Kleinkinder rein pflanzlich ernähren? Davon wird von Expertinnen und Experten meist abgeraten.

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Sei es zum Wohl der Tiere, unserer Umwelt oder der eigenen Gesundheit: Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine vegane Ernährung. Als Veganer bezeichnet man Menschen, die auf Nahrung tierischer Herkunft verzichten – auf Fleisch, Milchprodukte und Eier, mitunter auch auf Honig. In Österreich leben laut Schätzungen etwa 106.000 Veganerinnen und Veganer, Tendenz steigend.

VIDEO – Zum vergangenen Weltvegantag stellte sich unser Videoteam die Frage: "Wie vegan is(s)t Österreich?"
DER STANDARD

Vegane Kinder

Jeder kann selbst entscheiden, wie oder was man isst. Kommen Kinder, stellen sich Eltern die Frage: Welche Ernährungsweise ist die richtige für Kinder? Regelmäßig Fleisch? Vegetarisch? Oder lieber doch ganz vegan? Es gibt überzeugte Veganer, die ihren Kindern dennoch Fleisch anbieten. Es gibt aber auch Familien, die komplett auf tierische Produkte verzichten – von Beginn an. Veganismus bei Kindern und Jugendlichen wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Die Nationale Ernährungskommission (NEK) rät während Schwangerschaft und Stillzeit von einer rein pflanzlichen Ernährung ab. Auch im gesamten Kindes- und Jugendalter sei das Risiko für Nährstoffdefizite und damit entstehende Gesundheitsstörungen zu hoch.

Anders sieht das die Academy of Nutrition and Diatetics in den USA, die weltweit größte und führende ernährungswissenschaftliche Vereinigung: Auch Kinder können demnach vegan ernährt werden, wenn sie ausreichend mit Vitamin B12, Eisen, Zink und Calcium versorgt werden. Dazu ist es nötig, dass die Familie gut plant und immer den Speiseplan des Kindes im Auge behält: Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sollen neben Gemüse und Obst täglich auf dem Speiseplan stehen. In den sonnenarmen Monaten (Oktober bis März) sollten zudem Vitamin B12 und Vitamin D eingenommen und eine jährliche Blutanalyse durchgeführt werden.

Alltagsdiskriminierung

In einer aktuellen Umfrage berichten vegane Familien, dass es aber nicht der zeitliche oder finanzielle Faktor ist, der vegane Ernährung schwierig macht. Belastend seien vor allem die gesellschaftlichen Anfeindungen, die viele deswegen erfahren. "Für vegane Familien ist derzeit in Deutschland kein unbeschwertes Familienleben möglich", sagt der Psychologe Guido F. Gebauer dazu. Gemeinsam mit der Kennenlernplattform Gleichklang.de, die seit mehr als 16 Jahren vegane Singles durch eine gezielte vegane Vermittlungsoption bei der Partnersuche unterstützt, befragte er 913 vegane Eltern mit Kindern unter 18 Jahren: Welche Auswirkungen hat die kontroverse Diskussion über die vegane Ernährung von Kindern auf den Alltag veganer Familien?

Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Befragten mit veganen Kindern gaben an, dass die Gesellschaft veganen Familien das Leben schwermache. Alltagsdiskriminierungen reichten in der Umfrage von Ablehnung und Kritik durch Familienangehörige, Ärzte, Nachbarn oder Zufallsbekanntschaften bis hin zur Verweigerung der Aufnahme der Kinder in Kindertagesstätten. Die meisten veganen Eltern beschrieben, dass ihnen bereits vorgeworfen worden sei, die Gesundheit ihrer Kinder zu schädigen oder ihre Kinder zur veganen Ernährung zu zwingen. Bei jedem vierten Elternteil ging dies sogar bis zum Vorwurf des Kindesmissbrauchs durch vegane Ernährung.

Mediale Berichterstattung

Angeheizt würden solche Vorwürfe des Kindesmissbrauchs vor allem durch mediale Berichte von mangelernährten Kindern oder Säuglingen. Die "FAZ" titelte einen Fall etwa so: "Wegen veganer Ernährung: Eltern nach Tod von Baby schuldig gesprochen". Schaut man sich die Fälle an, wird schnell klar: Primär handelt es sich um Kindesvernachlässigung, nicht um Veganismus (Anmerkung: Muttermilch ist vegan!). Häufig waren es Eltern mit esoterischem, unwissenschaftlichem Weltbild und einer Ablehnung der Schulmedizin.

Die Informationsplattform vegan.eu schreibt dazu etwa, dass die Eltern in diesem Fall nicht einmal Veganer gewesen seien: "Solche extremen Einzelfälle werden in der Berichterstattung häufig bereits durch fehlerhafte Überschriften nach dem Motto "krank durch vegane Ernährung" mit der veganen Ernährung an sich assoziiert." So titelte der "Spiegel" mit "Vegane Mutter setzte Baby auf Nuss-Obst-Diät". Dazu schreibt vegan.eu: "Wer Kleinkinder ausschließlich mit Reismilch oder Buchweizenmilch ernährt, gefährdet ihre Gesundheit, was rein gar nichts mit veganer Ernährung zu tun hat."

Außerdem: Mangelernährung und Vernachlässigung kämen auch in omnivoren Familien vor, was zeige, dass nicht die vegane Ernährung das Problem darstellt.

Vegane Ernährung hat auch Vorteile

Es ist unbestritten: Eine vegane Ernährungsweise für Kinder kann risikoreich sein, wenngleich es auch aktuelle Studien gibt, die bei richtiger Anwendung eine ganze Reihe an positiven Effekten feststellten: Dies ergab die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Auftrag gegebene VeChi-Youth-Studie, die die Nährstoffversorgung bei Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren mit vegetarischer und veganer Ernährung sowie Mischkost über einen Zeitraum von zwei Jahren verglich.

Vegane Kinder und Jugendliche sollen in der Regel bessere Cholesterinwerte und einen besseren Körperfettanteil im Vergleich zu fleischessenden Kindern haben. Zudem kam man in der VeChi-Youth-Studie zu dem Schluss, dass Kinder, die sich ausgewogen vegan ernähren, mehr Obst und Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte zu sich nehmen und somit mehr gesunde, mehrfach ungesättigte Fettsäuren und ungefähr doppelt so viele Ballaststoffe zu sich nehmen wie fleischessende Kinder.

Ein weiterer positiver Effekt von veganen Ernährungsformen laut der Studie: Kinder essen weniger Süßigkeiten und Fertiggerichte. In einigen anderen Studien wurde zudem festgestellt, dass Veganerinnen und Veganer häufig ein geringeres Risiko haben, übergewichtig zu werden und an Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck sowie an anderen Herzkrankheiten und Krebs zu erkranken.

Kritik belastet Familien

Von all diesen Vorteilen wird nur selten gesprochen. Auch in der aktuellen Umfrage über die gesellschaftlichen Auswirkungen auf vegane Familien äußerten fast alle der 913 veganen Familien den Wunsch, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nicht nur über mögliche Risiken, sondern auch Chancen der veganen Kinderernährung sprechen soll. Dies würde veganen Familie den Alltag erleichtern und Vorbehalte und Kritik einschränken. "Das ist für vegane Familien sehr belastend", sagt Gebauer.

Jede Entwicklungsaufgabe, wie Kindergartenbesuch oder Einschulung, könne mit Komplikationen verbunden sein. Selbst bei Arztbesuchen und Routineuntersuchungen müsse mit Kritik gerechnet werden. Der Psychologe befürchtet, dass veganen Eltern dadurch, ähnlich wie bei anderen diskriminierten Minderheiten, die Möglichkeit fehlt, ihre Kinder unbeschwert von gesellschaftlicher Ablehnung aufwachsen zu lassen. "Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass solche Vorbehalte und Mikroaggressionen die seelische Gesundheit der Betroffenen gefährden können."

Gebauer hält es für unzumutbar, vegane Eltern aufzufordern, ihre Kinder mit Tierprodukten zu ernähren. Das sei ein überaus starker Eingriff in die persönlichen Überzeugungen der Betroffenen und ihre Werte. Dieser Eingriff sei ebenso stark, wie wenn Eltern mit religiösen Bekenntnissen gezwungen werden würden, ihre Kinder mit durch ihre Religion verbotenen Nahrungsmitteln zu ernähren. Wenn die Gesellschaft eine solche Forderung an vegane Eltern stelle, würden sich vegane Eltern und ihre Kinder von der Gesellschaft entfremden, so der Psychologe. (Nadja Kupsa, 20.2.2023)