Der Net-Zero Industry Act soll die Produktionskapazität für PV-Anlagen und grünen Wasserstoff deutlich steigern.

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Erst Anfang des Jahres hat die Europäische Kommission ihren "Green Deal Industrial Plan" vorgestellt. Das Ziel: Die europäische Industrie soll die für 2050 angestrebte Klimaneutralität einhalten, gleichzeitig aber international wettbewerbsfähig bleiben. Dieser "Green Plan" ist das Gegenstück zum US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) und soll unter anderem ein vereinfachtes regulatorisches Umfeld etablieren und so den raschen Ausbau der Netto-Null-Industrie in der EU fördern.

Um dieses Ziel zu erreichen, scheut die EU nicht davor zurück, tief in den Binnenmarkt einzugreifen: Der erst unlängst vorgestellte Vorschlag für eine Verordnung über kritische Rohstoffe soll etwa dafür sorgen, dass bis 2030 mindestens zehn Prozent des EU-Bedarfs an kritischen Rohstoffen aus eigenem Abbau gedeckt werden. Mit dem Net-Zero Industry Act, den die Kommission vergangenen Donnerstag präsentiert hat, soll zudem die Produktionskapazität für die strategisch wichtigsten Netto-Null-Technologien, wie etwa Photovoltaik, Windkraft, grüner Wasserstoff und Energiespeicher bis 2030 auf mindestens 40 Prozent des Bedarfs der EU gesteigert werden.

Schutz vor unfairem Wettbewerb

Aus dem Verordnungsentwurf sind die Bemühungen der Europäischen Kommission klar erkennbar, bessere Bedingungen für die Produktion von sauberen Technologien in Europa zu schaffen. Vorgesehen sind etwa verkürzte Genehmigungsverfahren und angepasste Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen. Außerdem hat die Kommission angekündigt, den EU-Binnenmarkt auch im Bereich der Netto-Null-Industrie mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Instrumenten vor unfairem Wettbewerb und Handel zu schützen.

Zu diesen Schutzinstrumenten gehören etwa Antidumpingzölle auf Importe aus Drittländern, wenn der Preis dieser Waren unter dem normalen Wert liegt, oder Ausgleichszölle, die erhoben werden können, wenn Waren aus Drittländern mit staatlichen Subventionen oder anderen Vorteilen auf den Markt gebracht werden, die EU-Unternehmen nicht zur Verfügung stehen. Zudem könnten Schutzzölle und -quoten eingeführt werden, wenn ein plötzlicher Anstieg der Importe eine europäische Industriesparte beeinträchtigt.

Umstrittene Bevorzugung

Zwar gibt es in Europa die Tendenz, dass Eingriffe in die Märkte durch den Umwelt- und Klimaschutz gerechtfertigt sein können, dennoch kann eine teilweise Marktabschottung oder Diskriminierung der Marktteilnehmer folgenschwere Konsequenzen haben. So widerspricht die Abschottung von Handelsmärkten klar den Regeln der Welthandelsorganisation WTO, die sich dem Abbau von Handelshemmnissen und der Förderung des internationalen Freihandels verschrieben hat.

Dass der jahrelange WTO-Rechtsstreit um Subventionen des europäischen Flugzeugherstellers Boeing nicht vor dem WTO-Schiedsgericht beigelegt wurde, sondern offenbar auf einem Gipfeltreffen zwischen den USA und der EU ein vorläufiges Ende nahm, mag für viele ein Zeichen dafür sein, dass der WTO in der Praxis die Hände gebunden sind. Aber schon allein aufgrund der insgesamt mehr als 160 WTO-Mitgliedsstaaten sollte die EU ausloten, welche Folgen etwaige Eingriffe in den Binnenmarkt auf die Beziehungen der EU zur WTO haben könnten.

USA und China als Negativbeispiel

Welche Auswirkungen ein Handelsstreit haben kann, zeigt sich deutlich am Beispiel des Konflikts zwischen den USA und China. Durch die globalen Lieferketten sind von diesem Handelsstreit nicht nur die beiden Streitparteien betroffen, sondern dessen Auswirkungen sind weltweit zu spüren. Die Forderung nach einer Stärkung des EU-Binnenmarktes ist daher derzeit weniger ein rechtliches Wagnis als ein politisches und wirtschaftliches. Schließlich könnten die Handelspartner der EU die Handelsschutzmaßnahmen als zu weitgehenden Protektionismus betrachten und dies als Anlass nehmen, ihre Märkte ebenfalls abzuschotten oder das Vertrauen in den EU-Markt zu verlieren.

Demnach bleibt es – vor allem im Hinblick auf den Green Plan und den Net-Zero Industry Act – spannend, ob und wie es der EU gelingen wird, einen sinnvollen Bogen zu spannen: zwischen der Förderung und dem Schutz ihrer eigenen Interessen und der Beibehaltung der bisherigen Handelsbeziehungen und des Vertrauens in den EU-Binnenmarkt. (Matthias Fucik, Lisa Urbas, 22.3.2023)