Menschen aus Jäger-Sammler-Gesellschaften paarten sich mit jenen, die Ackerbau betrieben. Wie freiwillig es dabei zuging, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Dies lieferte späteren Generationen aber wohl einen gesundheitlichen Vorteil.
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Der Startschuss für unsere heutige Lebensweise ertönte vor 10.000 bis 12.000 Jahren, könnte man argumentieren. Zu dieser Zeit entwickelten sich die ersten Formen der Landwirtschaft, die Menschen ein sesshaftes Leben und das Erbauen von Siedlungen ermöglichten. Gruppen, die lediglich auf das Jagen wilder Tiere und das Sammeln natürlich wachsender Pflanzen setzten, wurden im Laufe der Zeit zur Seltenheit.

Wie diese unterschiedlichen Gemeinschaften vor tausenden Jahren miteinander interagierten und damit auch ihre Nachfahren bis heute beeinflussten, ist nicht einfach festzustellen. Ein relativ neues Instrument, das in den vergangenen Jahren hierfür entwickelt, verbessert und 2022 mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist die Analyse alten Erbmaterials. Dadurch lassen sich Details erforschen, von denen man zuvor annahm, dass wir nur durch eine Zeitreise in die Vergangenheit von ihnen erfahren könnten. So wurde etwa festgestellt, dass sich die ersten Bäuerinnen und Bauern wohl vor etwa 8.000 Jahren aus Vorderasien und dem Balkan nach Zentraleuropa ausbreiteten, wobei ihre Vorgeschichte komplexer ist als angenommen.

Nun zeigte ein Forschungsteam in einer umfangreichen Studie, dass genetische Diversität damals vermutlich einen gesundheitlichen Booster lieferte. Bestimmte Gene, die auf Jäger-Sammler-Gruppen zurückzuführen sind, dürften nämlich besser vor Krankheiten geschützt haben. Diese Gene verbesserten – nach der Vermischung mit diesen Populationen – auch das Immunsystem der frühen Ackerbauern und Viehzüchterinnen in Europa, wie die Studie im Fachjournal "Current Biology" herausstreicht.

Vorteil durch Jäger-Sammler-DNA

Tom Davy, der am Francis-Crick-Institut in London und damit am größten biomedizinischen Forschungszentrum Europas arbeitet, und seine Kollegen untersuchten dafür die DNA von 677 Individuen aus der Mittel- und Jungsteinzeit. Sie suchten gezielt nach Anzeichen schneller Evolution und damit nach Genen, die für die bestmögliche Anpassung an die Umwelt offenbar einen Vorteil boten.

Dabei fiel eine große Gen-Region auf, die für das Immunsystem und das Erkennen von Krankheitserregern wichtig ist. Sie wird als MHC bezeichnet, kurz für "major histocompatibility complex". Und sie war vor allem auf mittelsteinzeitliche Jäger-Sammler-Gruppen zurückzuführen. Das lässt den Schluss zu: Die vorteilhaften Varianten dieser Gene waren quasi im Erbgut nichtsesshafter Gruppen verankert, die bereits in Europa lebten, bevor sich die ersten Bauerngruppen aus der heutigen Türkei und dem "Nahen Osten" ansiedelten.

Überraschendes Ergebnis

Trafen also Jäger-Sammler-Populationen und Landwirtschaft Betreibende aufeinander und zeugten Nachkommen, dann bekamen manche von ihnen diesen Immunkomplex vererbt. Diese genetische Diversität könnte von Vorteil gewesen sein, vermutet das Forschungsteam. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die europäischen Jäger und Sammlerinnen (und anders herum) genetisch an lokal vorkommende Bakterien, Viren und andere Mikroorganismen angepasst waren. Damit könnten sie einen Vorteil gegenüber den zugewanderten Gruppen gehabt haben.

Das war für die Forscher ein überraschendes Ergebnis. "Es war aufregend, erstmals zu sehen, dass Immunität für den Übergang zur Landwirtschaft in einer prähistorischen Bevölkerung wichtig ist", sagt Erstautor Davy. In der späten Jungsteinzeit hatten die Menschen einen größeren Anteil an Vorfahren, die sesshaft waren und Landwirtschaft betrieben. Daher nahm er an, dass dies auch für die MHC-Region zutreffen würde. "In diesem Bereich fanden wir aber eine 50:50-Abstammung von jungsteinzeitlichen Bauern und mittelsteinzeitlichen Jäger-Sammlern", betont Davy.

Die Bestangepassten überleben

Demnach habe die natürliche Selektion in diesem Bereich der DNA die Gene der nicht-sesshaften Gruppen begünstigt. Das Prinzip der natürlichen Selektion geht auf Charles Darwin zurück. Durch die Vermischung genetischen Materials bei der sexuellen Fortpflanzung sowie durch Mutationen entstehen unterschiedliche Individuen. Unter ihnen können diejenigen am ehesten überleben und sich erfolgreich vermehren, die am besten an ihre Umweltbedingungen angepasst sind.

Ackerbau und Viehzucht dürften das menschliche Immunsystem durch das engere Zusammenleben mit anderen Menschen sowie Tieren beeinflusst haben. Doch auch genetischer Variantenreichtum könnte in einer Population vorteilhaft gewesen sein.
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Darwin bezeichnete dies als "survival of the fittest", also als das Überleben der Bestangepassten. Und zu den Faktoren, die dafür entscheidend sind, zählt ein gut angepasstes Immunsystem, das Krankheitserreger abwehren kann. "Seit langem wird angenommen, dass der landwirtschaftliche Lebensstil aufgrund der dichteren Besiedlung, der neuen Ernährungsgewohnheiten und der Nähe zum Vieh die Immunanpassung vorantrieb", sagt der schwedische Genetiker Pontus Skoglund, einer der leitenden Studienautoren.

Gemeinsame Nachkommen

Daher habe man vermutet, dass die Immunitätsgene der Ackerbauern aus dem Nahen Osten auch in Europa besser an die bäuerliche Lebensweise angepasst seien und sich auch bei der Vermischung mit lokalen Vertreterinnen und Vertretern der Jäger-Sammler-Gruppen durchsetzen würden. Die Studie deutet jedoch auf das Gegenteil hin: Der bereits ausgeprägte Schutz vor den typischen Erregern in der Region oder diverse Variationen im Immunsystem der Bevölkerung waren evolutionär offenbar von größerem Vorteil.

Ein anderer Aspekt liegt dieser Entwicklung zugrunde, wurde in der Studie allerdings nicht eigens diskutiert. Die genetische Vermischung war nur möglich, weil sich Menschen unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeit miteinander fortpflanzten – die Jagenden und Sammelnden auf der einen Seite, die Ackerbau Betreibenden auf der anderen Seite. Hätten sich die beiden Gruppen gemieden, hätte es keine gemeinsamen Nachkommen gegeben. Dann wären wohl auch die Bäuerinnen und Bauern, die zur Mehrheit wurden, gesundheitlich schlechter für Europa gewappnet gewesen.

Hellere oder dunklere Haut

Die Studienergebnisse untermauern außerdem bisherige Forschungsarbeiten, in denen die Entwicklung eines Pigmentierungsgens aufgefallen war. Eine Genvariante, die wohl zu hellerer Haut führt, war in späteren Generationen öfter vertreten und stammte vor allem von den zugewanderten Ackerbauern und -bäuerinnen. Die in Europa lebenden Jäger-Sammler-Gruppen dürften hingegen dunklere Hauttöne gehabt haben.

Die Gründe dafür, dass sich die Gene für hellere Haut durchsetzten, sind noch nicht ganz klar, sagt Leitautor Iain Mathieson von der University of Pennsylvania. "Eine Hypothese lautet, dass eine hellere Hautpigmentierung es den Landwirten ermöglichte, mehr Vitamin D aus ultravioletter Strahlung herzustellen", führt der Genetiker aus. Vitamin D spielt auch gesundheitlich eine Rolle, es ist wichtig für ein funktionierendes Immunsystem und den Knochenaufbau. Ein Mangel führt zu Krankheiten wie Rachitis.

Weshalb hatten sich unter der schwächeren zentraleuropäischen Sonne dann nicht auch schon früher in Jäger-Sammler-Gruppen ein durchschnittlich hellerer Hautton durchgesetzt? Der Hypothese zufolge "waren die Jäger und Sammler in der Lage, ausreichend Vitamin D aus ihrer Nahrung zu gewinnen", sagt Mathieson.

Mit seiner Studie liefert das Forschungsteam eine Antwort auf die Frage, wie die Evolution über mehrere Generationen hinweg den Übergang zur sesshaften Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht beeinflusste – zumindest in Europa. "Andere Regionen sind noch nicht so gut erforscht", gibt Skoglund zu bedenken. Außerdem werde die Analyse alter DNA künftig erklären können, inwieweit das Immunsystem während anderer Epochen der Evolution, in denen Menschen Umwelt- und Lebensstilveränderungen erlebten, beeinflusst wurde. (Julia Sica, 24.3.2023)