Scotland Yard gibt es seit 193 Jahren.

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Louise Casey ist Abgeordnete im Oberhaus und war für den Bericht zuständig.

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Rassismus, Sexismus, Homophobie – Scotland Yard habe "als Institution" versagt und das Vertrauen der Londoner Bevölkerung verloren. Zu diesem Schluss kommt der verheerende Prüfbericht der früheren Spitzenbeamtin Louise Casey. Die ausführliche Analyse hat am Dienstag eine umfassende Debatte über die Zukunft der weltweit berühmten und bei weitem größten Polizeibehörde des Landes ausgelöst. Es habe über lange Jahre "Führungsversagen und mangelnde Standards" gegeben, teilte die konservative Innenministerin Suella Braverman im Unterhaus mit. Bis zur Besserung der Verhältnisse würden weitere Jahre ins Land gehen.

Die 193 Jahre alte Behörde kommt seit vielen Jahren nicht aus den Schlagzeilen. Bereits 1999 sprach eine Kommission unter Leitung des pensionierten Höchstrichters William Macpherson von "institutionellem Rassismus". Das Gremium war dem Mord an dem schwarzen Jugendlichen Stephen Lawrence auf den Grund gegangen. Dessen mutmaßliche Mörder, allesamt Weiße, kamen davon, weil die Polizei vom ersten Moment an die Untersuchung verschleppte und Hinweise auf die Täter unterschlug.

Stattdessen konzentrierten sich die Ermittlungen auf das Opfer. "Nur weil Stephen schwarz war, vermutete die Polizei, dass er einer Gang angehörte", klagte Lawrences Mutter Doreen, deren unermüdlicher Kampf um Gerechtigkeit ihr schließlich einen Sitz im Oberhaus einbrachte.

Engagierte Baronin

Der zweiten Parlamentskammer gehört auch Casey als Baronin an. Schon seit Jahren treten immer wieder Behörden oder die Regierung an die unerschrockene Frau heran, wenn es um die Aufklärung schwieriger Sachverhalte geht. Jahrelang kümmerte sich Casey um Obdachlose, ging später den Sexualverbrechen asiatischer Taxifahrer im nordenglischen Rotherham auf den Grund. Im Herbst 2021 wurde sie mit der Untersuchung der Metropolitan Police (MPS) beauftragt, nachdem ein schrecklicher Kriminalfall die Hauptstadt erschüttert hatte.

Verurteilt für die Entführung, die Vergewaltigung und den Mord an der jungen Londonerin Sarah Everard wurde damals ausgerechnet ein Angehöriger der bewaffneten MPS-Einheit, der die Bewachung von Parlament, Regierung und Königshaus obliegt. Weil sich nach der schrecklichen Tat im März 2021 tausende Frauen im Süd-Londoner Park Clapham Common zu einer stillen Mahnwache versammelten, was dem Buchstaben des Gesetzes nach trotz Abstand und Gesichtsmasken illegal war, wurden die Demonstrantinnen ruppig auseinandergeprügelt. Im Jänner dieses Jahres erhielt ein weiterer Angehöriger der bewaffneten Elite-Einheit eine lebenslange Freiheitsstrafe für eine Serie von Vergewaltigungen.

"Spielzeug" für den "Bubenklub"

Mit der Führung der Personenschutzabteilung geht Casey in ihrem 363-seitigen Bericht sowie Medieninterviews hart ins Gericht. Dort wie an vielen anderen Stellen der Behörde habe sie "einen Bubenklub" vorgefunden, dem die Führung "jedes erdenkliche Spielzeug" genehmigt habe. Hingegen müssen sich einfache Kriminalbeamte mit kaputten Kühlschränken und überfüllten Asservatenkammern herumärgern, weshalb allzu viele Straftaten unaufgeklärt bleiben.

"Besonders schockiert" sei sie beim Studium der Sexualstrafstatistik gewesen, gab die als überaus robust bekannte Casey zu Protokoll. Vergewaltiger, die ihr Opfer zudem auch ermorden, würden fast immer gefasst, erläuterte die Baronin gegenüber der BBC. Das liege an der überwiegend guten finanziellen und personellen Ausstattung der Mordkommissionen. Lasse der Täter sein Opfer hingegen lebend zurück, sei die Aufklärungsrate "sehr schlecht". Drastischer äußerte sich eine Kriminalbeamtin gegenüber Casey: So viele Vergewaltigungen blieben unaufgeklärt, "dass man praktisch sagen muss: Sie sind legal."

Beinahe ein Vierteljahrhundert nach Macphersons Empfehlungen spiegelt Scotland Yard noch immer die Bevölkerung der Metropole nicht annähernd wieder. Lediglich 29 Prozent der Beamten sind Frauen. Der Anteil von Angehörigen ethnischer Minderheiten liegt bei 18 Prozent, während in London mittlerweile 46 Prozent der Bevölkerung nichtweißen Gruppen angehören.

Mobbing mit Speck und Banane

Das Missverhältnis könnte mit Zwischenfällen zu tun haben wie jenen, die Casey protokolliert: Einem schwarzen Beamten legten Kollegen eine Banane auf den Stuhl, einem Muslim schoben sie gebratenen Speck in die Schuhe, einem Sikh wurde der Bart abgeschnitten. Wer sich beschwerte, wurde als humorloser Querulant abqualifiziert.

Für die Aufsicht über die 43.500 Menschen starke Behörde ist neben der Innenministerin auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan zuständig. Der Labour-Mann hatte erst im vergangenen Jahr Polizeipräsidentin Cressida Dick zum Rücktritt gezwungen. Auch damals war schon von "Rassismus, Sexismus, Homophobie, Mobbing, Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit" die Rede. Dicks Nachfolger Mark Rowley steht nun unter hohem Druck aufzuräumen.

Er akzeptiere Caseys Diagnose, sagte der Spitzenbeamte am Dienstag und sprach von "endemischen Problemen". Hingegen lehne er das Label der rassistischen und sexistischen "Institution" ab, erläuterte der 58-Jährige, was bei Polizeikritikern für Empörung sorgte. In jedem Fall dürfte Rowley, früher selbst Kommandeur des bewaffneten Personenschutzes, die allerletzte Chance von Scotland Yard darstellen, sich das Vertrauen der Bevölkerung zurückzuholen. (Sebastian Borger aus London, 21.3.2023)