Özgür Anils Filmdebüt "Wer wir einmal sein wollten" handelt vom Traum, Schauspielerin zu werden. Der Film wird von "Gewächshaus – Verein zur Förderung von Diversität im Film" auf der Diagonale präsentiert.

Foto: Lukas Allmaier

Die österreichische Filmbranche wurde innerhalb des letzten Jahres ordentlich durchgerüttelt. Im Mai teilte die Regisseurin Katharina Mückstein ihre eigenen Übergriffserfahrungen auf Instagram und gab damit Anstoß zur ersten #MeToo-Welle in der Filmszene. Im September wurden die Casting- und Arbeitsbedingungen der rumänischen Kinderdarsteller rund um Ulrich Seidls Pädophiliedrama Sparta kontrovers diskutiert. Im Jänner dieses Jahres verschärfte sich die Diskussion um Kinderschutz an Filmsets, als beim Film- und Burgschauspieler Florian Teichtmeister große Mengen von Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger gefunden wurden.

Hohe Meldezahlen bei #we_do!

Diese medial stark rezipierten Ereignisse lösten bei der Anlaufstelle für Übergriffe und Machtmissbrauch #we_do!, die 2019 vom Dachverband der österreichischen Filmschaffenden gegründet wurde, großen Andrang aus. Die Zahlen stellte das Beratungsduo Meike Lauggas und Daniel Sanin in ihrem Jahresbericht am Mittwoch auf der Diagonale vor: 81 Kontaktaufnahmen verzeichnet die Meldestelle, etwa drei- bis viermal so viele wie in den Jahren zuvor. Die Zahl entspräche etwa zwei Grenzüberschreitungen an Filmsets pro Woche, so Lauggas.

#we-do! dokumentiert nicht nur sexuelle Übergriffe, sondern auch Fälle von Ausbeutung, Machtmissbrauch, Sexismus, Rassismus oder Homophobie, die teils bereits Jahre zurückliegen. 80 Prozent der Meldungen kamen von Frauen, 16 Prozent von Männern und vier Prozent von Personen, die ihre geschlechtliche Zugehörigkeit nicht festgelegt haben. Den hohen Frauenanteil erklären Lauggas und Sanin einerseits damit, dass "Frauen (trotz großer Unterschiede auch innerhalb dieser Gruppe) wesentlich häufiger von sexueller Belästigung, Machtmissbrauch und Ausbeutung betroffen sind", dass aber es aber andererseits "dem vielfach dominanten Männlichkeitsideal" widersprechen würde, "sich als betroffen und beratungsbedürftig zu betrachten". Die Dunkelziffer dürfte demnach auch bei Männern höher liegen. Doch auch hier bahne sich ein Kulturwandel an.

Die Themen, die die Beratungsstelle für Filmschaffende #we_do! 2022 erfasste.
Foto: Daniel Sanin/we_do

Diversitätsinitiative "Gewächshaus"

Neue Initiativen wie etwa die zur "Förderung von Diversität im Film" veranschaulichen einen weiteren Aspekt dieses Kulturwandels. Hinter "Gewächshaus" stehen die Regisseurin Weina Zhao, die Produzentin Anouk Shad und die Drehbuchautorin Malina Nwabuonwor. Ein Viertel der Menschen in Österreich sei migrantisch, in Film Fernsehen und TV seien sie jedoch abwesend, betont Shad anfangs.

Zhao schlägt vor, den DuVernay-Test anzuwenden und sich bei jedem Film zu fragen: Wie viele nichtweiße Personen mit Namen gibt es? Reden sie miteinander, sprechen sie akzentfrei, und reden sie über etwas anderes außer über Verbrechen? Das Ergebnis bei den heimischen Produktionen sei erschreckend. Dabei habe erst der Oscarerfolg des asiatisch-amerikanischen Films Everything Everywhere all at Once gezeigt, dass es möglich ist, mit auf Diversität setzenden Geschichten anerkannt zu werden. Es sei ebenso eine Marktfrage, so Nwabuonwor, wie eine der Sensibiliserung. Bei der hiesigen Filmförderung hätten es solche Geschichten allerdings nach wie vor schwer. Deshalb gelte es auch die Auswahlgremien diverser zu besetzen.

Die Regisseurin Weina Zhao und die Produzentin Anouk Shad von "Gewächshaus" engagieren sich für Diversität.
Foto: Diagonale/ miriam raneburger

Lehrberuf Film: "Zehn Studierte und fünfzig Hackler"

Inklusion und die Aufwertung der Filmarbeit liegt den Gewerkschaftern Roman Haschberger und Daniela Skala von Yunion Film am Herzen. Laut ihnen könne eine Einführung des Lehrberufs Film einen Ausweg aus dem Fachkräftemangel und einen leichteren Zugang zum Film ermöglichen, der oft wie eine "geschlossene Gesellschaft" wirke. Eine dreijährige duale Lehre nach der Pflichtschule, die großteils berufsbegleitend stattfände, würde einen standardisierten Wissensstand gewährleisten und damit zu einer Aufwertung von Filmberufen "below the line" beitragen. Denn bisher sei ein Studium der einzige Bildungsweg zu Film, obwohl der Großteil der Filmberufe keinen akademischen Abschluss voraussetze. Ein Problem, denn schließlich gebe es "am Filmset zehn Studierte und fünfzig Hackler", so Skala.

Geniebonus nicht mehr zeitgemäß

Einstiegserleichterungen und Aufwertungen von bisher wenig beachteten Personen oder neuen Berufsgruppen, darunter fallen etwa Green-Film-Consultants, die für klimaschonende Filmproduktionen sorgen sollen, bildeten schließlich den Tenor der sich aufbruchsbereit zeigenden Filmbranche. Die gesteigerte Sensibilität hinsichtlich Diskriminierung und Arbeitsrechtsverletzungen ist Ausdruck eines beginnenden Struktur- und Kulturwandels. Die Zeit des genialen Regisseurs, der sich alles erlauben könne, sei endgültig vorbei, betont abschließend auch Sabine Wagner-Steinrigl von der Gleichbehandlungsanwaltschaft, denn das Gesetz unterscheide im Fall von Diskriminierung nicht zwischen Kunst und Nichtkunst. (Valerie Dirk, 23.3.2023)