehen. Sind sie vom IPCC schon ausverhandelt, gelten sie auf Klimakonferenzen als fix und müssen nicht mehr diskutiert werden.

Frage: Welche Staaten stellen sich quer?

Antwort: Ein zentraler Punkt ist, dass man weltweit bis 2050 aus Kohle, Gas und Öl, den fossilen Energieträgern, aussteigen müsste, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das ist für Staaten schwierig, deren Wirtschaft darauf fußt. Ottmar Edenhofer, IPCC-Co-Vorsitzender des dritten Teilberichts, erzählte im "Zeit"-Interview: "Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien haben überhaupt kein Problem damit, über langfristige Klimaziele zu reden." Sobald man aber über den Abbau fossiler Subventionen reden und konkrete Empfehlungen festhalten wolle, "bekommt man im Plenum riesige Probleme". Auch die Vertretungen von Ländern wie Indien, die industriell stark wachsen und in dieser Phase wie westliche Staaten und China keine Einschränkungen wollen, gelten als schwierige Verhandler.

Schon bei einer Erwärmung von 1,5 Grad ist mit mehr Dürren und Flutkatastrophen zu rechnen.
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Frage: Was ist neu im Vergleich zu den vorigen Berichten, die vor acht Jahren erschienen?

Antwort: Konkrete Folgen des Klimawandels für Natur und Gesellschaften und mögliche Anpassungen wurden wissenschaftlich genauer erforscht, etwa durch bessere Prognosen und Modelle (hier die Zusammenfassung des ersten Teilberichts mit diversen Grafiken, hier wurden drei Wege in die Zukunft visualisiert). Erste Maßnahmen, die umgesetzt wurden, konnten ausgewertet werden. Die Ergebnisse zeigen: Die Systeme sind leider sensibler als gedacht, Veränderungen treten schneller und stärker ein als bisher angenommen. Die Ärmsten auf der Erde werden die Folgen von Hitze, Dürren, Überschwemmungen und Nahrungsmittelunsicherheit am stärksten erfahren – obwohl sie am wenigsten zu den Treibhausgas-Emissionen beitragen. Außerdem sind die Emissionen seit dem letzten Reportzyklus zu wenig gesenkt worden, obwohl wir heute wissen, was es dafür bräuchte.

Daher werden immer schärfere Maßnahmen nötig. Berichtsautor Matthias Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität München vergleicht diese Dringlichkeit mit der Zielzeit bei einem Marathon: "Wenn Sie die ersten 30 Kilometer langsamer laufen, als Sie es für den gewünschten Schnitt bräuchten, müssen Sie die letzten Kilometer schneller laufen." Eine wichtige Erkenntnis sei auch, dass sich "das Zeitfenster schließt, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern – also nicht nur für manche Menschen", betonte Umweltforscherin Lisa Schipper, die an einem der Berichte mitwirkte, im STANDARD-Gespräch. Vor allem die Kombination von Klimawandelfolgen und der extremen Armut, in der viele Menschen leben, werde für Katastrophen sorgen.

Der Graph zeigt den mittleren Temperaturverlauf der Erde der vergangenen 20.000 Jahre. Seit etwa 10.000 Jahren, als die Menschheit mit dem Ackerbau begann und die Wirtschaft für immer veränderte, ist die globale Durchschnittstemperatur relativ konstant geblieben. Seit etwa 100 Jahren steigt sie industriebedingt so rasant an wie nie zuvor in der gezeigten Zeitspanne.

Frage: Ist der neue Bericht politischer?

Antwort: Mittlerweile geht es im IPCC-Bericht weniger darum, den menschengemachten Klimawandel nachzuweisen – dieser ist sehr klar geworden. Durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas und das Abholzen von Wäldern steigt die Temperatur rasanter als bisher in der Menschheitsgeschichte. Dies sei eine naturwissenschaftlich beantwortbare Frage, sagte Edenhofer: "Jetzt geht es um die Frage, was daraus folgt." Das sei aber mit Werturteilen verbunden. Um angemessene Antworten zu finden, "dürfen Werturteile nicht willkürlich sein, sondern müssen gut begründet werden".

Frage: Welche Lösungen zeigt der Bericht?

Antwort: Der Weltklimarat schlägt eine ganze Reihe von Lösungen vor. Es geht um Technologie, aber auch um Verhaltensänderungen, Effizienzsteigerungen und die Wiederherstellung von natürlichen Lebensräumen. Für jeden der dutzenden Bereiche gibt es vom IPCC auch eine Schätzung, wie viel Treibhausgase sich wie günstig reduzieren lässt.

Besonders attraktiv ist die Reduktion von CO2 im Energiebereich: An vielen Standorten ist Wind- und Solarenergie bereits günstiger zu haben als Strom aus fossilen Quellen. Alleine mit diesen beiden Energieformen ließen sich 2030 rund 8,5 Milliarden Tonnen CO2 einsparen.

Eine gesündere Ernährungsweise könnten mit 1,7 Milliarden Tonnen zum Klimaschutz beitragen und rund vier Milliarden Tonnen wären gewonnen, wenn wir weniger Wälder abholzen und Feuchtgebiete trockenlegen würden. Zum Vergleich: 2021 lagen die globalen CO2-Emissionen bei 37 Milliarden Tonnen. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen würden weitere Vorteile mit sich bringen – ganz unabhängig vom Klimaschutz.

Frage: Was ist mit solchen Synergien bei den Lösungen gemeint?

Antwort: Die deutsche Physikerin und Mitautorin des Berichts, Friederike Otto vom Imperial College London, sagte, dass einige Anpassungsmaßnahmen "nicht nur zum Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels beitragen, sondern auch viele andere Vorteile mit sich bringen, indem sie den Menschen ein besseres Leben mit mehr Gerechtigkeit und Sicherheit bieten". Beispielsweise würde die Verbesserung der Luftqualität durch weniger CO2-Emissionen auch wirtschaftlichen Nutzen für die Gesundheit bringen, heißt es in der IPCC-Presseaussendung. Und dieser Nutzen sei genauso groß oder noch größer als die Kosten, die die Vermeidung von Emissionen verursachen. Auch der Erhalt von Feuchtgebieten sorgt nicht nur dafür, dass natürliche CO2-Emissionen vermieden werden, sondern hilft auch beim Regulieren steigender Temperaturen, sagt Matthias Garschagen. In Küstenregionen können sie auch Überschwemmungen zurückhalten.

Mit der Umstellung auf erneuerbare Energien lässt sich besonders viel und besonders günstig CO2 einsparen.
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Frage: Ist das 1,5-Grad-Ziel noch haltbar?

Antwort: Selbst in einem optimistischen Szenario hält es der IPCC für wahrscheinlich, dass die Marke von 1,5 Grad in naher Zukunft – das heißt vor 2040 – überschritten wird. Um das Weltklima zu stabilisieren, müsste die Menschheit vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in großem Stil Kohlenstoff aus der Atmosphäre entnehmen, etwa durch Aufforstung oder CO2-Abscheidung. Bis zum Jahr 2100 könnte die Erwärmung dann wieder auf unter 1,5 Grad sinken. Doch dieses sogenannte Overshoot-Szenario ist bei weitem nicht ideal: Denn bis dahin könnten empfindliche Ökosysteme in den Bergen, an den Polen oder Küsten irreversibel beschädigt werden – was die Lebensgrundlagen für die Menschen in diesen Gebieten gefährdet. Deshalb gilt es, die Netto-Null-Emissionen möglichst schnell zu erreichen.

Frage: Die Erderhitzung verschärft globale Ungleichheiten. Was sagt der Bericht dazu?

Antwort: Die Klimakrise trifft ärmere Staaten besonders hart – sie haben weniger Ressourcen, um sich an die immensen Veränderungen anzupassen. Vielerorts fehlt das nötige Geld. Auch der Weltklimarat gibt zu bedenken: "Die derzeitigen globalen Finanzströme für die Anpassung sind unzureichend und behindern die Umsetzung von Anpassungsoptionen, insbesondere in Entwicklungsländern."

Das bekannteste Versprechen, das wohlhabende Staaten dazu machten, war die Auszahlung von 100 Milliarden Euro bis 2020 – ein Versprechen, das nicht eingehalten wurde, weil allen voran die USA zu wenig zahlten. Ein großer Teil der Gelder, die überwiesen werden, fließt außerdem in die Vermeidung von Emissionen. Für die Anpassung bleibt daher sehr viel weniger. So schätzt das UN-Umweltprogramm UNEP, dass jedes Jahr rund 340 Milliarden US-Dollar für die Anpassung bereitgestellt werden müssen, doch derzeit fließen nur etwa sieben Prozent der Klimafinanzströme in diese Richtung.

Das ist viel zu wenig, machen die Forschenden im IPCC-Bericht deutlich. Und: Die Zeit für die Anpassung an die immensen Veränderungen, die die Welt in den kommenden Jahrzehnten erleben wird, wird knapp. Je weiter die Temperaturen in die Höhe klettern, desto beschränkter und weniger wirksam werden Schritte zur Anpassung und desto teurer werden sie insgesamt. Die Klimafinanzierung müsse insgesamt – also nicht nur für Anpassung – um ein Vielfaches steigen, um die schwerwiegenden Folgen abzudämpfen, schreiben die Fachleute.

Frage: Welche Folgen hat die Klimakrise in Österreich?

Antwort: Zwar gibt der IPCC-Report keine Prognosen für einzelne Länder, aber es lässt sich aus den Daten für Europa ableiten, dass es im Durchschnitt heißer und trockener wird und Extremereignisse – Überflutungen durch Starkregen und Dürre etwa – viel öfter vorkommen, je stärker sich die Erde insgesamt erwärmt. Schneetage gehen zurück, Gletscher schmelzen ab. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Zamg, heute Geosphere Austria, rechnete vor, dass es seit Beginn der Industrialisierung in Österreich schon um zwei Grad wärmer geworden ist. Bis 2100 können es mindestens fünf Grad mehr werden, wenn sich der Trend nicht umkehrt.

In Österreich wird es aufgrund des Klimawandels weniger Schneetage geben – wie hier im Jänner in Ramsau.
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Damit erhitzt sich Österreich deutlich stärker als der globale Durchschnitt. 2022 wurde das zweitwärmste Jahr in der hiesigen und europäischen Messgeschichte dokumentiert. Dennoch sind die Emissionen hierzulande weiterhin hoch: Der derzeitige CO2-Ausstoß pro Kopf liegt in Österreich etwa auf dem Niveau der 1970er- und 80er-Jahre. Die Hitzetage, die besonders in Städten stark zu spüren sind, belasten die Gesundheit. Außerdem wird es immer wahrscheinlicher, dass sich Infektionskrankheiten ausbreiten.

Die Grafik zeigt den österreichischen CO2-Ausstoß pro Kopf, der auf fossile Energieträger und Industrie zurückgeht. Auf der Plattform "Our World in Data" lassen sich auch Ländervergleiche anstellen.

Frage: Was bedeutet der Bericht für die Klimadebatte?

Antwort: "Jede Verzögerung gefährdet unsere Lebensgrundlagen und Versorgungssicherheit", schreibt das Climate Change Centre Austria (CCCA), ein Zusammenschluss von österreichischen Klimafachleuten. Energie- und Klimaforscher Daniel Huppmann vom IIASA, der zum CCCA-Netzwerk gehört, betont: "Der Synthesebericht des IPCC zeigt deutlich, dass unsere Gesellschaft nicht die Zeit hat, um ausschließlich auf die Entwicklung und Marktreife neuer Technologien zu setzen." Es sei in der öffentlichen Diskussion gefährlich, die Dringlichkeit der Erderhitzung und deren Risiken zu verharmlosen: "Die Bezeichnung wissenschaftlicher Prognosen als 'Untergangsirrsinn' ist gefährlich und verstärkt die Wissenschaftsskepsis der österreichischen Bevölkerung." Gleichzeitig dürfe man aber auch nicht in Schockstarre verfallen.

Pläne gibt es bereits: Bis 2040 will die Bundesregierung wie auch die Städte Wien und Graz klimaneutral werden. "Allerdings sind die bis jetzt umgesetzten Maßnahmen absolut unzureichend, um diese Ziele plausibel zu erreichen", sagt Huppmann. Daher müssten die Energiewende und ein Wandel hin zu öffentlichem Verkehr und Radfahren vorangetrieben werden, die auch etwa der Luftverschmutzung entgegenwirken. Menschen mit geringen Einkommen müssen dabei besonders unterstützt werden. Der Bericht solle allen Entscheidungstragenden eine Mahnung sein, sagt der Experte: "Es geht um nichts weniger als den Erhalt unserer Lebensgrundlagen." (Julia Sica, Philip Pramer, Alicia Prager, 20.3.2023)