Ein Sanitäter gibt zu, seinem Arbeitgeber Schlafmittel gestohlen zu haben. Seine Partnerin habe er damit aber nur aufgrund einer Verwechslung betäubt, beteuert er, vergewaltigt will er die Schlafende nicht haben.

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Wien – "Ich habe sie gern gehabt", sagt der 32-jährige Herr T. über die Frau, mit der er im Vorjahr rund sechs Wochen lang eine sexuelle Beziehung hatte. Die Staatsanwältin mag dies dem Unbescholtenen nicht recht glauben: Sie wirft dem Mann vor, seinem Opfer am 3. Juni in dessen Wohnung K.-o.-Tropfen in einem Getränk verabreicht und es danach vergewaltigt zu haben.

Kennengelernt hat der Sanitäter die 37 Jahre alte Alleinerzieherin als Patientin. Der Österreicher brachte sie bei einem Einsatz ins Spital, sie war ihm sympathisch, er fragte nach ihrer Handy-Nummer. Schon beim ersten Treffen in ihrer Wohnung Anfang April "ging es los mit den seltsamen Vorgängen", beschreibt es die Staatsanwältin. Das Opfer trank Apfelsaft und Wasser, Letzteres "schmeckte komisch", schildert die Frau als Zeugin. Sie erlitt einen Filmriss und wachte ohne Hose auf.

Sie habe T. gefragt, was passiert sei, der habe sie nur ausgelacht und gesagt, sie sei plötzlich während ihres Gesprächs eingeschlafen. Ein anderes Mal bemerkte sie in der Uniformhose des Angeklagten eine Ampulle. Als sie ihn fragte, was das sei, sei er wütend geworden und habe behauptet, es sei ein Abnehmmittel für ihn. Einige Wochen später erlitt sie bei einem Besuch des Angeklagten neuerlich einen abrupten Abbruch der Erinnerungen, sie wachte mit einer Jogginghose auf, konnte sich aber nicht erklären, wann sie diese angezogen haben soll.

Bitte um zweite Chance

Diese Vorfälle sind aber nicht Gegenstand der Anklage. Denn es gibt keine objektiven Beweise, dass das Opfer betäubt worden sei. Bei dem Verbrechen im Juni jedoch ist das anders. Die Frau hatte den Kontakt mit T. abgebrochen, da dieser ihrer Meinung nach zu wenig Zeit für sie hatte. Der Angeklagte erhoffte sich eine zweite Chance und kam für eine Aussprache am Nachmittag in ihre Wohnung.

Die beiden streamten Filme, tranken leichte Piña colada, und um 16 Uhr endet die Erinnerung des Opfers. Sie wachte in der Nacht auf, T. hatte die Gläser abgewaschen und die Wohnung verlassen. Im Internet recherchierte sie über K.-o.-Tropfen und befolgte alle Ratschläge, um Spuren zu sichern. Im Labor wurde dann Benzodiazepine – ein Schlafmittel – nachgewiesen, auch die DNA des Angeklagten fand sich in ihrem Intimbereich.

Nach der Anzeige durchsuchte die Polizei T.s Wohnung und fand drei Ampullen Benzodiazepine. Zunächst behauptete der von Sascha Flatz verteidigte Akademiker, es seien seine Schlafmittel. In einer schriftlichen Stellungnahme bot er eine andere Version: Er müsse sie irrtümlich bei einem Rettungseinsatz eingesteckt haben. Vor Gericht gibt er nun zu, sie an seinem damaligen Arbeitsplatz gestohlen zu haben.

Versprochenes Geständnis kommt nicht

Verteidiger Flatz kündigt an, dass sich sein Mandant schuldig bekennen werde. Pro forma passiert das auch, in Wahrheit liefert T. dann aber doch keine Verantwortungsübernahme, sondern eine fantastische Geschichte. Er habe am Tag des Tathergangs das Schlafmittel in sein eigenes Getränk getan, da er durch die 24-Stunden-Schichten einen gestörten Schlafrhythmus habe. Bedauerlicherweise müsse das Opfer dann irrtümlich aus seinem Glas getrunken habe, versucht er das Schöffengericht unter Vorsitz von Corinna Huber zu überzeugen. Er habe sich aber geschämt und die Frau deshalb nicht gewarnt. Anschließend habe er einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit der Frau gehabt, die dabei wach gewesen sei, beteuert er.

Die Staatsanwältin zerlegt die Geschichte in ihrem Schlussplädoyer. Aus ihrer Sicht ist es völlig unglaubwürdig, dass der Angeklagte bei einer von ihm gewünschten Aussprache um 16 Uhr plötzlich ein starkes Schlafmittel nimmt. Auch an die Verwechslung mag sie nicht glauben – hatte der Angeklagte doch selbst zugegeben, dass sein Glas nur noch halb gefüllt gewesen sei, die Frau dagegen ein volles hatte. Darüber hinaus habe T. sowohl bei der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht, in seiner schriftlichen Stellungnahme dann aber eine gänzlich andere Geschichte als nun vor Gericht geschildert. Das Opfer sei dagegen stets bei einer Version geblieben und habe auch vermieden, den Angeklagten übermäßig zu belasten.

"Lebensfremd und nicht nachvollziehbar"

Der Senat schließt sich nach rund 25 Minuten Beratung dieser Ansicht an und verurteilt T. rechtskräftig zu zweieinhalb Jahren unbedingter Haft. Der Frau muss er 1.500 Euro für die Verletzung ihrer sexuellen Integrität zahlen. "Sie haben keinen besonders glaubwürdigen Eindruck hinterlassen", begründet Vorsitzende Huber die Entscheidung. Seine Geschichte sei "lebensfremd und nicht nachvollziehbar" gewesen. "Der Senat ist zur Überzeugung gekommen, dass Sie die K.-o.-Tropfen dem Opfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewusst verabreicht haben", stellt sie klar.

Am Ende will T. wissen, ob er noch eine Frage stellen dürfe. Huber erteilt die Erlaubnis und hört Verblüffendes. "Könnte ich die Strafe jetzt schon antreten?", will der Angeklagte zur Überraschung Hubers und Beisitzers Wolfgang Etl wissen. "Sie meinen, heute?", fragt die Vorsitzende zur Sicherheit nach. "Ja, jetzt. Ich habe ab heute keinen Wohnsitz mehr. Ich habe alles verloren", antwortet T. und bricht in Tränen aus. Er habe bei einem im Saal anwesenden Freund gewohnt, der hatte T. aber aufgefordert auszuziehen, falls er verurteilt werde.

"Ich würde nur gerne noch einen Anruf tätigen, um zu kündigen", verrät T. noch. Die Vorsitzende verspricht ihm, in ihrer Kanzlei rasch für das nötige Dokument zu sorgen, damit müsse er sich dann selbstständig zur Justizanstalt Simmering begeben, erklärt Huber dem Verurteilten, der sich höflich für die Erfüllung seines Wunsches bedankt. (Michael Möseneder, 22.3.2023)