Im Rahmen der Ski-WM übergab Julian Schütter seinen offenen Brief samt den Unterschriften von hunderten Sportkolleginnen und -kollegen an die durch Jenny Wiedeke vertretene Fis.

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Es war eine bewegte Saison für den steirischen Skiprofi Julian Schütter. Im vergangenen November gab er sein Debüt im Weltcup, im Jänner zog sich der 25-Jährige in der Abfahrt von Kitzbühel einen Riss des vorderen Kreuzbandes sowie eine Meniskusverletzung im linken Knie zu. Für Schlagzeilen sorgte Schütter während der Weltmeisterschaft im Februar mit einem offenen Brief an den internationalen Skiverband (Fis). In dem Schreiben wird die Fis zu einer nachhaltigen Gestaltung ihrer Tätigkeiten aufgefordert. Rund 500 Aktive setzten ihre Unterschrift. Die Fis wies die Kritik zurück, man sei ein klimapositiver Sportverband.

STANDARD: Die Weltcupsaison ist beendet. Wie fällt Ihre persönliche Klimabilanz aus?

Schütter: Ich bin mit der Rechnung noch nicht fertig. In den kommenden Wochen werde ich den ökologischen Fußabdruck meiner Reisetätigkeiten transparent machen. Er wird größer sein als in der Vorsaison, ich war zweimal auf einem anderen Kontinent. Im Gegensatz zum Vorjahr werde ich meine Emissionen diesmal nicht kompensieren.

STANDARD: Warum nicht? Wird es langsam zu teuer?

Schütter: Ich kritisiere diese Herangehensweise der Fis. Also werde ich sie nicht selbst praktizieren. Die Fis will mit einem Regenwaldprojekt ihre Emissionen ausgleichen. Das geht rechnerisch nicht auf. Mein Grundsatz im vergangenen Jahr war: verhindern, reduzieren, kompensieren. Jetzt merke ich aber, dass Kompensieren keine gleichwertige Alternative ist. Also möchte ich so viel wie möglich verhindern und reduzieren – und den Rest transparent machen. Etwas Geld zahlen und sich dann als klimaneutral bezeichnen ist zu leicht.

STANDARD: Sie haben in dieser Saison einiges Aufsehen erregt. Ein Skiprofi als Klimaaktivist ist ungewöhnlich. Wie fielen die Reaktionen aus?

Schütter: Unterschiedlich. Viele Aktive sind froh, dass das Thema angegangen wird. Sie sagen, es sei Zeit gewesen. Andere finden es eher lästig. Dann gibt es noch die klassischen Hater, die mich ohne inhaltliche Argumente als Person attackieren, die findet man eher in Social Media. Auf die bin ich stolz. Die zeigen, dass ich etwas richtig mache. Dass ich einen Nerv getroffen habe.

STANDARD: Man wirft Ihnen auch Doppelmoral vor. Ist das legitim?

Schütter: Ja. Da ist etwas Wahres dran. Diese Vorwürfe habe ich mir auch lange Zeit gemacht. Als Skiprofi habe ich einen großen ökologischen Fußabdruck. Und ich habe oft überlegt, ob ich den Sport besser bleiben lassen sollte.

STANDARD: Trotzdem sind Sie weiterhin im Skisport aktiv. Warum?

Schütter: Weil ich diese Plattform positiv nutzen kann. Was hätte sich in dieser Szene geändert, wenn ich aufgehört hätte? Gar nichts. Der nächste Sportler hätte meinen Platz eingenommen, und alles würde weiterlaufen wie bisher. Alle Bereiche der Gesellschaft müssen sich verändern. Und es erscheint mir vernünftiger, jede Schicht von innen heraus zu adaptieren.

Julian Schütter als Skiprofi in Kitzbühel.
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STANDARD: Sie haben sich am 21. Jänner in Kitzbühel einen Kreuzbandriss zugezogen. Hat dieser Unfall die Gedanken an einen Rücktritt wiederbelebt?

Schütter: Nein,nicht wirklich. Ich durfte in den vergangenen Monaten häufig über dieses wichtige Thema der Klimakrise in der Öffentlichkeit sprechen. Was ich mache, hat sich noch nie so sinnvoll angefühlt. Diesen Weg möchte ich fortsetzen. Daran hat die Verletzung nichts geändert.

STANDARD: Sie waren bei den Junioren Vizeweltmeister in der Abfahrt, Sie haben große Ziele. Besteht als Spitzensportler nicht die Gefahr, dass man den Fokus verliert?

Schütter: Doch. Das ist ein Thema. Ich muss meine Prioritäten richtig setzen. Ich denke aber, dass mir der Aktivismus hilfreich ist. Die Demotivation durch mein schlechtes Gewissen hat mich vom Erfolg abgehalten. Ich konnte meine Tätigkeit vor mir nicht mehr rechtfertigen. Meine Motivation war so im Keller, dass ich keine Performance mehr bringen konnte. Ich war zwischendurch richtig schlecht.

STANDARD: Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt wurde kritisiert, weil er den offenen Brief an die Fis nicht unterschrieben hat. Ist das fair?

Schütter: In erster Linie sind die Verbände und nicht die Aktiven zum Handeln aufgefordert. Es sind die Verbände, die den Rennkalender bestimmen. Ich finde es nicht fair, dass Odermatt explizit herausgepickt wird. Es gibt viele Profis, die den Brief nicht unterschrieben haben. Odermatt war der Erste, der darauf angesprochen wurde. Er hat eine starke Meinung dazu, das ist zu akzeptieren.

STANDARD: Was fordern Sie und Ihre Mitstreiter von der Fis in den kommenden Jahren?

Schütter: Entscheidungen, die im Sinne des Klimaschutzes getroffen werden. Die Fis will die Emissionen bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Dazu hat man sich vertraglich verpflichtet. Noch fehlt allerdings die Strategie. Da muss jetzt etwas passieren. Das ist unsere Forderung. Es muss der Fis bewusst werden, dass die bisherigen Ansätze nicht ausreichend waren.

Julian Schütter als Aktivist in Meribel.
Foto: APA/BARBARA GINDL

STANDARD: Der abgesagte Fis-Kongress 2020 war in Thailand angesetzt. Vergangenes Jahr fand ein Kongress in Mailand statt. Mailand statt Thailand – ist das schon ein Zeichen des Umdenkens?

Schütter: Das würde ich nicht überbewerten. 2024 geht es nach Reykjavík. Das ist auch nicht mit dem Rad zu erreichen.

STANDARD: Sie haben früher oft auf dem Dachstein trainiert. Dort wurden Sie zum ersten Mal mit dem Klimawandel konfrontiert, und ebendort wurde kürzlich der Schlepplift abgebaut. Ein Zeichen unserer Zeit?

Schütter: Das macht mich traurig, aber es war leider absehbar. In diesem Winter war kein Skibetrieb mehr möglich. Der Schneemangel und der Rückgang des Gletschers fordern ihren Tribut. Die Situation wird nicht mehr besser werden. Das ist unsere Realität. Und der müssen wir uns stellen.

STANDARD: Aus Österreich kennen wir die Bilder der weißen Bänder in der grünen Landschaft. Ist es vertretbar, den Skisport künstlich am Leben zu halten?

Schütter: Noch ist es aus meiner Sicht vertretbar. Aber es ist wichtig, dass öffentlich darüber diskutiert wird. Die Erzeugung von Kunstschnee verbraucht Wasser und Energie im großen Stil. Darüber muss man sich Gedanken machen. Wie lange will man sich das leisten? Diese Frage stellt sich nicht nur im Skisport. Es gibt auch andere Energiefresser.

STANDARD: Der Skisport war in Österreich früher heilig. Mittlerweile hat er einen schlechten Ruf. Teilen Sie diese Einschätzung?

Schütter: Der Skiurlaub steht unter Rechtfertigungsdruck. Es gibt Flugshaming, und es gibt Skishaming. Die negative Wahrnehmung scheint mir überzogen. Ich hoffe, dass man das Image des Skisports wieder aufbessern kann. Vielleicht kann ich einen Teil dazu beitragen. Auch Skifahrer machen sich Gedanken, wie man den Sport nachhaltig betreiben kann. Es geht nicht allen um den Profit.

STANDARD: Sie stammen wie der ehemalige Kitzbühel-Sieger Hans Knauss aus Schladming. Knauss findet die auf der Straße klebenden Klimaaktivisten fürchterlich. Wie denken Sie über deren Aktionen?

Schütter: Um als gesellschaftliche Bewegung Erfolg zu haben, braucht es gemäßigte und radikalere Stimmen. Ich bin froh, dass die Letzte Generation den radikalen Part übernimmt. Ich finde deren Aktionen in Anbetracht der Situation sinnvoll. (Philip Bauer, 24.3.2023)