Kiew – Der Himmel über Cherson strahlte in tiefem Blau, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der im November befreiten Stadt am Dnjepr einen Besuch abstattete. Neben einem Spaziergang durch die Innenstadt besuchte Selenskyj – von großem Sicherheitsaufgebot begleitet – auch ein ehemaliges Umspannwerk, das durch einen russischen Luftangriff zerstört worden war. "Ich danke allen, die daran arbeiten, den Menschen wieder Licht zu geben", schrieb Selenskyj auf seinem Telegram-Kanal.

Selenskyj auf Besuch in Cherson.
Foto: Ukrainian Presidential Press Service/Handout via REUTERS

Acht Monate lang hatten Moskaus Truppen die Stadt, in der einst eine Viertelmillion Menschen lebten, besetzt gehalten, erst die erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Armee im Herbst zwang sie zum Abzug auf die gegenüberliegende Flussseite. Man werde alles wiederaufbauen, versprach der Präsident: "So wie in allen anderen Städten und Dörfern, die unter den Besatzern zu leiden hatten."

Es war Selenskyjs zweiter Besuch in Cherson seit dessen Befreiung. Unmittelbar nach dem Abzug der russischen Truppen war der ukrainische Präsident in der Stadt triumphal empfangen worden. Zuvor hatte Selenskyj am Mittwoch Truppen nahe dem heftig umkämpften Bachmut im Donbass besucht.

Gegenoffensive "sehr bald"

Ebendort verliere die russische Offensive langsam an Schwung, sagte der Oberkommandierende der ukrainischen Bodentruppen, Oleksandr Syrskyj – und kündigte den baldigen Beginn der lange erwarteten ukrainischen Gegenoffensive an. Vor allem den Söldnern der Gruppe Wagner, die Bachmut seit vier Monaten in immer neuen Wellen einzunehmen versuchen, gehe die Kraft aus. "Schon sehr bald werden wir diese Gelegenheit nutzen, so wie wir es zuvor schon in Kiew, Balakliia (bei Charkiw, Anm.) und Kupiansk gemacht haben."

Abseits der Front beschäftigt das offizielle Kiew in diesem Frühling auch das Thema Strafverfolgung jener, die für Russlands Angriffskrieg verantwortlich sind, konkret der Haftbefehl gegen Präsident Wladimir Putin: Man solle den Verantwortlichen auch in Abwesenheit den Prozess machen, forderte Generalstaatsanwalt Andriy Kostin bei einem Besuch in Den Haag, wo der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ansässig ist.

Das Gericht hatte vergangenen Freitag für Aufsehen gesorgt, weil es einen Haftbefehl gegen Putin wegen der Entführung ukrainischer Kinder nach Russland ausgestellt hatte.

Während man in Kiew erwartbar mit Freude auf die Entscheidung des Haager Tribunals reagierte, hieß es zuletzt vom russischen Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew, dass Russland jeden Versuch einer Verhaftung Putins bei einer Auslandsreise als "Kriegserklärung" verstehen würde.

Martialische Worte

Medwedew, der im Westen einst als Reformer galt, seit Kriegsbeginn aber durch besonders martialische Rhetorik auffällt, legte am Donnerstag noch einen drauf und negierte einmal mehr die staatliche Existenz der Ukraine. Diese sei kein eigener Staat, sondern Teil "Großrusslands", erklärte er. Der Westen hingegen habe es darauf abgesehen, Russland in kleinere, schwächere Teilstaaten aufzuteilen, weil er sich von der russisch-chinesischen Allianz bedroht fühle, sagte Medwedew im Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Tass. Eine "Stabilisierung" des Verhältnisses zum Westen könne es zudem erst geben, wenn die heute dort Regierenden im Ruhestand oder gestorben sind.

Der ukrainische Präsident Selenskyj hingegen wird am Donnerstag kommender Woche auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) per Videoansprache zu den österreichischen Abgeordneten sprechen. (flon, 24.3.2023)