Fink im Café des Wiener Hotels Park Hyatt: In Österreich, einem "sehr wichtigen Markt", will Goldman Sachs mehr vermögende Privatkunden und wachsende Mittelstandsunternehmen als bisher betreuen.

Foto: Heribert Corn

Superreiche, Großkonzerne, Regierungen: Die US-Investmentbank Goldman Sachs ist die Bank der wirklich großen Kunden. Wolfgang Fink, Chef für Deutschland und Österreich, spricht über die Bankenkrise, Europas Angst vor Deindustrialisierung und die Zukunft eines Geldhauses mit klingendem Namen.

STANDARD: Herr Fink, droht aufgrund der aktuellen Probleme internationaler Finanzhäuser gerade eine Bankenkrise, wie wir sie 2008 und 2009 erlebt haben?

Fink: Die Schweizer Zentralbank hat mit den Maßnahmen schnell reagiert, aber ich würde erwarten, dass die Marktvolatilität zumindest kurzfristig hoch bleiben wird. Ansonsten möchte ich mich zu Wettbewerbern nicht äußern. Nur soviel: Die Finanzmärkte sind aktuell sehr volatil, das muss man genau beobachten. Fakt ist aber, dass das Bankensystem insgesamt heute viel stärker kapitalisiert ist, mehr Liquidität vorhält und damit deutlich resilienter ist als damals.

STANDARD: Europa sorgt sich nicht nur wegen der Probleme von Banken, sondern auch davor, dass eine Deindustrialisierung drohen könnte. Sie haben täglich mit Kunden zu tun, die den wirtschaftlichen Kurs ganzer Volkswirtschaften mitbestimmen. Fürchten Großunternehmen und Regierungen, mit denen Sie sprechen, dass es mit der Wirtschaft stark bergab gehen könnte?

Fink: Aufgrund der Energiepreise, die voraussichtlich dauerhaft auf einem erhöhten Niveau bleiben werden, gibt es in der Tat eine Debatte über die Abwanderung von industriellen Produktionsunternehmen ins Ausland. Dazu kommt in den USA der sogenannte IRA (Inflation Reduction Act, Anm.), der dafür sorgt, dass die dortigen Standortbedingungen sehr attraktiv werden. Daher gibt es in vielen Unternehmen Überlegungen zu Verlagerungen oder dem besten Standort für neue Projekte. Die Regierungen sind daher sehr fokussiert darauf, Maßnahmen zu ergreifen, diese Unternehmen in Europa zu halten. Das betrifft vor allem energieintensive Industrien, etwa die Chemiebranche und in Teilen die verarbeitende Industrie, insbesondere wenn sie auf Grundstoffe angewiesen ist.

STANDARD: Die EU hält mit einem sogenannten Grünen Deal für die Industrie dagegen. Solcherart sollen Unternehmen mit Förderungen bewogen werden, eben nicht abzuwandern.

Fink: Es gibt auch bereits laufende Programme, insbesondere den Europäischen Recovery Fund, der auch zum Teil für Energie und Energieeffizienz bestimmt ist. Auch das ist ein sehr umfangreiches Programm, das neue, grüne Technologien fördert.

STANDARD: Wie werden sich die massiven Subventionsprogramme auf die EU-Wirtschaft auswirken?

Fink: Sowohl der IRA in den USA als auch die EU-Fonds sind im Grundsatz erst einmal technologieoffen, was sicher hilfreich ist: Beispielsweise können bei der Energieerzeugung Windräder und Solartechnologie gefördert werden, aber auch Wasserstoff und Nukleartechnologie. Am Ende wird es bei solchen Programmen auf die Umsetzung ankommen – wie flexibel und unbürokratisch Projekte gefördert werden können. Wenn wir es in der EU schaffen, die Förderungen sinnvoll, undogmatisch, aber vor allem effizient und zeitnah zu realisieren, werden wir eine gute Chance haben, Industrien in Europa zu halten.

STANDARD: Normalweise tönt die Kritik eher umgekehrt. Viele kritisieren, dass in der EU beispielsweise auch Atom- und Gaskraft in die sogenannten Taxonomie hineinfallen – und somit als förderwürdig gelten. Das sind Technologien ohne Zukunft, wie weithin moniert wird.

"Wenn wir es in der EU schaffen, die Förderungen sinnvoll, undogmatisch, aber vor allem effizient und zeitnah zu realisieren, werden wir eine gute Chance haben, Industrien in Europa zu halten."
Foto: Heribert Corn

Fink: Es ist grundsätzlich sinnvoll, sich langfristig auf erneuerbare Energien wie Wind und Solar zu fokussieren, aber kurz- und mittelfristig müssen wir flexibel sein, um die Versorgung in Europa sicherzustellen. Mittelfristig wird es etwa ohne Gas als Brückentechnologie nicht gehen. Insofern ist meiner Ansicht nach eine grundsätzliche Offenheit gegenüber verschiedenen Technologien geboten. Wir wissen schlicht nicht, welcher Energiemix in 15 Jahren am effizientesten ist.

STANDARD: Was soll die EU tun?

Fink: Wir brauchen Technologieoffenheit, aber auch beschleunigte Genehmigungsverfahren. Investoren brauchen konkrete Anreize, um in Europa zu investieren, beispielsweise in Finanzierungs- und Steuerfragen. Nur dann wird es möglich sein, die massiven Investments zur Dekarbonisierung zu finanzieren und in den nächsten Jahren auf den Weg zu bringen.

STANDARD: Sie arbeiten bei einer großen US-Bank. Sind die US-Amerikaner offener als die Europäer?

Fink: Wir sehen dort nicht erst seit dem IRA, dass US-Bundesstaaten Unternehmen sehr konkret und mit einer Hands-on-Mentalität unterstützen, wenn sie dort eine Produktion aufbauen möchten. Das vorrangige Ziel ist, mehr Beschäftigung zu schaffen. In Europa hingegen wird ein eher dirigistischer Ansatz verfolgt, zum Beispiel bezogen auf einzelne Regionen oder Branchen – obwohl wir auch hier in den aktuellen Diskussionen eine stärkere Annäherung an Maßnahmen sehen, wie sie der IRA vorsieht. Wo sich ein Unternehmen am Ende niederlässt, hängt aber natürlich von einer Vielzahl weiterer Faktoren ab – wie etwa Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, Absatzmärkten oder Energiekosten.

STANDARD: Reden wir über Goldman Sachs. In Österreich stehen viele Unternehmen in der Kritik, weil sie sich nicht aus Russland zurückgezogen haben. Goldman Sachs indes ist rausgegangen.

"In Europa wird ein eher dirigistischer Ansatz verfolgt."
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Fink: Das Geschäft von Goldman Sachs in Russland war vergleichsweise klein. Unsere Positionen waren relativ begrenzt, und wir haben uns frühzeitig darauf konzentriert, unser Engagement zu beenden. Wir haben sofort Maßnahmen ergriffen, um das Wohlergehen unserer Mitarbeiter zu gewährleisten; Kollegen sind an andere internationale Standorte verlagert worden.

STANDARD: Würden Sie Unternehmen generell raten, Russland zu verlassen?

Fink: Das ist ein komplexes Thema, und wir können nicht für andere sprechen. Jedes Unternehmen muss – im Rahmen der rechtlichen Vorgaben – für sich eine Entscheidung treffen.

STANDARD: Der renommierte britische "Economist" urteilte kürzlich über Goldman Sachs, die Bank sei in ihrer Mythologie gefangen und finde nicht den Weg in die Zukunft. Der Hintergrund ist, dass die Geschäftszahlen längst nicht so gut ausfallen wir früher. Der Versuch von Goldman Sachs in den USA, ein Geschäft für Massenkunden aufzubauen, funktioniert bisher nicht. Wohin will die Bank?

Fink: Im Kern werden wir immer die globale Bank für institutionelle Anleger, Unternehmen und vermögende Privatkunden bleiben. Diese Klienten beraten wir, in deren Auftrag investieren wir. Wenn Sie sich zum Beispiel für eine Unternehmensübernahme interessieren oder Ihr Geld veranlagen wollen – sie werden immer einen kundigen Ansprechpartner von Goldman Sachs vorfinden, ob sie nun in Tokio, New York oder Frankfurt anrufen.

STANDARD: Warum gibt es dann den Versuch mit dem Massenkundengeschäft?

Fink: Dieses Geschäft findet ausschließlich in den USA und Großbritannien statt und ist vor allem für das Einlagengeschäft der Bank attraktiv. Das Konsumentenkreditgeschäft in den USA war in den vergangenen Jahren defizitär; in den nächsten zwei Jahren wollen wir hier in die schwarzen Zahlen kommen.

"Wir haben uns frühzeitig darauf konzentriert, unser Engagement in Russland zu beenden."

STANDARD: Wenn man in Österreich Menschen auf der Straße fragt, was Goldman Sachs genau macht, werden sie es wohl nicht wissen. Aber jeder kennt Goldman Sachs; der Name hat einen Klang. Entweder assoziiert man damit – in negativer Hinsicht – eine Art ungehemmten Kapitalismus. Oder man sieht darin umgekehrt geradezu den Inbegriff von marktwirtschaftlicher Flexibilität und Leistungsdenken. Wie gehen Sie mit diesem Nimbus um?

Fink: Es gibt in der Tat anscheinend einige populäre Theorien, die sich hartnäckig in der Öffentlichkeit halten. Die Realität ist deutlich nüchterner, und auch ich kann nicht mit Mythen dienen. Wir sind in einem hochspezialisierten Bereich der Finanzdienstleistungsbranche als führende internationale Investmentbank tätig. Hier arbeiten wir mit hoher Expertise und Leidenschaft daran, unseren Klienten bestmögliche Lösungen zu bieten.

STANDARD: Was macht Goldman Sachs in einem Land wie Österreich?

Fink: Österreich ist ein sehr wichtiger Markt für Goldman Sachs, in dem wir seit mehr als 30 Jahren große Unternehmen und Institutionen bei Kapitalmarkttransaktionen begleiten. Ob wir für die Regierung einen Green Bond aufsetzen oder der Voestalpine helfen, eine Anlage für nachhaltig produzierten Stahl zu verkaufen – das Spektrum ist breit. Mehr Potenzial als bisher sehen wir vor allem bei vermögenden Privatkunden und den sogenannten Hidden Champions, also hochinnovativen Unternehmen mit starken Marktpositionen. Hier gibt es in Österreich eine sehr spannende, wachsende Community. (Joseph Gepp, 22.3.2023)