Trauten sich vor einem Jahrzehnt noch halbwegs regelmäßig neue Anbieter auf den Smartphone-Markt vor, ist der Markteintritt neuer Unternehmen in der mittlerweile hochkompetitiven Branche recht selten geworden. Im Gegenteil, auch so mancher einst größerer Player – Stichwort: HTC und LG – hat sich mittlerweile in die Irrelevanz verabschiedet oder hat dem Geschäft gar ganz den Rücken gekehrt.

Dementsprechend wurde der Vorstoß von Nothing Tech mit großem Interesse aufgefasst. Nachdem man 2021 mit drahtlosen Ohrhörern gestartet war (die in Form der Ear 2 kürzlich einen Nachfolger erhalten haben), folgte im Sommer 2022 das erste Smartphone, Phone 1. Auch dessen zweite Generation wurde bereits angekündigt und soll in wenigen Monaten erscheinen. DER STANDARD hatte im Rahmen des Mobile World Congress die Gelegenheit, mit Akis Evangelidis zu sprechen. Er schultert die Marketing-Agenden und gründete gemeinsam mit dem einstigen Oneplus-Chef Carl Pei das Unternehmen.

Neustart

Die Genese von Nothing erzählt er wie jene eines typischen Start-ups ehemaliger Angestellter von Tech-Riesen. Oneplus sei zu einer vollentwickelten Firma mit fast drei Milliarden Dollar Jahresumsatz geworden. Und damit einher ging auch der Verlust von Flexibilität bei der Produktentwicklung. Das Gründerteam von Nothing, bestehend aus einigen Menschen Anfang dreißig, wollte noch einmal etwas Neues aufbauen.

Das Tech-Geschäft, so Evangelidis, ist monoton geworden, die aufregenden Zeiten wie einst bei der Vorstellung des ersten iPods oder iPhones vorbei. Es sollte nicht die einzige Apple-Referenz bleiben.

Akis Evangelidis ist Mitgründer und Marketingchef von Nothing. Wie Carl Pei war auch er vorher bei Oneplus tätig.
Foto: Nothing Tech

Personal und die Idee, die Produktentwicklung aus Konsumentensicht anzugehen, überzeugten offenbar. Bei der ersten Sammelrunde für Risikokapital erhielt man Rückendeckung in der Höhe von sieben Millionen Dollar. Als Investoren mit an Bord waren unter anderem der iPod-Vater Tony Fadell, Twitch-Mitgründer Kevin Lin, Reddit-Mitgründer Steve Hoffman und auch der bekannte Youtuber Casey Nestat.

Von Ohrhörern zum Handy

600.000 Stück konnte man seit dem Release der Ear 1 im Jahr 2021 verkaufen. Das öffnete die Brieftaschen weiterer Financiers, deren Kapital laut Evangelidis die Entwicklung des Nothing Phone 1 erst ermöglichte. Das Aufstellen der Lieferkette und die Softwareentwicklung, die man zunächst weitgehend auslagerte, erwiesen sich als große Herausforderung.

Das Handy wurde seitdem 650.000-mal abgesetzt und stieß auf ziemlich positives Echo. Eine Zahl, auf die man stolz ist, insbesondere auch, weil es keinen Release in den USA gegeben hat. Eine US-Variante hätte Hardware mit an die speziellen Marktbedingungen angepassten Antennen benötigt, deren Herstellung und Integration war für Nothing damals noch nicht stemmbar.

Developers, Developers, Developers

Seitdem hat sich einiges getan. Rund um die Umsetzung des Android-13-Updates für das Handy holte man die Entwicklung zurück ins Unternehmen und vergrößerte die interne Software-Abteilung. Arbeiteten hier vor einem Jahr laut Evangelidis noch fünf Menschen, so sind es nun knapp 100. Insgesamt ist die Riege der Angestellten von etwa 200 auf gut 400 Personen angewachsen.

Die Airpods-Alternative Earsticks waren das zweite Audioprodukt von Nothing.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Platzierte man das erste Smartphone noch in der oberen Mittelklasse, soll das Phone 2 ins Premium-Segment vorstoßen. Angekündigt wurde bereits, dass das Gerät mit einem Snapdragon-Gen-8-Chip, also Qualcomms Highend-SoC, ausgestattet sein wird. Nicht ganz klar ist allerdings, ob es die aktuelle "Gen2"-Version sein wird oder "Gen1" aus dem Vorjahr.

Evangelidis deutete auch eine größere Verbesserung in Sachen Kameraausstattung an, ohne aber bei der Hardware stärker ins Detail zu gehen. Man wolle nicht an vorderster Stelle beim Spezifikationswettrüsten stehen, sagt der Firmenchef. Während die eigene Android-Adaption Nothing OS bisher sehr sparsam ist, was zusätzliche Features im Vergleich zu "Vanilla"-Android betrifft, will man die nun vorhandenen Ressourcen nutzen, um das System um neue Features zu erweitern.

Diese sollen Mehrwert bieten, statt bloß ein Gimmick zu sein. Letzterer Vorwurf wurde oft gegen "Glyph", die LED-Leisten auf der Rückseite des Phone 1, erhoben. Evangelidis hält dem entgegen, dass sie es erleichtern sollen, sich nicht vom Handy ablenken zu lassen, während man etwas anderes tut, da man anhand der Leuchtsignale erkennen könne, wer anruft oder eine Nachricht geschickt hat. Zudem gebe es Interesse seitens der Community an Erweiterungen, beispielsweise einem visuellen Timer für die Zustellung von Bestellungen bei Essenslieferdiensten.

Gut sieht es für ein oft nachgefragtes Feature aus. Immer wieder war seitens der Nutzer eine einfache Möglichkeit gewünscht worden, die Glyph-Lichter anstelle des LED-Blitzes als Taschenlampe nutzen zu können. Bisher muss dafür ein Umweg über die Kamera-App gegangen werden. Eine andere Implementation wird gerade evaluiert.

Mit dem Phone 1 legte man ein vielfach gelobtes Debüt am Smartphone-Markt hin.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Optimismus vor US-Start

Das Phone 2 wird diesmal auch auf den US-Markt kommen und damit Apples Heimatterritorium. Evangelidis gibt sich sicher, dass man auch dort bestehen wird, denn immerhin sei ein Drittel der eigenen Audioprodukte in den Staaten verkauft worden, ohne dass man selbst einen eigenen Onlineshop für den Markt betrieben oder viel Geld in Marketing investiert hätte. Es gebe bereits eine große Fanbasis, die sich auch auf ein neues Handy freuen würde.

Dabei setzt man auch auf Nutzer, die den Umstieg von einem iPhone auf die Android-Seite wagen. In dieser Kategorie führt man bereits den Markt an, so Evangelidis. In Japan soll sogar jeder Zweite, der iOS den Rücken kehrt, bei einem Nothing Phone landen.

Eine offene Apple-Alternative?

Gefragt, wo er Nothing in ein paar Jahren sieht, sagt der Manager: "Wir wollen eine echte Alternative zu Apple werden." Keine Firma im Android-Segment versteht es derzeit, ein so rundes Ökosystem-Angebot zu liefern wie der Konzern aus Cupertino. Und für diese kohärente Erfahrung mit guter Hardware seien die Nutzer auch bereit, viel Geld auszugeben, obwohl sie damit im sogenannten goldenen Käfig landen.

Ein Zusammenspiel eigener Hardwareprodukte mit gut gemachter Software sei auch die Vision von Nothing, mit der man sich abheben wolle. Das sieht man etwa auch an der Implementation der eigenen Audioprodukte. Versetzt man diese in den Kopplungsmodus, meldet sich die in das Android-System des Phone 1 integrierte "Nothing X"-Software proaktiv und ermöglicht die Verbindung mit einem Tastendruck, ganz ohne Umweg über das Bluetooth-Menü. Sie bringt auch sämtliche Konfigurationsoptionen nebst Suchoption mit, sollte man die Hörer in der näheren Umgebung verlegt haben.

Nothing hofft, sich als offene Alternative zum Apple-Ökosystem positionieren zu können.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Apples geschlossenem Ansatz möchte man allerdings mit Offenheit begegnen und Kunden nicht vorschreiben, welches Produkt und wie sie es zu nutzen haben. Als Beispiel für diese Devise nennt Evangelidis auch das Zusammenspiel von Nothing OS mit Geräten anderer Hersteller, etwa in Form der Tesla-Fernsteuerung oder der Akkustandsanzeige für Apples Airpods.

Kein Nothing Phone Pro – vorerst

Dazu arbeitet man auch an neuen Produktkategorien und evaluiert dabei auch Optionen wie Tablets. 2024 wird Nothing jedenfalls eine neue Gerätekategorie vorstellen, sagt der Marketingchef Was für Produkt man hier auf dem Plan hat, lässt er aber offen.

Nicht matchen will man sich mit Apple beim Preis. Man ziele auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, nicht aber darauf, der günstigste Anbieter für die jeweilige Hardware zu sein. Ebenfalls nicht geplant, zumindest vorerst, sind mehrere Varianten des Nothing Phone. Dass es in Zukunft einmal ein Standard- und ein Pro-Modell geben könnte, will Evangelidis allerdings nicht ausschließen. (gpi, 27.3.2023)

Update, 14:05 Uhr: Akis Evangelidis ist Mitgründer und Marketingchef von Nothing, aber nicht, wie ursprünglich dargestellt, Co-CEO. Dieser Fehler wurde berichtigt, wir bitten um Entschuldigung für den Irrtum.