Seit 1536 wird in der Wiener Kurrentgasse Brot gebacken.

Foto: Regine Hendrich

Andreas Maderna hat die Bäckerei Grimm 2003 von seinem Vater übernommen. Für ihn ist Bäcker kein Beruf, es ist tatsächlich eine Berufung, "sonst könnte ich es auch nicht machen".

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Der Grimm ist noch ein traditioneller Handwerksbetrieb, allerdings auf dem letzten Stand der Technik. Natürlich gibt’s auch einen altehrwürdigen Sauerteig, seit Mitte der 1970er-Jahre wird er gepflegt.

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Heute gibt's in ganz Wien vielleicht 25 Bäcker, wie Maderna schildert: "Die produzierende Branche ist am Aussterben."

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"Willkommen in der ältesten aktiven Bäckerei von Wien, der Welthauptstadt des Brotes!" Andreas Maderna, der mit seiner Lebensgefährtin Catherine Schrott die Bäckerei Grimm in der Wiener Kurrentgasse führt, ist merklich stolz auf sein Geschäft. Nicht ohne Grund – nicht nur ist "der Grimm" die älteste noch betriebene Bäckerei Wiens, sie läuft auch nach wie vor bestens, was nicht zuletzt an der Sorgfalt der Arbeit und der Qualität der Ware liegt.

"Hier wird nachweislich seit 1536 Brot gebacken", erklärt Maderna, während er tief in den Bauch von Wien führt, wo es sanft nach Hefe und Sauerteig duftet. Die Backstube liegt nämlich unter dem Verkaufsraum. Früher waren viele produzierende Betriebe Wiens im Keller angesiedelt – aus Kosten- und Platzgründen: Die Innenstadt war ja mehrere Geschoße tief unterkellert, und der Raum unter der Erde am günstigsten. Hier im Haus "Zum großen Ofenloch", der Name stammt noch aus der Zeit, als es noch keine Straßenbezeichnungen gab, gibt’s noch fünf Untergeschoße, zwei davon werden genutzt. "Weiter unten ist es mir zu entrisch", lacht Maderna.

Der Grimm ist noch ein traditioneller Handwerksbetrieb, allerdings auf dem letzten Stand der Technik: So gibt’s auch einen Rezeptcomputer, der für die automatische Temperierung und Dosierung von Mehl, Wasser, Hefe oder Salz sorgt. "Nicht weil wir zu faul sind, das selbst abzuwiegen, sondern aus Qualitätssicherungsgründen. Es macht beim Backen einen Riesenunterschied, ob das Wasser acht Grad hat oder zwölf." Nach dem Mischen hat der Teig eine Temperatur von 26 bis 28 Grad, so wird das Ergebnis optimal. Nur die Eier werden von Hand zugegeben, auch Zucker wird per Hand dosiert.

Mehl, mehr Mehl

Die Mehle lagern einen Stock tiefer, die Frage nach der Anzahl der verschiedenen Mehlsorten kommentiert Maderna mit: "Keine Ahnung, um Gottes willen …" Am häufigsten verwendet werden jedenfalls Weizen 1600, Roggen 960, Weizen 700 und Weizen 480, gelagert in Silozellen im zweiten Untergeschoß. Die Zutaten werden möglichst lokal bezogen: Das Roggenmehl kommt aus der Mühle in Oberlaa, der Weizen aus Niederösterreich. "Fast das ganze Getreide, das wir verwenden, stammt aus maximal 40 km Entfernung von Wien." Auch die Eier kommen vom regionalen Bauern, nicht etwa aus dem Karton: "Ja, wir haben richtige Eier", lacht Maderna.

"Insgesamt arbeiten wir mit vielleicht 25 verschiedenen Ingredienzen. Mehr braucht man nicht – abgesehen von Gewürzen und Dekoration." Auch hier achtet Maderna auf Details: "Ob man frischen Zitronensaft oder den gekauften aus der Flasche verwendet, merkt man total." Auch Vanillezucker ist hier selbstgemacht. "Wenn ich im Winter Vanillekipferln mach, lege ich die Schoten in Zucker – und hab dann für die Osterpinzen den besten Vanillezucker."

Original Fastfood

Die Einrichtung der Backstube ist natürlich auch geschichtsträchtig wie nur was. Maderna zeigt auf ein Riesenmöbel, auf dem ein paar Simperln liegen, wie die Brotgärkörbe auf Wienerisch heißen. "Dieser Tisch war früher der Mischbottich, in dem früher der Teig gerührt wurde." Heute liegt eine massive Holzplatte auf dem mehrere Meter breiten, halb zylinderförmigen Eisenteil, früher standen die Bäcker nebeneinander davor und rührten den Teig mit den Händen. Eine Schwerarbeit, die heute maschinell erledigt werden kann. Daneben steht der Teigportionierer, in einer anderen Ecke ein riesiger Sterilisator, in dem vorgeschnittenes Brot bei 80 Grad Kerntemperatur sterilisiert wird.

Maderna hat den Betrieb 2003 von seinem Vater Günter übernommen, der wiederum hat ihn 1962 von Helene Grimm, der Witwe des letzten Betreibers, gekauft, der Name wurde beibehalten. "Leider hat er nur den Betrieb gekauft, nicht das Haus", bemerkt Maderna trocken. "Als mein Vater damals begonnen hat, er war erst 23 Jahre alt, gab’s noch 380 produzierende Bäcker in Wien, davon 13 in der Innenstadt. Heute gibt's in ganz Wien vielleicht 25. Die produzierende Branche ist am Aussterben." Vom Bäcker werden nur mehr etwa zehn Prozent der konsumierten Backwaren bezogen, 90 Prozent kommen aus Supermärkten und Tankstellen. Andererseits: Der Drang der Österreicher, auch am Sonntag an der Tankstelle an ihre Weckerln zu kommen, zeigt ja, wie wichtig das Gebäck nach wie vor als kulinarisches Kulturgut sind. Das gefüllte Weckerl ist ja eigentlich Österreichs originales Fastfood, oder? "Das Leberkassemmerl!", widerspricht Maderna energisch.

Früh aufstehen

Bäcker, das ist auch der Beruf der Frühaufsteher – damit es morgens frisches Brot und Gebäck gibt, muss man ja schon in der Nacht damit anfangen, für Maderna ist um 21 Uhr Zapfenstreich. "Am Anfang mache ich Produktionsplanung, dann bereite ich die ganzen Brüh- und Quell stücke vor", also Körner für Vollkornbrot, die mit kochendem Wasser vorbehandelt werden, sonst wären sie im Brot zu hart. "Das kostet mich drei Stunden am Tag, aber das ist es wert! Klar gibt es Backmischungen, mit denen man in einer Stunde Brot machen kann, aber das Resultat ist halt nicht gut. Einen Puch 500 kann ich auch auf 200 km/h beschleunigen – wenn ich ihn vom Mount Everest runterwerfe!"

Für Maderna ist Bäcker kein Beruf, es ist tatsächlich eine Berufung, "sonst könnte ich es auch nicht machen". Wollte er jemals eine andere Laufbahn einschlagen? "Natürlich. Ursprünglich wollte ich in die Technik. Ich hatte als 16-jähriger einen Deal mit meinem Vater, dass ich die Aufnahmeprüfung in der HTL und in der Handelsschule mache, und dort, wo ich das bessere Ergebnis habe, dort geh ich dann hin." Durch eine Verkettung ungünstiger Umstände wurde es dann die Handelsschule, "heute bin ich aber froh, denn es ist der schönste Beruf, den ich mir überhaupt vorstellen kann. Es ist ein total kreativer Beruf, man kann sich wirklich ausleben."

Die Mohnflesserl-Frage

Natürlich gibt’s auch beim Grimm einen altehrwürdigen Sauerteig, seit Mitte der 70er-Jahre wird er gepflegt. Damals war er noch in einem Holzfass gelagert und musste alle vier Stunden mit einem Holzpaddel durchgerührt werden. "Als Lehrling, der das meistens hat tun müssen, ist mir das auf den Nerv gegangen – ich dachte, dass das eine Zeitschaltuhr doch mindestens genauso gut erledigen kann!" Gesagt, implementiert: Heute werden die ca. 70 kg Grimm-Roggensauerteig mittels elektronischer Steuerung gerührt. Kilo, nicht Liter: "Bei uns wird alles gewogen, auch das Wasser. Das macht die Dosierung genauer." Apropos genau: Wie hält es Maderna eigentlich mit der umstrittenen Mohnflesserl-Glaubensfrage? Mit oder ohne Salz? Maderna überrascht mit entspanntem Zugang: "Ich hab sie am liebsten ohne, weil ich sie gern mit Marmelade esse. Aber wir machen auch welche mit Salz." (Gini Brenner, 21.3.2023)