Die Reform gilt als eines der wichtigsten Vorhaben des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

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Paris – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geht davon aus, dass die umstrittene Pensionsreform "bis zum Jahresende" in Kraft tritt. "Wir warten noch auf das Urteil des Verfassungsrats", sagte Macron in einem TV-Interview am Mittwoch. "Diese Reform ist notwendig", betonte er. Zwei Tage nach der Verabschiedung der umstrittenen Pensionsreform werden indes die Proteste radikaler. Der Hafen von Marseille, einer der wichtigsten des Landes, war am Mittwoch vollständig blockiert.

Auch der Hafen von Brest in der Bretagne sowie die wichtige Saint-Nazaire-Brücke an der Westküste wurden von Protestierenden blockiert. Zudem blieben mehrere Treibstoffdepots abgesperrt.

Über 100 Festnahmen

In Paris hatte in der Nacht auf Mittwoch erneut eine zunächst friedliche Demonstration gegen das Gesetz stattgefunden, das unter anderem die Anhebung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Später kam es auch wieder zu Ausschreitungen. Mehrere hundert Demonstranten gerieten auf der Place de la République mit den Sicherheitskräften aneinander, die Tränengas einsetzten. Landesweit wurden Polizeikreisen zufolge 128 Personen in Polizeigewahrsam gewonnen, 81 davon in Paris. Mehr als 60 Mitglieder der Einsatzkräfte wurden demnach verletzt.

Auch zwei minderjährige Österreicher landeten vorübergehend im Polizeigewahrsam. Wie das Außenministerium am Mittwoch bestätigte, konnte die österreichische Botschaft in Paris nach einer entsprechenden Information "eine rasche Freilassung" erreichen.

Regierung überstand Misstrauensvotum knapp

Macron hatte am Vorabend die Abgeordneten der Regierungsmehrheit im Elysée-Palast empfangen und seinen Rückgriff auf den vielkritisierten Verfassungsartikel 49.3 verteidigt. Dieser erlaubt es, die Reform ohne parlamentarische Schlussabstimmung zu verabschieden, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht. Am Montag war die Regierung mit lediglich neun Stimmen an einem Sturz vorbeigekommen.

"In einer Demokratie ist ein Text nicht unrechtmäßig, nur weil er mit sehr wenigen Stimmen durchgekommen ist", betonte Macron. Er versprach zum wiederholten Male, seinen Regierungsstil zu ändern und den Abgeordneten mehr Zeit in ihren Wahlkreisen zu lassen. Der Präsident sah sich nicht veranlasst, Fehler einzugestehen. Er räumte aber ein, dass es nicht gelungen sei, "die Notwendigkeit der Reform zu vermitteln".

Folgen für Einwanderungsgesetz

Ein erster Kollateralschaden der Pensionsreform dürfte das geplante Einwanderungsgesetz sein, das eigentlich in der kommenden Woche im Senat debattiert werden sollte und nun als zu heikel erscheint. "Der Gesetzesentwurf sollte sowohl den Rechten als auch der Linken entgegenkommen, stattdessen wurde er am Ende von allen Seiten kritisiert", sagte der sozialistische Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung, Boris Vallaud. Innenminister Gérald Darmanin könnte versucht sein, zunächst nur den am wenigsten umstrittenen Teil des Gesetzes zu verabschieden.

Die Grünen-Abgeordnete Sandrine Rousseau forderte unterdessen, den britischen König Charles III. wieder auszuladen, der von Sonntag bis Dienstag in Frankreich erwartet wird. "Da will also der republikanische Monarch Emmanuel Macron Charles III. empfangen, mit ihm die Champs-Elysées herunterfahren und in Versailles ein Staatsbankett veranstalten, während das Volk auf der Straße demonstriert", schimpfte sie. "Hat dieser Besuch etwa Vorrang? Nein, bestimmt nicht."

Macron hat bereits durchblicken lassen, dass er die Reform nicht zurücknehmen will. Auch die Regierungsmannschaft wolle er so schnell nicht auswechseln, hieß es von Beratern des Präsidenten. Macron wolle einige Wochen vergehen lassen, damit sich die Lage wieder beruhige, und sich dann weniger heiklen Themen widmen wie etwa der Schulreform.

Frankreich im Europa-Vergleich niedriges Pensionsalter

Frankreich zählt auch nach der umstrittenen Pensionsreform zu den europäischen Ländern mit einem vergleichsweise geringen Pensionsalter. Allerdings sind für den Pensionsantritt mit 64 Jahren 42 Beitragsjahre nötig. Wer nicht lange genug gearbeitet hat, kann erst mit 67 ohne Abschläge in Pension gehen. Zum Vergleich: In Österreich gibt es die volle Pension ab 65. Die Frühpension ist ab 62 möglich – allerdings nur mit 40 Versicherungsjahren und auch dann mit Abschlägen.

Laut den Ende 2021 zuletzt aktualisierten Berechnungen der OECD haben Italien, Griechenland, Luxemburg und Slowenien mit 62 Jahren das niedrigste Pensionsantrittsalter. In den meisten europäischen Ländern liegt das Pensionsalter demnach bei 65 Jahren. Dazu zählt auch Österreich. Länger arbeiten heißt es unter anderem in Niederlanden (66,3), Irland (66), Deutschland (65,7) und Dänemark (65,5).

Allerdings sind die einzelnen Pensionssysteme wegen der vielen unterschiedlichen Details schwer miteinander zu vergleichen. Daher betrachtet die OECD für ihren Vergleich das Beispiel eines männlichen Arbeitnehmers, der mit 22 Jahren zu arbeiten begonnen hat, um 2020 in Pension zu gehen. In Frankreich hätte dieser Arbeitnehmer wegen der nötigen Versicherungsjahre schon bisher länger als bis 62 arbeiten müssen, um auf die volle Pension zu kommen. Umgekehrt wäre im OECD-Beispiel in Österreich ein vorzeitiger Pensionsantritt mit 62 Jahren zwar möglich – allerdings nur mit jährlichen Abschlägen. Die volle Pension ohne Abschläge gibt es in Österreich mit 65 Jahren.

Einige EU-Länder haben bereits eine deutliche Anhebung der Lebensarbeitszeit für jüngere Menschen beschlossen. Wer 2020 zu arbeiten begonnen hat, kann laut OECD-Bericht in Dänemark erst mit 74 in Pension gehen, in Deutschland und Belgien mit 67. (APA, 22.3.2023)