Es ist ein perfekt geöltes Uhrwerk: Alle sechs Monate veröffentlicht das Gnome-Projekt eine neue Generation des eigenen Linux-Desktops. Und so gibt es mit Gnome 44 nun wieder eine Reihe kleinerer und größerer Neuerungen. Darunter eine, mit der ein seit vielen Jahren regelmäßig aufgebrachter Kritikpunkt ausgeräumt wird.

Gnome 44

Der Kern-Desktop von Gnome nennt sich Gnome Shell, diese Komponente ist für Panel, Statusmenüs oder auch den App-Launcher zuständig. Mit Gnome 43 wurde dort der Bereich für Schnelleinstellungen komplett neu gestaltet – mit einem Fokus auf direkt erreichbare Aktionen, wie man es sonst vor allem von mobilen Betriebssystemen kennt. Mit Gnome 44 bessert man einige zentrale Kritikpunkte am Redesign aus.

Gnome 44 zieht Katzen magisch an.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die wichtigste Neuerung: Nun lässt sich in den Quick Settings auch rasch zwischen unterschiedlichen Bluetooth-Verbindungen wechseln, das war in der Vorgängerversion noch auf andere Verbindungen wie WLAN oder VPN beschränkt. Dazu passend wurde auch das Design der Schnelleinstellungen noch einmal angepasst, in einer zweiten Zeile werden nun mehr Details geliefert – etwa der Name der gerade aktiven Verbindung.

Im Hintergrund läuft etwas

Die Schnelleinstellungen wurden noch einmal überarbeitet und informieren auch über im Hintergrund laufende Programme – manche zumindest.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Ganz neu ist eine Abteilung, die sich "Background Apps" nennt. An dieser Stelle sollen jene Programme aufgezählt werden, die gerade im Hintergrund aktiv sind – also ohne dass ein Fenster am Desktop zu sehen ist. Damit soll Transparenz in dieser Hinsicht geschaffen werden. Zudem ist es an dieser Stelle gleich möglich, das betreffende Programm zu beenden. Ein Konzept, das man sich recht offensichtlich von Android abgeschaut hat, wo es Ähnliches in aktuellen Versionen bereits gibt.

Wichtig ist dabei aber auch, die Beschränkungen zu erwähnen. Denn dieses Feature ist natürlich nicht für alle möglichen Systemdienste gedacht, sonst wäre diese Liste rasch undurchschaubar. Stattdessen zielt es ganz auf Desktop-Programme – also mit grafischer Oberfläche – ab. Die technische Grundlage bildet dabei ein Desktop-übergreifendes Feature namens xdg-desktop-portal. Dieses wird derzeit aber nur bei Flatpaks unterstützt, dementsprechend werden derzeit ausschließlich solche Apps an dieser Stelle angezeigt. Ein erster Schritt also – aber auch ein ziemlich unvollständiger.

Detailverbesserungen

Zurück zur Gnome Shell als Ganzes: Bei dieser wurden nämlich auch die Log-in- und Lock-Screens grafisch überarbeitet. Konkret bedeutet das größere Logos, eine größere Uhrenanzeige und Änderungen beim Fokus für das Passwortfeld.

Dateien auswählen

Aber kommen wir zu dem, worauf manche bereits ziemlich lange gewartet haben. Mit Gnome 44 bietet der Dateiauswahldialog nun parallel zur gewohnten Listendarstellung endlich auch eine Vorschauansicht – ein Feature, das zuvor rund ein Jahrzehnt in Diskussion war. Diese Ansicht ist vor allem beim Aufspüren von Bildern deutlich sinnvoller, um diese auf den ersten Blick identifizieren zu können. Der Wechsel zwischen den beiden Ansichten kann über einen neuen Knopf rechts oben vorgenommen werden.

Wunder geschehen: Der Dateiauswahldialog bietet nun auch eine Bildvorschau.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Eine wichtige Einschränkung sei dabei allerdings erwähnt: Das klappt natürlich nur bei Programmen, die die neueste Generation des Gnome zugrunde liegenden Toolkits Gtk verwenden – also Gtk4. Das sind bei den mit Gnome mitgelieferten Programmen mittlerweile aber so ziemlich alle, bei Drittprogrammen sieht es noch etwas anders aus.

Passend dazu wurde übrigens auch die Listenansicht noch einmal überarbeitet, sie präsentiert sich jetzt etwas "luftiger" als in früheren Versionen, vergrößert also die Abstände zwischen den einzelnen Zeilen.

Dateimanager

Thematisch verwandt ist der Dateimanager von Gnome – einst mal Nautilus genannt. Dieser wurde für Gnome 43 einer größeren Überholung unterzogen, mit Gnome 44 bessert man noch einmal nach. So gibt es die Rückkehr des Tree-Views, also der verzweigten Listenansicht. Wer dieses Feature nutzen will, muss es allerdings über die Einstellungen vorher aktivieren, es bleibt also optional.

Die verzweigte Listenansicht und neue Tab-Optionen im Dateimanager.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Darüber hinaus gibt es einige Verbesserungen bei der Nutzung von Tabs. So können nun einzelne Dateien gezielt auf einen Tab in einem anderen Fenster gezogen werden, um dann dorthin kopiert zu werden. Im zugehörigen Kontextmenü finden sich ebenfalls einige neue Einträge – etwa für das nochmalige Öffnen gerade geschlossener Tabs.

Sehr nützlich ist auch die Möglichkeit, Bilder aus dem Zwischenspeicher des Systems direkt als Datei in einem Verzeichnis abzuspeichern – "Paste data as image" nennt sich das. Dazu kommt dann noch ein bisschen optischer Feinschliff, etwa bei den Verzeichnis-Icons, oder auch eine zusätzliche Größe bei der Icon-Ansicht.

Einstellungsfrage

Einige interessante Neuerungen gibt es bei den Systemeinstellungen. Da wäre etwa, dass sich WLAN-Passwörter nun via QR-Code mit anderen teilen lassen – das passende Icon findet sich neben gespeicherten Einträgen. Zudem können über die grafischen Tools nun auch moderne Wireguard-VPNs eingerichtet werden – und zwar sowohl manuell als auch über das Importieren entsprechender Konfigurationsdateien. Bisher musste man für diesen Schritt auf die Kommandozeile zurückgreifen.

Der Dialog zur Beurteilung der Hardware-Sicherheit wurde vereinfacht.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Auf die Kritik an der mit Gnome 43 eingeführten Ansicht zur Gerätesicherheit reagiert man mit Nachbesserungen – und das heißt im konkreten Fall vor allem Vereinfachungen. So wird nun statt all der Detailinformationen von Haus aus nur noch eine allgemeine Beurteilung zur Hardware-Sicherheit abgegeben. In diese fließen etwa Details zur Firmwareversion oder auch aktivierte Sicherheitsfeatures ein.

Getrennt wird allerdings noch der Secure-Boot-Status angezeigt, also ob dieses aktiviert sei. Zudem gibt es die Möglichkeit, für Fehlerberichte erst recht wieder alle Detailinfos zur Systemanalyse in den Zwischenspeicher zu kopieren – das entspricht dann jenen Informationen, die man in der Kommandozeile über den Befehl 'fwupdmgr security' erhält.

Ausgabe

Grundlegend überarbeitet wurden die Soundeinstellungen, was im konkreten Fall bedeutet: vereinfacht. Einige Details wie die individuelle Lautstärke für einzelne Programme wurden in einen separaten Dialog ausgelagert, um auf den ersten Blick die wichtigsten Funktionen ganz in den Vordergrund zu stellen. Der Dialog zur Auswahl von Alarmtönen wurde ebenfalls neu gestaltet, zudem können diese jetzt komplett deaktiviert werden. Ebenfalls mit einem frischen User-Interface präsentiert sich die Funktion zum Testen der Audio-Ausgabe.

Eine grobe Überarbeitung gab es bei den Einstellungen für Maus und Touchpad – und zwar eine, die wirklich sehr gut gelungen ist. So wird dabei etwa über Animationen visualisiert, wie sich die Wahl zwischen "traditionellem" und "natürlichem" Scrolling auswirkt. Auch gewisse Touchpad-Gesten werden nun auf diese Weise erklärt.

Die Einstellungen für Maus und Touchpad werden über Animationen hervorragend erklärt.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Barrierefreiheit

Komplett frisch aufgeteilt wurden die Einstellungen zum Thema Barrierefreiheit, die jetzt nach Bedürfnissen – also etwa Sehen oder Hören – sortiert sind. Dabei sind auch einige neue Funktionen eingeflossen, etwa die Möglichkeit, die Lautstärke über das eigentliche Maximum hinaus zu erhöhen. Wer will, kann auch die Scrollbalken quer durch das System dauerhaft sichtbar machen.

An sich ist es ein Randthema, aber ausnahmsweise sei es dann doch einmal erwähnt. Neben einem neuen Default-Wallpaper gibt es auch eine Reihe weiterer, neuer Bildschirmhintergründe, die gut gelungen sind. Vor allem gibt es sie jeweils auch in passenden Varianten für Light- oder Dark-Mode des Desktops, und sie werden beim Wechsel automatisch mitgetauscht.

Web

Der Gnome-eigene Browser wurde auf Gtk4 portiert.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Kommen wir zu den Kernanwendungen des Desktops: Die größten Neuerungen gibt es da beim Browser Web, der auf Gtk4 portiert und dabei auch grafisch überarbeitet wurde. Ein weiteres Highlight ist eine neue Tab-Vorschau.

Die Softwarezentrale von Gnome agiert in der neuen Version nicht nur flotter, es gibt auch optischen Feinschliff und ein paar neue Funktionen. So ist es hier nun möglich, die Auswahl der angebotenen Programme auf freie Software zu beschränken. Erfreulich ist zudem, dass nun bei der Deinstallation von Flatpaks auch nicht mehr benötigte Runtimes entfernt werden. Dazu kommt eine verbesserte Unterstützung für die Aktualisierung von Image-basierten Systemen wie OSTree. Auch bei diesen wird jetzt ein Fortschrittsbalken angezeigt, und es gibt Details, was sich bei den aktualisierten Bestandteilen getan hat.

Vermischte Programme

Mehr Bilder bei den Detailinfos in Gnome Maps.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD
Eine Tab-Übersicht für die Kommandozeilenanwendung Console.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Nach längere Zeit gibt es wieder einmal signifikante Neuerungen für die Kontakte-Anwendungen von Gnome, neben User-Interface-Anpassungen gehört dazu auch die Möglichkeit, Kontaktinformationen via QR-Code zu teilen. Gnome Maps bietet nun dank des Rückgriffs auf Wikidata mehr Bilder zu einzelnen Orten, auch die Tastaturnavigation in der Suchfunktion wurde verbessert.

Die Terminal-Anwendung Console bietet eine neue Tab-Übersicht, bei der sämtliche offene Kommandozeilensitzungen übersichtlich nebeneinander präsentiert werden. In "Clocks" gibt es nun bei der Weltuhrenanzeige eine Stundendarstellung, und die Wetter-App des Desktops hat bei der Kurvendarstellung ein bisschen optischen Feinschliff erhalten. Dann wäre da noch die Virtualisierungslösung Boxes, bei der der Dialog für das Einrichten neuer virtueller Maschinen neu gestaltet wurde, und zwar so, dass alle wichtigen Details jetzt auf einer Seite zu finden sind.

Grundlagen

Durchaus interessant ist aber auch, was sich an der Basissoftware getan hat. Der Fenstermanager Mutter bietet nun verbesserten Support für "Fractional Scaling", also das Skalieren der gesamten Ansicht um nicht ganzzahlige Faktoren, an. Das gab es versteckt bei Gnome zwar schon jetzt, nun wird dafür aber das offizielle Wayland-Protokoll verwendet, was den Support verbessern soll. Einfach über die Systemeinstellungen nutzen lässt sich das derzeit aber noch nicht.

Versteckt findet sich in Gnome 44 bereits der Vorbote für das nächste große Thema bei der Entwicklung des Desktops: HDR-Support. An diesem arbeitet derzeit Softwarehersteller Red Hat / IBM eifrig, in der aktuellen Version bietet der Fenstermanager experimentelle Modi, mit denen aber noch nicht viel Sinnvolles anzufangen ist. Zudem verabschieden sich immer mehr Gnome-Komponenten von Altlasten. Dieses Mal sind es etwa Mutter und die Gnome Shell, die die Abhängigkeit vom veralteten Gtk3 komplett streichen.

Fazit

Die ganz großen Änderungen mögen in Gnome 44 zwar fehlen, trotzdem erweist sich die neue Version als durchaus signifikantes Upgrade. Einfach weil all die kleinen "Quality of Life"-Verbesserungen in Summe den Desktop-Alltag vereinfachen. Generell ist zu begrüßen, dass sich das Gnome-Projekt zuletzt zunehmend auf solche Themen konzentriert – und dabei auch langjährige Kritikpunkte nach und nach ausräumt.

GNOME

Gnome 44 steht ab sofort in Form des Quellcodes der einzelnen Komponenten zur Verfügung. Die neue Version wird aber auch schon bald in die Entwicklungszweige vieler Distributionen einfließen – zum Teil ist das sogar schon passiert. Wer einfach nur mal kurz hineinschnuppern will, für den gibt es in Form von Gnome OS aber auch ein Testsystem, das entweder auf einem USB-Stick oder auch in einer Virtualisierung ausprobiert werden kann. (Andreas Proschofsky, 22.3.2023)