Im Gastblog gibt Marianne Buchegger anhand des Erfahrungsberichts von Peter Donner Einblicke in die Pflege durch die Familie und andere Netzwerke.

"Ich begrüße meine Frau aus Entfernung immer mit einem lauten Hallihallo, sie reagiert dann immer mit einem tirolerischen Juchaza und mit großer Freude. Wärme geben und Umarmungen sind für sie sehr wichtig."
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Peter Donner ist einer von rund 950.000 pflegenden Angehörigen in Österreich. Im folgenden Text beschreibt er die unterschiedlichen Rollen, zwischen denen er hin und her wechselt. Er steht im Berufsleben, ist Vater und begleitet seit mehr als zehn Jahren seine an Alzheimer-Demenz erkrankte Frau.

Die "Achterbahn der Gefühle", die finanziellen Sorgen und Unsicherheiten, die sozialen Belastungen durch den erzwungenen Rückzug, aber auch schöne und berührende Momente in der Begegnung mit seiner Frau teilt Peter Donner mit vielen pflegenden Angehörigen.

Vor etwas mehr als drei Jahren hat er seine erste "Bestandsaufnahme" über das Leben mit Alzheimer niedergeschrieben. Heute folgt die Fortsetzung.

Eine zweite "Bestandsaufnahme"

Geendet hat mein damaliger Bericht mit dem Satz: "Auf diese Weise können wir die 24-Stunden-Pflege noch selbst bewältigen. Schauen wir, wie lange noch." Einige Zeit ging es dann noch so, doch die Zeit bleibt nicht stehen. Der Alzheimer nimmt und verändert mit voller Kraft.

Meine Kräfte hingegen ließen mehr und mehr nach, sowohl psychisch als auch physisch. Längst vom Orthopäden verschriebene Hüft- und Kniegelenksoperationen standen bevor, da die Schmerzen immer unerträglicher wurden.

Regisseurhafte Vorgangsweisen waren angesagt, um für meine Frau Gabriele ein Pflegeheim zu finden, das Kurzzeitaufenthalte ermöglicht. Das angedeutete Schwinden der psychischen Kraft war da nicht sehr hilfreich, doch viele Gespräche mit Tochter und Sohn waren für mich sehr unterstützend.

In so einem Zusammenhang kommt auch ein anderes Thema auf: Ob die Kinder ihre alt und krank gewordenen Eltern pflegen sollten, à la "Wir haben so viel für euch getan, jetzt müsst ihr was für uns tun!". Ein Zeigefinger an das "schlechte Gewissen". Doch die Kinder stecken ja sowieso emotional voll mit drinnen. Ich wurde auch immer darauf angesprochen. Jedoch war für meine Frau und mich schon immer klar, dass unsere Kinder nie ein Pflegepersonal für uns sein dürfen. Dafür gibt es ausgebildete Frauen und Männer, die leider noch immer von der Gesellschaft zu wenig honoriert werden.

Im Februar 2020 war es so weit. Vorerst zwar nur vorübergehend für drei Wochen, während mein Hüftgelenk aus Titan geformt wurde, wurde Gabriele in einem Heim untergebracht. Sie hat das gut verkraftet, unsere Kinder haben sie regelmäßig besucht und waren auch sehr zufrieden mit dieser Situation. Das tat mir natürlich sehr gut, auch meine OP verlief ausgezeichnet. Vor allen Dingen genoss ich die wunderbare Pflege, die ich im Krankenhaus erhielt. Ich war in dieser Zeit kein Pflegender, sondern ein zu Pflegender.

Corona und fehlende Einrichtungen

Als wir wieder zusammen waren, ging es mit meiner Psyche wieder ein wenig bergauf, kleine Glücksgefühle kamen auf. Gabriele wurde mit dem Fahrtendienst ins Tageszentrum gebracht, da ich vorerst mit Krücken unterwegs sein musste. Aber der eher gewohnte Pflegealltag war nur von sehr kurzer Dauer, als Corona ausbrach. Das Tageszentrum wurde geschlossen, ebenso die Restaurants. Die für uns sehr wichtigen Einrichtungen gab es plötzlich nicht mehr. Einkaufen und sonstige Erledigungen mussten jetzt gemeinsam mit Gabriele geschehen, da sie – schon lange – nicht mehr allein sein konnte. Ihre Orientierung war gleich null, und auch das Gehen wurde immer unsicherer. Noch dazu wohnen wir in einem Altbau mit sehr großen Geschoßhöhen ohne Lift, das heißt, viele Stiegen und viel Geduld – und viel Schmäh –, um Gabriele hinunter und hinauf zu bewegen.

Jegliche Bodenmarkierungen auf den Straßen waren ein großes Hindernis. Kreuzungsüberquerungen geschahen daher neben dem Zebrastreifen – wobei sie auch einmal fragte: "Wieso gehen wir daneben?" Gewisse lustige Episoden gab es eben auch noch. Nach einem Besuch bei unserem Neurologen fragte sie: "Was hat der Arzt gesagt? … Hab ich mich vergessert?"

Aber Corona und die Lockdowns ließen nicht allzu Fröhliches hervorbringen. Die Menschen wurden mit Vorschriften und Verboten konfrontiert, die sie bis dahin nicht erlebt hatten. Das erschwerte natürlich auch unser Leben noch mehr. Unseren Vorsatz, trotz Alzheimer unter die Leute zu gehen und sich nicht zurückzuziehen, konnten wir nicht mehr verwirklichen. Gabrieles Zustand verschlechterte sich sehr, so auch ihre Inkontinenz. Sie fand sich auch in der Wohnung nicht mehr zurecht. Mit Musik konnte ich sie aber immer noch erfreuen. Musik war unsere Wunderpille.

Ein weiterer Tiefschlag durch Corona war für mich, dass ein im Jahr 2019 von mir entworfenes Hotelprojekt nicht zur Ausführung gelangte. "Wer baut zu Corona-Zeiten ein Hotel?", sagte man mir damals. Meine großen Investitionen wurden mit einem lächerlichen Ablösehonorar abgegolten. Das auch noch! So waren meine Kräfte wieder tief unten.

Zudem gab es noch meine schon geplante Knie-OP abzuwickeln, die Schmerzen waren ja auch noch da – Termin war der September 2020. Das hieß, wieder ein Pflegeheim für Kurzzeitaufenthalte zu suchen. Diesmal sollten es aber drei Monate sein, da ich nach der OP auf Reha musste. Die Suche war diesmal eher kompliziert. Die von mir vorgeschlagenen Einrichtungen waren nicht möglich, und erst im letzten Moment wurde uns eine zugeteilt. Meine OP verlief wieder super, ich konnte die Reha sehr genießen, jedoch war auch immer ein weinendes Auge dabei – der Gedanke an Gabriele im Heim.

Die Kinder besuchten sie regelmäßig, ich telefonierte immer wieder mit ihr, und es wurde mir ein gutes Gefühl vermittelt. Kaum war ich von der Reha zurück, wurde ich vom Heim verständigt, dass sie mit Gabriele nicht mehr zurechtkämen. Sie verweigere alles und habe schon mindestens fünf Kilogramm abgenommen. Weitere Unannehmlichkeiten, die im Heim passierten, will ich hier nicht erläutern.

Daueraufenthalt im Pflegeheim

Wir holten Gabriele natürlich sofort ab, und sie zeigte eine große Freude, war aber verwirrter denn je. Sie hatte, wie man so sagt, einen gewaltigen Schub. Ganz sanft und mit großer Geduld konnten wir sie allmählich wieder zum Essen bewegen. Es war eine der härtesten Zeiten in unserem – mittlerweile schon länger als ein Jahrzehnt andauernden – Alzheimer-Leben. Gabriele befand sich mehr und mehr in ihrer eigenen Welt. Verwirrung und Orientierungslosigkeit hatten sich wesentlich verstärkt. Ein Besuch in einem Tageszentrum würde mit Gabriele nicht mehr möglich sein. Da aber auch meine Kräfte am Ende waren, gab es nach Gesprächen mit Tochter und Sohn für uns nur mehr einen Daueraufenthalt im Pflegeheim als Lösung. Auch Überlegungen in Richtung 24-Stunden-Betreung gab es, das war jedoch für mich nicht vorstellbar. Denn wie ich mich kannte, hätte ich mich nicht distanzieren können, ich wäre voll involviert gewesen.

Das CS-Pflegeheim in der Oberzellergasse war für uns die Lösung. Dort, wo wir uns im Tageszentrum schon viele Jahre gut betreut wussten. Und so kam mit dem großen Schritt auch ein Schnitt. Unser gemeinsames Zusammenleben von 45 Jahren stellte sich einer neuen Herausforderung. Die Ratio war so weit, dies für gut zu heißen, emotional schaute es jedoch anders aus. Aber wir waren überzeugt, dass sich Gabriele in sehr guten und liebevollen Händen befinden wird, in unserem "CS-Pflegehotel", wie wir es nannten. Die Zeit bis zum "Einzug" bestärkte auch unsere Entscheidung – ich konnte einfach nicht mehr.

Am 19. .Jänner 2021 erfolgt der Einzug ins Pflegeheim. Gabriele wird liebevoll empfangen, und die Verabschiedung verläuft problemlos. Auch ich fühle mich in diesen Räumlichkeiten sehr wohl, kenne viele Pflegerinnen und Pfleger – das hilft uns sehr, die Traurigkeit hintanzuhalten.

Ein neues Leben begann. "Ich muss zu mir finden – nicht einfach!", schrieb ich damals in das Tagebuch. Es war eine tränenreiche Zeit, eine Hochschaubahn der Gefühle.

Dann kam wieder ein Lockdown, weshalb keine Entspannung in unseren Stammlokalen möglich war. Aber Besuche und Telefonate bauten mich immer wieder auf, da ich spürte, dass es Gabriele sehr gut ging. Immer lachend und singend, auch die Verabschiedungen waren nie ein Problem – sie sind es bis heute nicht.

Ein von Erinnerungen gepflasterter Alltag

Jetzt war es nötig, sich auch wieder mit den profanen Dingen zu beschäftigen. Wie schon erwähnt, wurde ja mein Hotelprojekt gestoppt, und so war auch unsere finanzielle Lage eher trist. Das mit Gabriele gemeinsam Ersparte lag auf der Bank, war aber nicht zugänglich. Wir hatten es verabsäumt, das Sparkonto zu ändern, bevor ich zum "gesetzlichen Erwachsenenvertreter" wurde. Obwohl ich jährlich sowieso dem Gericht über Gabrieles Konten Rechenschaft ablegen muss, wurde mir das gemeinsam Ersparte verwehrt. Nach langem Schriftverkehr mit dem Gericht wurde uns ein sogenannter Kollisionskurator zugeteilt. Dieser lud mich zu einem Befragungsgespräch in sein Büro ein. In einem anschließenden Brief an ihn schrieb ich: "Ich habe mich nach diesem Gespräch äußerst ohnmächtig und psychisch erschlagen gefühlt (...) wir fühlen uns – die Kinder und ich – in die Rolle der bösen Ausnutzer der Situation gedrängt, und das ist unerträglich für uns." Solchen Dingen muss man sich dann noch aussetzen, während in einem selbst die irre Traurigkeit lebt.

Doch jetzt wieder zu meinem Körper, es gab ja noch die zweite Hüfte zu reparieren. Die OP fand im Dezember 2021 statt, wieder mit vollem Erfolg. Also wäre ja alles super, ich kann machen, was ich will, bin nur mehr für mich verantwortlich. Jedoch ist der Alltag zu Hause ohne Gabriele sehr belastend. Jeder Millimeter ist mit gemeinsamen Erinnerungen verbunden, ich bin auch nicht fähig, irgendetwas davon zu verändern. Ich verbringe daher viel Zeit im Büro, zwar immer noch ohne Aufträge, aber ich zeichne sehr viel an illusorischen Projekten beziehungsweise baue Modelle. Wie lange noch ohne realen Auftrag, ist absehbar. Ein Lottosechser? Träume weiter!

Gabriele besuche ich regelmäßig an Montagen und Dienstagen, wir singen und lachen, telefonieren mit ihrer mittlerweile 94-jährigen Mutter in Innsbruck und mit unseren Kindern. Die Stimmen dürfte sie noch erkennen, aber sicher bin ich mir da auch nicht.

Ich begrüße sie aus Entfernung immer mit einem lauten "Hallihallo", sie reagiert dann immer mit einem tirolerischen "Juchaza" und mit großer Freude. Wärme geben und Umarmungen sind für sie sehr wichtig. Und das, glaube ich, bekommt sie in unserem "Pflegehotel" zur Genüge.

Um meine Vergangenheitsbesessenheit mit der Idealisierung unseres gemeinsamen schönen Lebens (es war nicht nur schön!) und auch die Traurigkeit über Gabrieles Entschwinden sowohl geistig als auch körperlich besser in den Griff zu bekommen, versuche ich, sie mir als schwebendes Wesen vorzustellen, sprich "meinen Engel".

Tränenreich beschließe ich nun meine Fortsetzung des Berichts über ein Leben mit dem Alzheimer. Schau ma, wie's weitergeht?! (Marianne Buchegger, Peter Donner, 22.3.2023)