Putin war immer bemüht zu wissen, was in seinem Land passiert. Seit Kriegsbeginn hat er seine Bemühungen dahingehend verstärkt.

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Es war eine starke Unterstützungserklärung und ein strahlender Hoffnungsschimmer für die Ukraine, als bekannte Hackergruppen wie Anonymous Russland im Februar 2022, kurz nach Beginn des Ukrainekriegs, ihrerseits den Cyberkrieg erklärten. Die Hacker schafften es im Handumdrehen, den Propagandasender Russia Today und die Website des russischen Verteidigungsministeriums außer Gefecht zu setzen. Sie kaperten sogar das russische Staatsfernsehen, um Wladimir Putins Narrativ der Spezialoperation mit Bildern des brutalen Angriffs auf die Ukraine anzukratzen.

Viele dachten damals, vor einem Jahr, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich das russische Volk gegen Putin stellen werde. Falsch gedacht. Russinnen und Russen sind stärker abgeschirmt von westlichen Informationen denn je. Egal ob Exilrussen, Hacker oder Menschenrechtsorganisationen – sie alle sollten in den darauffolgenden Monaten mit ihren Warnungen an Putins enger Umarmung zerschellen. Doch der Widerstand bleibt bestehen.

Fehlender Widerstand

Russland ist in den vergangenen Monaten sehr vorsichtig im Umgang mit seinen sensiblen Daten geworden. In kritischen Sektoren wurde der Einsatz ausländischer Software stark eingeschränkt. Auch die Nutzung zahlreicher Messenger-Apps wurde für russische Staats- und Regierungsbehörden verboten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in vielen Branchen, insbesondere dem IT-Sektor, wurde außerdem zu Kriegsbeginn ein Homeoffice-Verbot im Ausland auferlegt, um einer Weitergabe heikler Daten vorzubeugen.

Parallel dazu hat die Regierung eine Ausweitung der staatlichen Überwachung im eigenen Land verordnet – und nutzt KI-Systeme und Bots, um die private Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern auszuspähen. Maßnahmen, die selbst die kompetentesten und mutigsten Hackerkollektive davon abhalten, sich gegen Russland zu wenden. "Ein einziger unvorsichtiger Fehltritt oder ein internes Leck in einer Gruppe" würde schon genügen, um ins Fadenkreuz der russischen Behörden zu gelangen, sagt der auf Desinformation und Verschwörungen spezialisierte deutsche Journalist Khesrau Behroz im Gespräch mit dem STANDARD.

Der Umstand, dass der Krieg auch zu politischen Differenzen zwischen Mitgliedern ziviler Hackerkollektive geführt hat, könnte laut Behroz zusätzlich zu erhöhtem Misstrauen und dadurch einem Rückgang der Cyberangriffe geführt haben. Auch die Angst vor einer Unterwanderung durch westliche oder prorussische Geheimdienste habe die Hackergruppen vorsichtig werden lassen, sagt Behroz.

Rolle der Exilmedien

Generell stellt sich mittlerweile die Frage, ob man die russische Bevölkerung, selbst wenn man sie erreichen würde, noch von der Machtbesessenheit ihres Präsidenten überzeugen könnte. Putins Propagandamaschinerie hatte mehrere Jahrzehnte Zeit, sich in die Köpfe der Menschen zu fressen und im Bildungssystem zu verankern. Der Mangel an objektiver Berichterstattung führte dazu, dass beispielsweise russischsprachige Exilmedien von der Bevölkerung mittlerweile gemieden werden. Nur noch vier Prozent der Russinnen und Russen vertrauen Exilzeitungen wie der "Nowaja Gaseta" oder "Meduza", sagt Julia Smirnova, Senior Analystin des Instituts für Strategischen Dialog (ISD) in London. Sie bezieht sich damit auf eine Umfrage des Lewada-Zentrums vom August 2022.

Ein Großteil der Bevölkerung vertraue weiterhin den staatlichen Medien und suche gar nicht erst nach objektiven Informationen. Dass Putin kritische Medien zu "unerwünschten Organisationen" erklärt hat, erschwere es diesen zusätzlich, ihr Publikum über Social-Media-Plattformen zu erreichen, sagt Smirnova. Allein das Teilen dieser unabhängigen Informationen sei schon eine strafbare Handlung. Mithilfe von Bots können inzwischen sogar geschlossene Social-Media-Gruppen infiltriert und überwacht werden.

Seit Jahresbeginn setzt Russland außerdem ein neues, KI-gestütztes Programm namens Oculus ein, das soziale Netzwerke, Webseiten und Messenger-Dienste nach verbotenen Inhalten durchsucht. Während Beschäftigte in Behörden täglich nur knapp hundert Bilder und Videos sichten konnten, analysiert Oculus heute mehr als 200.000 Bilder pro Tag. Ein anderes Programm, Fraction, war sogar darauf spezialisiert soziale Netzwerke nach potenziellen Störern zu durchforsten und diese in einer riesigen Datenbank zu speichern.

Hinter Fraction steht die Moskauer Softwarefirma NTC Vulkan, deren umfangreiches Geflecht aus Geheimdiensten, Militär und Industrie erst kürzlich dank einer weltweiten Recherche durch elf Medienhäuser, darunter auch der STANDARD, durchleuchtet wurde.

Leise Hoffnung

Trotz der strikten Überwachung scheint der Widerstand noch nicht ganz gebrochen zu sein. Darauf weise zumindest der VPN-Nutzungsindex von Atlas VPN hin, erklärt Smirnova. VPN steht für "Virtual Private Network" – also Netzwerkverbindungen, bei denen die originale IP-Adresse (quasi die "Anschrift" eines Endgeräts im Internet, unter der es erreichbar ist) verändert wird. Dadurch lassen sich unter anderem regionale Sperren umgehen. In Russland stieg die VPN-Nutzung nach Kriegsbeginn stark an. 2021 nutzten nur 8,62 Prozent der russischen Bevölkerung eine VPN-Verbindung, 2022 waren es fast 23 Prozent. Das liege vor allem daran, dass Social-Media-Netzwerke wie Facebook und Instagram in Russland mittlerweile gesperrt sind, sagt Smirnova.

Besonders interessant ist die Rolle von Youtube, Die Videoplattform ist gleichsam Fluch und Segen für die staatliche Propagandamaschine. Als Tochtergesellschaft von Google ist Youtube fest in westlicher Hand. Immer wieder kursieren Gerüchte, dass Russland die Plattform blockieren könnte, doch die Situation ist äußerst komplex. Youtube ist eines der letzten verbliebenen Sprachrohre für unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die dort Kanäle betreiben und einen Grundpfeiler der Kreml-kritischen Berichterstattung aufrechterhalten. Eine Sperre würde weitere, tiefgreifende Einschnitte in die Meinungsfreiheit bedeuten.

Die russische Propagandamaschine ist allerdings selbst von der Plattform abhängig, da sie zu einem Ersatz für herkömmliches Fernsehen avanciert ist. Fernsehinterviews, Talkshows, Filme – aber auch analytische und unterhaltende Inhalte – werden dort veröffentlicht. Viele Moderatorinnen und Moderatoren wurden dort selbst zu Stars mit großer Reichweite und lukrativen Werbeverträgen. Zwar gibt es einen Versuch, die westliche Plattform durch das russische Gegenstück "Rutube" zu ersetzen, dieses kann mit dem Erfolg von Youtube aber bei weitem nicht mithalten.

Die Analystin Smirnova gibt sich deshalb optimistisch, ungeachtet der zahlreichen negativen Vorzeichen. Trotz der eingeschränkten Reichweite würden Exilmedien weiterhin eine zentrale Rolle beim Kampf gegen russische Propaganda spielen. Sie "produzieren täglich unabhängige Nachrichten auf Russisch, die mehrere Millionen russischsprachige Menschen im In- und Ausland erreichen", sagt sie. Der Fernsehsender Doschd hat bei YouTube rund 3,7 Millionen Abonnenten, Meduza hat 1,2 Millionen Abonnenten bei Telegram und erreichte nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2019 mehr als 13 Millionen Unique Visitors pro Monat. Gemessen an der Gesamtbevölkerung keine enormen Zahlen, aber dennoch beachtlich.

Weitere Initiativen und Kampagnen, die sich in erster Linie auf jüngere Zielgruppen fokussieren, hätten ebenfalls Erfolgsaussichten, genau wie Exilrussen, die zumindest im Freundes- und Familienkreis Regimekritik äußern können. Das würde in vielen Fällen nicht zum sofortigen Umdenken führen, "allerdings hat ein solcher Informationsaustausch Potenzial dazu, Informationsblasen zu durchbrechen und zumindest Zweifel an den Propagandanarrativen zu säen". (Lisa Haberkorn, Alexander Amon, 11.4.2023)