Wollen Gemeinden öffentliche Grundstücke nicht verkaufen, können sie ein temporäres Baurecht vergeben. Das ist für Baurechtnehmer kurzfristig günstiger, bringt der Gemeinde aber langfristig mehr Geld.

Foto: Midjourney

"Der Markt ist total dysfunktional. Das sehen wir in Berlin seit Jahren", sagt Achim Lindemann. Der Aktivist sieht lediglich die Interessen großer Wohnungskonzerne bedient, während die Mieten immer weiter steigen. "Es gibt keine Regulationsmöglichkeiten für das Land Berlin. Deswegen müssen die Wohnungen vom Markt." Lindemann ist einer der Vertreter der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen", die das gleichnamige Volksbegehren mit knapp 360.000 Unterschriften zum Volksentscheid im September 2021 führte.

Laut Lindemann betreffe das über 200.000 Wohnungen. Derzeit prüft eine Kommission aus Expertinnen und Experten mögliche Umsetzungen. Lindemann erwartet erste Ergebnisse im Mai. Danach kann der Berliner Senat ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten sowie einen Verwaltungsträger bestimmen.

Letzter Hebel für leistbare Mieten?

Möglich macht diese durchaus ungewöhnliche Situation Artikel 15 im Grundgesetz. Er erlaubt eine Vergesellschaftung von Grund und Boden sowie der darauf befindlichen Immobilien. Die Forderung des Volksentscheids laut Initiative: Besitzen private Wohnungsunternehmen mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin mit Gewinnerzielungsabsicht, sollen diese vergesellschaftet, sprich enteignet und entschädigt, werden. Wenn ein Unternehmen auch außerhalb Berlins Wohnungen hat, darf es diese behalten. Man wolle nicht die Konzerne als solche vergesellschaften, stellt Lindemann klar, sondern nur die Berliner Bestände.

In Berlin könnten schon bald über 200.000 Wohnungen vergesellschaftet werden.
Foto: Getty Images/iStockphoto/bluejayphoto

"Die Enteignung mag radikal klingen. Sie ist aber in Anbetracht der Gesamtumstände vernünftig, da sie unser letzter Hebel für eine funktionierende Wohnraumversorgung ist", sagt Lindemann. Neubauten könnten die Wohnungskrise nicht lösen. Sie würden nur zu noch mehr teuren Wohnungen führen.

Doch ist die Auflösung von privatem Grundeigentum tatsächlich eine Lösung? Ein Blick in die Vergangenheit und über die Ländergrenzen hinweg zeigt alternative Zugänge zum aktuellen System, die zu funktionieren scheinen.

Bodenlose Diskussion

Zumal Privateigentum an Grund und Boden in Österreich keine lange Tradition hat. Für alle möglich machte das erst die Aufhebung der Grundherrschaft 1848. Während das deutsche Grundgesetz eine Sozialbindung des Eigentums kennt, steht im österreichischen Staatsgrundgesetz: "Eigentum ist unverletzlich." "Dieser besonders stark ausgeprägte Schutz behindert nötige Maßnahmen gerade in Bezug auf die Klimakrise und den voranschreitenden Bodenfraß enorm", sagt Kuratorin Karoline Mayer.

In Zusammenarbeit mit Katharina Ritter hat sie zwei Jahre lang recherchiert. Die beiden sind während ihrer Forschung sprichwörtlich im Boden versunken, um dessen Geschichte und Status quo zu erheben. Mayer hat sogar ein Jahr Raumplanung studiert. Ihre gesammelten Infos sind während der Ausstellungstour Boden für Alle durch alle Bundesländer zu sehen. Aktuell gastiert die Ausstellung in Eisenstadt.

Boden werde zu häufig als Ware gesehen, als Kapital und Spekulationsobjekt, ist Katharina Ritter überzeugt. Das zeige sich nicht zuletzt an den Preisen. Viele Menschen hätten den Bezug zu dem verloren, was er eigentlich ist – nämlich endlich und wertvoll. "Würde die Privatisierung von Wasser oder gar Luft diskutiert, gebe es einen großen Aufschrei", sagt Ritter. Das haben nicht zuletzt Diskussionen in der Vergangenheit bewiesen. Der Besitz von Boden hingegen gelte als selbstverständlich, wenngleich emotional sehr wichtig.

Wertsteigerung teilen

Doch was wäre nun, wenn dieser Besitz nicht als selbstverständlich gesehen würde, es kein kapitalistisches Eigentum an Grund und Boden gebe? Der deutsche Philosoph Niklas Angebauer stellt sich dieser Frage in seiner Forschung an der Universität Oldenburg. Er selbst ist der Meinung, dass eine "pauschale Eigentumsfeindschaft zu platt und billig ist – damit verschwinden die Probleme nicht".

Nichtsdestotrotz sei privates Grundeigentum derzeit in "Schieflage, toxisch und ungerecht". Eigentum nütze dem privaten Eigentümer, und das auf Kosten der Gesellschaft – es brauche eine Neuausrichtung der Verhältnisse. Angebauer schlägt daher vor: genossenschaftliches und öffentliches Eigentum stärken, Bodenspekulation verhindern und die kommunale Kontrolle in Form von Steuern und vorausschauender Planung ausweiten.

Gerade in Städten steigen Nachfrage und Grundstückspreise stetig. Je besser das Umfeld mit Parks, U-Bahn-Stationen oder etwa einem Zugang zum Fernwärmenetz ausgestattet ist, desto höher liegt der Wert des Bodens. Da hier aber die öffentliche Hand und nicht der Eigentümer eine Leistung erbringt, sollte eine Bodenwertsteigerung laut Angebauer auch nicht gänzlich dem Eigentümer zufallen, sondern der Allgemeinheit.

Werden Grünflächen in Bauland umgewidmet, steigt der Wert des Grundstücks meist um ein Vielfaches.
Foto: Büger*innen-Initiative AUF DER G/R. Maracek

Einheitssteuer auf Boden

Eine Idee, die von Expertinnen und Experten immer wieder genannt wird, damit Gemeinden mitverdienen, wenn sie etwa Grünflächen zu Bauland widmen und dadurch der Wert des Bodens steigt, ist, eine sogenannte Wertzuwachsabgabe einzuführen. Neu ist sie allerdings nicht.

Der US-Ökonom Henry George plädierte in seinem Buch "Progress and Poverty" bereits im 19. Jahrhundert dafür, alle Steuern abzuschaffen und stattdessen eine einzige Abgabe zu erheben – die Bodenwertsteuer. Der Staat sollte all seine Kosten damit decken. Besteuert werden sollten leistungslose Erträge durch Grundbesitz. Georges Theorie zufolge würde das Spekulationen mit Grund und Boden verhindern und Grundeigentümer zu einer sinnvollen Nutzung des Bodens zwingen.

Um Georges Theorie spielerisch zu erklären, hat Elizabeth J. Magie um 1904 eine erste Version des beliebten Gesellschaftsspiels "Monopoly" entwickelt. Sie nannte es damals "The Landlord's Game". "Es sollte die desaströsen Auswirkungen von privatem Grundbesitz aufzeigen", sagt Angebauer, "ungebremster Kapitalismus konnte dadurch spielerisch erlernt werden."

"Monopoly" einmal anders

Wer schon einmal "Monopoly" gespielt hat, weiß um die Vorteile von Grundbesitz an der richtigen Stelle. Eine Version des Spiels enthielt damals auch eine Bodenwertsteuer, die alle Spieler jede Runde abgeben mussten, weiß Angebauer. Das Ergebnis: mehr Chancengleichheit und höhere Einnahmen.

In Wien gab es eine derartige Steuer zwischen 1919 und 1934. Besteuert wurden damals Wertzuwächse bei Haus- und Grundstücksverkäufen. Eine später eingeführte Wohnbausteuer besteuerte Mieten. Diese Abgaben finanzierten Wohnbauprogramme und dämmten Grundstücksspekulationen massiv ein.

Wer "Monopoly" kennt, weiß um die Vorteile von Grundstücken in guten Lagen.
Foto: REUTERS/THOMAS WHITE

In der Schweiz existiert die Abgabe bis heute. Das Raumplanungsgesetz verpflichtet die Kantone, mindestens 20 Prozent eines Mehrwerts abzuschöpfen, wenn Grundstücke von Gemeinden neu als Bauland gewidmet werden. "Die Kantone und Gemeinden können das Geld für die Gestaltung öffentlicher Plätze und Parks einsetzen", heißt es im öffentlichen Faktenblatt.

Flächenfraß verringern

Diese Erkenntnis bedeutet für Gernot Stöglehner aber auch, dass man privaten Grundbesitz nicht abschaffen muss. Er leitet das Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung an der Boku Wien. Die Frage sei viel eher, was mit der Fläche geschehe und wie sichergestellt werden könne, dass sie unabhängig von der Eigentumsform im Sinne der Raumplanungsziele genutzt wird.

Um beispielsweise Flächenfraß und Zersiedelung zu stoppen, sieht er harte Siedlungsgrenzen, innerhalb derer gebaut werden darf, als wirksamere Maßnahme. "Niemand steht auf und denkt sich, ich will 500 Quadratmeter Boden versiegeln, aber viele stehen mit dem Wunsch, ein Haus zu bauen, auf." Das Bedürfnis nach Wohnraum könne – mit den richtigen Maßnahmen – bodenschonend gestillt werden.

Würden alle österreichischen Haushalte beispielsweise in Reihenhäusern wohnen, würden wir nur zwei Drittel der derzeit gewidmeten Bauflächen benötigen, rechnet Stöglehner vor. Wichtig seien Maßnahmen, um das Bereichern durch Grundbesitz mittels Spekulation zu unterbinden. Stöglehner hält etwa eine Grundsteuerkategorie für Leerstand für sinnvoll.

Bauen ohne Grundbesitz

Wohnen und vor allem Bauen ist aber auch ohne Grundbesitz möglich. Die Eigentümerin, etwa die öffentliche Hand, kann nämlich ein Baurecht für begrenzte Zeit – meist 99 Jahre – vergeben und bekommt dafür einen jährlichen Zins. "Das ist für Baurechtnehmer kurzfristig günstiger, bringt der Gemeinde aber langfristig mehr Geld", sagt Kuratorin Karoline Mayer. Sobald das Baurecht endet, gehen die Nutzungsrechte an Grund und Gebäude zurück an die Eigentümerin. Meist wird eine Option auf Verlängerung vereinbart.

Das Prinzip scheint immer mehr Anklang zu finden. Im ehemaligen Areal des Sophienspitals in Wien-Neubau entsteht derzeit ein neues Gebiet mit Wohnungen, Schulen, Kindergärten, Gastronomiebetrieben und Park – alles mittels Baurecht. Der Grund bleibt also in Besitz der Stadt, Bauträger sparen sich den Erwerb des Grundstücks.

In Basel-Stadt geht man noch weiter. Die Initiative "Boden behalten – Basel gestalten" forderte 2016, dass Immobilien, die im Kanton Basel-Stadt liegen und im Eigentum der Einwohnergemeinde Basel oder des Kantons stehen, grundsätzlich nicht verkauft werden dürfen. Landverkauf durch den Kanton ist seither nur durch Landerwerb in gleichem Ausmaß als Ausgleich möglich. Areale werden hauptsächlich im Baurecht abgegeben.

In Basel wird kaum Grund verkauft, stattdessen vergibt der Kanton Baurechte.
Foto: Novartis

Ein Land für alle

Währenddessen verfolgt Amy Balkin ein ganz anderes Ziel. Die Künstlerin hat vor 20 Jahren ein Grundstück in Tehachapi, Kalifornien, gekauft. Seither versucht sie, die über 10.000 Quadratmeter für jede Person dauerhaft und kostenlos nutzbar zu machen. "This is the public domain" nennt sie das Projekt. Bisher ist Balkin daran gescheitert eine geeignete Rechtsform zu finden, die es ermöglicht, das Land tatsächlich jeder Person gemeinfrei zugänglich zu machen. Ohne privaten Grundbesitz scheint es also auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch nicht zu funktionieren. (Julia Beirer, 27.3.2023)