Würde man die Uhrengeschäfte in der Wiener Innenstadt zählen, man käme auf eine stattliche Anzahl. Ihre Auslagen zieren unisono zeitmessende Preziosen, lediglich die Rado-Boutique macht ab heute, Freitag, wieder mal eine Ausnahme und lenkt die Blicke auf eine Videowall im Inneren des würfelförmigen Geschäfts. Die Marke mit großer Designaffinität präsentiert eine Serie von Projekten, die, wie schon in der Vergangenheit auf einer Kooperation mit der Vienna Design Week beruhen. Obwohl das international anerkannte Festival erst Ende September wieder über die Bühne geht, kann man also bereits jetzt einen vorgezogenen Satelliten sehen.

DER STANDARD

Unter dem Titel "Rado Moving Materials" startet die Vorstellung einer Reihe von sechs Designern und Designerinnen, die abwechselnd die Videowand der Boutique mit eigens für das Geschäft produzierten Installationen bespielen. Bis August wird an jeweils einem Wochenende pro Monat eine neue Arbeit zu sehen sein. Eine davon wird dann im Herbst während der Design Week den Moving-Materials-Preis entgegennehmen, den Nachfolger des "Rado Star Prize", der sich über die Jahre als ein Fixpunkt der Vienna Design Week vergeben wurde.

Lina Schubert und Florentin Berger sind das Studio "No Worries Just Shapes".
Foto: Kerstin Hammerschmid

Den Start macht nun eine 16 Sekunden dauernde, im Loop gezeigte Animation des Studios "No Worries Just Shapes", einem 2022 gegründeten Wiener 3D-Studio, geführt von Lina Schubert und Florentin Berger. Ihr tägliches Brot ist es, gemeinsam mit Kunden aus verschiedenen Bereichen visuelle Realitäten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Design dingfest zu machen und in der Folge über Videos Geschichten zu erzählen.

Ein Stück wandelbare, digitale Natur zu schaffen lautete das Ziel des Designduos.
Foto: No worries just shapes

Im Falle des Rado-Projekts nennt sich der Beitrag "Master of Materials". Auf der circa 1,8 mal zwei Meter großen Wand zeigt sich ein virtuell geschaffenes und organisch geformtes, wandelbares Ding. Es erinnert an ein experimentelles, skulpturales Blumenarrangement mit Alien-Ästhetik, an Korallen, Lavagestein, Seifenblasen, auch an Anatomisches aller Art. Eine Art Zeiger führt den Wechsel der Motive durch und soll damit unterschiedliche Geschwindigkeiten von Zeit ins Bewusstsein rücken.

Gestalter Florentin Berger und seine Kollegin Lina Schubert geht es bei dem Stück um bewusste Verfremdungen von Oberflächen, aber auch um eine abstrakte Übersetzung der Farb- und Materialwelten von Rado. Auch den Begriff "Transrealismus" lässt Berger fallen, ebenso wie den von "Kurzausschnitten aus Welten".

Koralle, Blume, Organ, Alien? Die Interpretationshoheit liegt bei den Betrachtenden.
Foto: No worries just shapes

Das Sounddesign stammt von Johannes Wernicke, zu hören sind Dinge, die an das Glucksen eines Bächleins im Urwald erinnern, an einen Anflug von Donnern, dezentes Windrauschen, und an andere Dschungelgeräusche im akustischen Jingle-Gewand. Welche Rolle der Sound spielt? Designer Florentin Berger meint, "Nun, schauen Sie sich das Projekt mit und ohne Ton an. Dann wissen Sie es." Warum die Gestaltung der Geräuschkulisse an einen Dritten ausgelagert wurde, begründet er so: "Ein frisches Paar Ohren ist immer gut."

Eine Art Zeiger wird zum Taktstock für die wechselnden Bilder und soll unterschiedliche Geschwindigkeiten von Zeit versinnbildlichen.
Foto: No worries just shapes

Unterm Strich liegt die Interpretationshoheit der Sache freilich im Auge und Ohr der Betrachtenden und Hörenden. Auf jeden Fall geht es darum, die Fantasie zu kitzeln, im Anbetracht dieser Erfindung eines kleinen Stücks digitaler Natur. (maik, 24.3.2023)