Im Gastblog analysiert die Religionswissenschafterin Kathrin Trattner einen Horrorfilm und zeigt, was dieser über die Spannung zwischen vorchristlichen und christlichen Elementen aussagt.

Das Steak brutzelt in der noch heißen Pfanne. Es ist innen rosa und liebevoll zurückhaltend mit Rosmarin und grobem Meersalz angerichtet. Eine unterkühlt lächelnde Pia Hierzegger stellt die Pfanne auf den Tisch: "Guten Appetit." Liebe geht bekanntlich durch den Magen, doch in seinem Langspielfilmdebut "Family Dinner" zeigt Regisseur Peter Hengl das Gegenteil von comfort food. Der Horrorfilm feierte seine Weltpremiere am Tribeca Film Festival im Juni 2022 und war vergangenen Mittwoch auf der diesjährigen Diagonale in Graz zu sehen.

Waldviertler Mok-Bang aus der Hölle

Im Zentrum des Films steht die übergewichtige Teenagerin Simi (Nina Katlein). Über die Karwoche besucht sie ihre Tante Claudia (Pia Hierzegger) auf deren renovierten Vierkanthof irgendwo in der Waldviertler Einöde. Simi hat ein Motiv für ihren Besuch: Sie möchte, dass ihr Claudia beim Abnehmen hilft. Diese ist nämlich eine berühmte Diätologin und Kochbuchautorin, deren Bücher Simi bereits akribisch und dennoch erfolglos studiert hat. Bereits ab ihrem Eintreffen fühlt sich Simi jedoch unwohl. Es ist klar, irgendetwas stimmt hier nicht. Sowohl Claudias Sohn Fillipp (Alexander Sladek), als auch ihr Mann Stefan (Michael Pink) verhalten sich eigenartig, und die strenge Diät, die Claudia Simi verordnet, macht ihr zu Schaffen. Besonders beunruhigend ist aber Claudias geheimnisvolle esoterische Anwandlungen. Spätestens beim Fund einer im Garten vergrabenen Voodoo-Puppe merkt Simi, dass hier irgendetwas nicht stimmt.

Capra Film

Streng nach der Horror-Checkliste

Ab Sekunde eins des Films ist klar: "Family Dinner" wurde von jemandem gemacht, der Horrorfilme liebt. Hat man selbst den ein oder anderen Horrorfilm gesehen, beginnt man sofort eine imaginäre Liste in Kopf abzuhaken. Die Anfangssequenz, in der wir untermalt von düsterer Musik aus der Vogelperspektive ein Auto eine mäandernde Straße entlang durch das trostlose Waldviertel fahren sehen, erinnert atmosphärisch sofort an "The Shining" (Stanley Kubrick, 1980). Die rote, fette und serifenlose Schrift des Titels kennt man bereits aus "Der weiße Hai" (Steven Spielberg, 1975). Die starr in der Totalen auf die gespenstische Waldgrenze gerichtete Kamera zeigt Parallelen zu "The VVitch" (Robert Eggers, 2015) auf. 

Man könnte die Liste an eindeutigen Anleihen irgendwo zwischen Inspiration und Zitat noch einige Zeit lang fortsetzen. "Family Dinner" ist ein generischer Film im eigentlichen Wortsinne: Er ist ein Genreprodukt. Von plötzlich auftauchenden toten Tieren als Vorboten des Unheils bis hin zum "Final Girl" lässt Hengl kaum etwas an klassischen Horrortopoi aus. Das führt natürlich unweigerlich dazu, dass der Film besonders für Zusehende mit Horrorfilmerfahrung oft ziemlich berechenbar ist. Sagen wir es so: Es ist relativ schnell klar, wohin die Reise geht.

Auch keine große Überraschung beim Publikumsgespräch nach der Diagonale-Vorstellung war das Outing des Regisseurs als eingefleischter Folk-Horror-Fan. So nannte Hengl "The Wicker Man" (Robin Hardy, 1973) als eine seiner zentralen anfänglichen Inspirationen für "Family Dinner". Folk Horror als Subgenre hat in den vergangenen Jahren definitiv ein Revival erfahren, spätestens mit Ari Asters "Midsommar" (2019). In dieser Tradition versteht Hengl auch seinen Film.

In seinem Buch "Folk Horror: Hours Dreadful and Things Strange" nennt Adam Scovell folgende Elemente als zentral für das Subgenre: Landschaft, Isolation, verzerrte Glaubenssysteme und Moralvorstellungen – gerne mit Bezug auf Vorchristliches – und schließlich das, was er als "happening/summoning" bezeichnet, also ein meist am Ende des Films stehendes klimaktisches Ereignis wie etwa ein Ritual oder eine Beschwörung.¹ Auch hier hakt "Family Dinner" wieder beinahe streberhaft alle Kästchen ab. 

Religion und Folk Horror

Religion spielt also durchaus eine tragende Rolle im Folk Horror, insbesondere okkulte oder pagane, also "heidnische", Glaubensvorstellungen und Rituale. Oftmals wird dabei eine Dichotomie zwischen organisierter Religion, vor allem dem Christentum, und Okkultismus oder Paganismus gezeichnet, indem beispielsweise wie in "The Wicker Man" ein christlicher Protagonist als Außenseiter in die beängstigende Welt eines geheimnisvollen Kults gesogen wird. Auch wenn diese Dichotomie bei "Family Dinner" nicht durch die Protagonistin Simi verkörpert wird, spielt das Okkulte und Pagane als im Gegensatz zum Christentum stehend doch eine tragende Rolle im Film. Claudias Beschäftigung mit "alten Kulturen", die sich im Verlauf des Films immer mehr als gefährliche esoterisch-wahnhafte Obsession herausstellt, bringt die wesentlichen Gruselmomente des Films hervor.

Dass der Regisseur ausgerechnet Ostern als Setting seiner Story wählt, ist dabei aus religionswissenschaftlicher Perspektive ebenfalls besonders interessant, da sich das Fest wie kein anderes eignet, um ebendiese Dichotomie zwischen Christlichem und Vorchristlichem, der im Folk Horror eine so wichtige Rolle zukommt, zu verkörpern. Zu Ostern werden vorchristliche Rituale mit nicht nur irgendeinem, sondern mit dem katholischen Fest verschmolzen.

Regisseur Peter Hengl geht hier aber in seinem Film noch einen Schritt weiter, indem katholische Rituale, wie etwa das Fasten vor Ostern oder das Osteressen, wiederum durch die Figur der Claudia sozusagen in einen (neo-)paganen Rahmen rück-angeeignet werden. Als Claudia Simi erklärt, sie und ihr Mann würden bis Ostern fasten, fragt Simi verwundert, ob sie etwa religiös seien, worauf Claudia zögernd entgegnet: "Naja...nicht so klassisch." Das katholische Ostern fungiert in "Family Dinner" also als ein das Jahr strukturierendes Fest, das aber eben durch die Figur der Claudia um- beziehungsweise rückgedeutet wird in Hinblick auf seine paganen Wurzeln – oder besser gesagt dem, was sie sich im 21. Jahrhundert unter Rückgriff auf zweifelhafte Quellen unter diesen paganen Wurzeln vorstellt.

Österliche Bräuche, wie etwa das Osterfeuer, spielen eine zentrale Rolle in "Family Dinner".
Foto: Gabriel Krajanek

Nicht Fleisch, nicht Fisch?

Religion, Familie, Essen, Isolation, Alpträume – das alles waren Themen, die den Regisseur zu Beginn seiner Arbeit an Family Dinner inspirierten und die schließlich als Basis seiner Geschichte fungierten. Das Potenzial aller dieser Themen für einen Horrorfilm ist offensichtlich und unbestreitbar, jedoch fühlt sich „Family Dinner“ beizeiten wie eine vorhersehbare Aneinanderreihung von ebensolchen unterschiedlichen klassischen Horror-Motiven an, von denen keines wirklich konsequent verfolgt wird. Eins ist „Family Dinner“ jedoch auf jeden Fall: Ein Liebhaberwerk eines Genrekenners, das insbesondere durch eine grandiose Hauptdarstellerin getragen wird. (Kathrin Trattner, 27.3.2023)

Fußnoten

¹ Scovell, Adam: Folk horror. Hours dreadful and things strange, Leighton Buzzard: Auteur Publishing 2017, 17–18.

² Vgl. Wood, Robin: Hollywood from Vietnam to Reagan, New York, NY: Columbia University Press 1986, 70–94.

³ Vgl. ebd., 85.

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