Seit Kriegsbeginn konnte die Ukraine rund 212 Millionen US-Dollar an Kryptospenden sammeln. Auf prorussischer Seite fielen die Kryptoeinnahmen mit 4,8 Millionen US-Dollar hingegen deutlich geringer aus.

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In unseren Breitengraden ist die Wahrnehmung von Kryptowährungen recht klar abgesteckt: Es ist eine Wette auf die Zukunft des Finanzwesens, die sich zwischen Spekulationsblase, Anlagealternative und Zahlungsmittel bewegt. Aller Skepsis zum Trotz zeigt der Ukrainekrieg, dass die dezentrale Natur von Kryptos jetzt schon einen unkomplizierten Transfer digitaler Währungen ermöglicht. Das macht sie einerseits zu einem sehr nützlichen Instrument, um Konflikt- und Katastrophengebiete schnell mit Geld zu versorgen. Andererseits erhöht sich damit die Gefahr, Geldflüsse im Rahmen krimineller Aktivitäten zu erleichtern.

Ein aktueller Bericht des Blockchain-Analysten Elliptic zeichnet für den Ukrainekrieg vor diesem Hintergrund ein klares Bild: Die Analysten haben festgestellt, dass die Ukraine seit Kriegsbeginn Kryptospenden im Wert von rund 212 Millionen US-Dollar erhalten hat, von denen rund 80 Millionen US-Dollar direkt an die ukrainische Regierung geflossen sind. Insgesamt machten die proukrainischen Kryptospenden etwas mehr als ein Fünftel der rund 1,05 Milliarden US-Dollar aus, die durch die drei größten Kampagnen des Landes gesammelt werden konnten. Laut ukrainischen Beamten und den staatlichen Fundraising-Websites konnte das Geld, das vorwiegend in Ethereum und Bitcoin gespendet wurde, in zahlreiche wichtige Anschaffungen investiert werden. Die erworbenen Gegenstände reichten von kugelsicheren Westen und Helmen bis hin zu Minenräumgeräten und Flugdrohnen. Andere Kryptospenden wurden für den Kauf von Hilfsgütern wie medizinischer Versorgung und Funkgeräten verwendet.

Die russische Seite

Im Vergleich dazu scheinen die Kryptoeinnahmen auf der russischen Seite verschwindend gering. Die Kryptoassets belaufen sich nach Angaben von Elliptic gerade einmal auf 4,8 Millionen US-Dollar, wovon allein 3,2 Millionen US-Dollar von Aktionen knapp 50 prorussischer Separatistengruppen stammen sollen. Aus ihren Social-Media-Aktivitäten ist ersichtlich, dass das Geld weitgehend in die Beschaffung und Bereitstellung militärischer Ausrüstung für Soldaten und Söldner investiert worden sein dürfte.

Dass Kryptowährungen nur einen kleinen Teil der russischen "Fundraising"-Bemühungen ausmachen, liegt daran, dass Bankkonten russischer Banken oder Onlinezahlungsmethoden immer noch als die gängigeren Spendenoptionen angepriesen werden. Obwohl russische Beamte Werbung für die Akzeptanz von Bitcoin als Zahlungsmittel für Öl- und Gasexporte gemacht haben, könnte auch eine generell kryptoaverse Haltung der Grund sein, dass Kryptowährungen bisher vergleichsweise wenig genutzt wurden, um die Invasion zu finanzieren. Kurz vor Kriegsbeginn plädierte die Zentralbank des Landes sogar für ein umfassendes Verbot der Verwendung von Kryptowährungen.

Trotzdem sind die Operationen dieser prorussischen Gruppen keineswegs kleinzureden. Vor allem weil die Analyse durch Elliptic eine cyberkriminelle Infrastruktur aufgedeckt hat, die den Blockchain-Aktivitäten vieler dieser Gruppen zugrunde liegt. Mehr als zehn Prozent der Kryptoassets, die in diesen prorussischen Wallets eingehen, stammen aus illegalen Aktivitäten. Angefangen von Erlösen aus dem Dark Web über Ransomware-Attacken erstrecken sie sich bis hin zu perfiden Methoden, sogar aus gefallenen Soldaten Kapital zu schlagen. So hieß es in den Telegram-Kanälen der "Task Force Rusich", einer rechtsextremen paramilitärischen Einheit und einem Teil der Wagner-Gruppe, dass Informationen zu gefallenen Soldaten und deren Grabkoordinaten an Angehörige verkauft werden können. Voraussetzung: Beträge bis zu 5.000 US-Dollar sind an Bitcoin-Wallets zu überweisen.

Ruf nach Regulierung

Diese illegalen Aktivitäten zeigen einmal mehr die Probleme auf, die die dezentrale Natur von Kryptowährungen nach sich zieht. Nicht zuletzt deshalb ist die Europäische Union als erste große Wirtschaftsregion bestrebt, mit Markets in Crypto-Assets, kurz MiCA, den Kryptomarkt zu regulieren und eine Blaupause für den Rest der Welt vorzulegen. Das Gesetz soll ab 2024 eine neue Grundlage schaffen, um die Geldflüsse von Kryptoassets transparenter zu machen und die Einhaltung konkreter Rechtsvorschriften zu verbessern. Auch der Internationale Währungsfonds hat kürzlich einen Leitfaden zum Umgang mit Kryptoassets für Mitgliedsländer veröffentlicht. Diese Richtlinien zielen ähnlich wie MiCA darauf ab, einen ersten politischen Rahmen für Regierungen schaffen zu wollen.

Im Hinblick auf den Ukrainekrieg lässt das bis dahin nur den Schluss zu, dass sich Krypto als zweischneidiges Schwert erwiesen hat. Einerseits bewiesen beispiellose Hilfsaktionen bereits wenige Stunden nach der Invasion die Funktionstüchtigkeit von Krypto. Andererseits nahmen prorussische Organisationen Kryptospenden an, um sich aktiv an potenziellen Kriegsverbrechen zu beteiligen und diese über Social Media zu glorifizieren. Oder wie der Bericht von Elliptic zusammenfasst: "Die Invasion in der Ukraine hat das Beste und das Schlechteste an Kryptowährungen zum Vorschein gebracht." (Benjamin Brandtner, 23.3.2023)