Die Aktivität unseres Herzens ist an unserer Wahrnehmung der Welt und damit auch der Zeit maßgeblich beteiligt.

Foto: imago images/Westend61

Nicht nur für die moderne Physik ist die Zeit relativ, auch wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass sich die Zeit je nach ihren Umständen ausdehnt oder verkürzt. Unter sehr unangenehmen Bedingungen können Sekunden zu Minuten werden. Wenn wir hingegen eine Deadline vor uns haben, vergehen die Stunden mitunter wie im Flug.

Seit der Covid-Pandemie hat das psychologische Interesse an unserer Zeitwahrnehmung noch einmal deutlich zugenommen. Vor drei Jahren kamen für die meisten von uns sehr viele außerhäuslichen Aktivitäten abrupt zum Stillstand; Menschen auf der ganzen Welt hatten es plötzlich mit weniger strukturierten Zeitabläufen zu tun. Vor allem ältere einsame Menschen gaben an, dass sich die Zeit verlangsamt – jüngere, aktivere Menschen hingegen, dass sie sich beschleunigt.

Wahrnehmung von Mikrosekunden

Eine neue Studie von Forschenden aus den USA und Deutschland befasst sich mit einem etwas anderen Thema: nämlich wie wir den Ablauf von Mikrosekunden wahrnehmen. Ein Team von Psychologen um Adam Anderson (Cornell University) statteten Studierende mit Elektrokardiogrammen aus, um die Länge jedes Herzschlags genau zu messen, und baten sie dann, die Länge von kurzen Tönen zu schätzen.

Das Hauptergebnis der Untersuchung, die im Fachblatt "Psychophysiology" veröffentlicht wurde: Einige dieser Verzerrungen auf der Ebene von Mikrosekunden dürften durch den Herzschlag bedingt, dessen Länge von Moment zu Moment variiert. Konkret: Die Probanden neigten nach einem längeren Herzschlagintervall dazu, den Ton als länger wahrzunehmen; kürzere Intervalle führten hingegen dazu, dass die Probanden den Ton als kürzer einschätzten.

Eine niedrigere Herzfrequenz scheint ganz allgemein die Wahrnehmung zu unterstützen, sagte Saeedeh Sadeghi, Doktorandin an der Cornell University und Erstautorin der Studie. "Wenn wir Dinge aus der Außenwelt wahrnehmen müssen, sind die Herzschläge ein Geräusch für den Kortex", sagte sie. Man könne die Welt besser abtasten und Dinge besser aufnehmen, wenn das Herz ruhig ist.

Gehirn und Herz im Duett

Nach früheren Untersuchungen, die sich auf das Gehirn konzentrierten, liefere die Studie weitere Beweise dafür, dass es "keinen einzelnen Teil des Gehirns oder des Körpers gibt, der die Zeit steuert – es ist alles ein Netzwerk", ergänzt Sadeghi: "Das Gehirn kontrolliert das Herz, und das Herz wiederum beeinflusst das Gehirn."

Dass der Körper so sehr in die Zeitwahrnehmung involviert ist, erklärt Letztautor Adam K. Anderson vor allem damit, dass die Zeit eng mit den Stoffwechselbedürfnissen verbunden sei: "Wenn der Körper eine Batterie oder ein Benzintank wäre, würde er in diesem Moment versuchen zu sagen: Wie viel Energie haben wir? Je nachdem, wie viel körperliche Energie wir haben, erscheinen uns die Dinge zeitlich kürzer oder länger." (Klaus Taschwer, 25.3.2023)