Zugeben, dass man etwas falsch gemacht hat, gehört zu einer Entschuldigung dazu. Dieser Hund scheint es zu verstehen, Menschen tun das nicht immer.
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Kürzlich hat Filmemacherin Sarah Polley für ihren Film Women Talking den Drehbuch-Oscar verliehen bekommen. Der Film handelt von Frauen unterschiedlicher Generationen, die innerhalb einer religiösen Gruppierung misshandelt wurden, und befasst sich mit der Frage, ob Verzeihen, wenn es eingefordert wird, überhaupt noch freiwillig ist. Man muss in einer Position sein, verzeihen zu können – und zu wollen. Dafür braucht es die Entschuldigung ursächlich.

Die Frage lautet im Grunde: Wer muss sich überhaupt entschuldigen, und bei wem? Auch: vor welchem Publikum? Wer kann dabei das Gesicht wahren? Entschuldigungen erzählen von Machtgefällen und Deutungshoheiten, auch von Unsicherheiten. Entschuldigen hat unterschiedliche Funktionen: Frauen wird nicht umsonst in vielen Ratgebern nahegelegt, sich nicht mehr ständig zu entschuldigen, wenn sie sich den Raum nehmen, der ihnen zusteht. Entschuldigungen sind Teil des gesellschaftlichen Gefüges und von dessen Normen.

Wann funktioniert eine Entschuldigung? Man kennt es von Gesprächen mit Kindern, egal ob man selbst das Kind war, das etwas angestellt hat, oder erziehungsberechtigt: "Entschuldige dich!", wird dann gefordert, und das Kind antwortet, augenrollend: "TSCHULLIGUNG!" Funktioniert das? Nein – weder bei Kindern noch Erwachsenen, die das Ganze nur sprachlich eleganter verpacken. Mit der reinen Äußerung einer Entschuldigung ist deren soziale Funktion nämlich noch längst nicht erfüllt.

Ruth Wodak kennt sich aus: Die Sprachsoziologin und Diskursforscherin ist emeritierte Professorin für angewandte Sprachwissenschaften der Universität Wien und der Lancaster University. Ihr Standardwerk Politik mit der Angst: Die schamlose Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse wurde 2020 in erweiterter Fassung neu aufgelegt. Wodak analysiert darin unter anderem die politische Rhetorik von Haider, Strache, Trump und Co und auch Methoden der vorgeblichen Entschuldigung.

Was hat eine Entschuldigung denn nun für eine Funktion? "Sie ist ein Sprechakt, der sowohl eine formale als auch eine Beziehungsebene bezeichnet wie auch eine Handlungsebene, eine Inhaltsebene. Man geht damit eine bestimmte Verpflichtung ein, die in unserer Gesellschaft auch normiert ist und Regeln umfasst. Bei der Entschuldigung geh ich auch eine bestimmte Beziehung ein, ich gebe zu, dass ich etwas falsch gemacht habe oder gegen die Regeln verstoßen habe, und gleichzeitig spreche ich eben einen bestimmten Inhalt an", so Wodak.

Ein verschobener Diskurs

Was hat sich verändert in den letzten Jahren? Es gibt weniger Sanktionen. Dabei erfordert dieses "Sprachspiel" sie, so Wodak: "Man muss etwas tun, etwas zahlen, zurücktreten, irgendwelche Konsequenzen ergeben sich daraus, ganz unterschiedlich. Zumindest in der Politik hat sich diese Fehlerkultur und diese Kultur des Entschuldigens enorm gewandelt vom berühmten ‚Eigentlich muss ich mich entschuldigen‘ von Haider, diese Doppelbotschaft, die er immer geschickt hat, diese ‚kalkulierte Ambivalenz‘, in dem er sich einerseits entschuldigt, aber gleichzeitig signalisiert, dass er sich nicht wirklich betroffen fühlt. Jetzt ist man dazu übergegangen, sich überhaupt nicht mehr zu entschuldigen." Eine gesellschaftliche Veränderung, möglich gemacht durch öffentliche Sprechakte, sozusagen. Eine Entschuldigung, die nicht ausgesprochen wird, ermöglicht auch für die Betroffenen keinen Abschluss, keine "closure", so Wodak.

Ein auch gar nicht mehr so neues Phänomen: Viele Argumente, die ursprünglich Errungenschaften des Kampfs für Gleichberechtigung und Diversität waren – also beispielsweise "Man darf niemanden ausschließen" und "Alle müssen eine Stimme haben" –, kommen nun auf der anderen Seite zum Einsatz. Wie sieht Wodak das? Ein Umdefinieren von Begriffen wie "Freiheit" und "Demokratie" erkennt sie, wobei man natürlich auch sofort "sehr sensibel reagiert, wenn man selbst kritisiert wird". Da ist sie dann doch wieder sehr dienlich, die sprachliche Empfindlichkeit, die man anderen so gern ankreidet.

Im Gespräch bleiben

Wie kann man dagegen vorgehen – auch im Alltag, gegen so einen verschobenen Diskurs? Über den Inhalt sprechen, nicht die Form, benennen, was ist und welche Strategien verwendet werden. "Sie versuchen, sich zu entziehen", "Ich weiß eigentlich nicht, warum Sie diesen Fehler nicht eingestehen wollen" – so vermeidet man, sich in eine Eskalation hineinziehen zu lassen. In Österreich sind wir, vorsichtig formuliert, gute Entschuldigungen kaum mehr gewöhnt. "Während der Pandemie war jeder verblüfft, dass sich Merkel entschuldigt hat, wie sie Maßnahmen wieder zurückgenommen hat. Auch wie sie sich dafür entschuldigt hat, dass manche demokratischen Freiheiten zugunsten anderer zurückstehen mussten, das wurde als Vorbild betont."

Von den Notwendigkeiten einer guten Entschuldigungskultur weiß auch Thomas Huemer, quasi Experte für Menschen, die sich entschuldigen müssen, und zwar öffentlich. Er arbeitet für Gaisberg Consulting. "Wir beraten Unternehmen oder Einzelpersonen allgemein, wenn sie Hilfe brauchen, sich darzustellen, aber auch in Krisensituationen, oder Unternehmen oder Einzelpersonen, die in sogenannte Litigation verwickelt sind." Egal ob es um bevorstehende Entlassungen geht, um Whistleblower, die an die Öffentlichkeit gehen, oder um Gerichtsverfahren – "es geht immer darum, im Gespräch zu bleiben". Das klingt nach Phrase, aber es steht für das Fortschreiben einer Kommunikationsbeziehung. "Das Entschuldigen ist Teil einer Geschichte, die beginnt beim Thema, wofür ich mich entschuldige, es folgt der Akt des Entschuldigens, und damit dieser Akt authentisch ist, kommt hinzu: Was mach ich denn, damit so was nicht mehr passiert?" Erst dann ist die Geschichte fertig erzählt, zu Ende ist sie erst, wenn die Entschuldigung geglaubt und akzeptiert wird.

Schuld und Verantwortung

Irgendwas zu erzählen ("Ich habe alles richtig gemacht!") reicht da nicht: "Wir raten jedem Unternehmen, das am Markt bleiben möchte, einen Weg zu wählen, wo die Geschichte nicht nur einen Tag lang in der Zeitung gut rüberkommt, sondern langfristig funktioniert." Es geht nicht so sehr um Schuld als darum, Verantwortung zu übernehmen. Wer dabei schwindelt, verliert. "Je weiter ich mich in eine Rolle gebracht habe, die unglaubwürdig ist, umso schwieriger und schmerzhafter wird der Weg, damit ich wieder glaubhaft bin", so Huemer.

Social Media hat die Dinge nicht verändert, aber beschleunigt, Entschuldigungen können verpuffen, weil sie in der Masse untergehen. Deshalb gehört auch der Bereich Social Media in die Hände von Profis: "Wer das in seiner Kommunikationsstrategie nicht berücksichtigt, ist aus der Zeit. Ich muss wissen, was ich sagen will, bevor ich auf Social Media kommuniziere." In Krisensituationen gilt es, planvoll vorzugehen, so Huemer: "Bevor man mit unsicheren Informationen hinausgeht, lieber ruhig sein, einen Ausblick geben, wann man etwas sagen kann, sonst schafft man zusätzlich zur Krise eine Kommunikationskrise. Man sollte aber die Probleme eher verkleinern als vergrößern." Was funktioniert nie? "Die falsche Entschuldigung ist die, die nicht funktioniert, weil ich sie nicht ernst meine und weil ich nichts in die Wege leite, um die Dinge, für die ich mich entschuldige, zu verbessern", so Huemer.

Gilt das auch für uns "Private", die wir keine Partei, keine Firma sind, für unsere Social-Media-Fights, wenn ins Internet gebrüllt, gefavt und geblockt wird? Im Grunde ja. Spätestens die Notwendigkeit einer Entschuldigung zwingt uns dazu, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir schreiben und uns äußern. Jade S. Kye bietet u. a. "Sensitivity Reading" an, jene Art von Lektorat, das sicherstellen soll, dass ein Text nicht beispielsweise rassistisch oder sexistisch ist. "Es geht hier nicht um individuelle Empfindungen, sondern um Expertise, den Versuch, Sprache inklusiver zu machen für diejenigen, die oftmals vergessen oder in Texten respektlos und stereotypisierend behandelt werden."

Respekt beim Schreiben

Sprache ändert sich, das Empfinden der Lesenden auch. Dass rein männliche Endungen einmal Frauen mitgemeint haben sollen, sorgt bei Jugendlichen inzwischen für Gelächter, vermutlich auch in Niederösterreich. Wie tut man also? Respekt beim Schreiben ist "eigentlich relativ einfach", beruhigt Kye. Man kann beispielsweise "davon weggehen, nur die männliche oder weibliche Form von Berufsbezeichnungen zu nehmen". Eigentlich eine einfache Übung: "dass man keine entmenschlichenden Fremdbezeichnungen verwendet", nicht das Abwerten bestimmter Gruppen salonfähig macht. "Alles, was zeigt, dass man bereit ist, andere Lebensrealitäten in den eigenen Text, die eigene Sprache einzu beziehen, hilft. Bei nichtweißen Personen wäre es ein Anfang, die Selbstbezeichnungen zu nennen – PoC (Person of Color), BPoC (Black Person of Color) – und zu erkennen, dass diese beiden nicht einfach austauschbar sind. Letzteres bezieht sich auf Schwarze Menschen speziell. Und Ersteres bezieht sich auf nichtweiße Menschen."

Es gilt, einmal einen Anfang zu machen: "Es geht nicht zwingend darum, sofort alles schon perfekt zu können, sondern darum, offen zu sein und bereit, sich zu entschuldigen, wenn es mal nicht so gut hingehauen hat", sagt Jade S. Kye. Es gibt sie nämlich, die Demokratisierung im Internet: "Viele Menschen kriegen zum ersten Mal eine Stimme, die man hören kann, Unterstützung und Verständnis, beispielsweise behinderte Menschen, BIPOC, jüdische Menschen." Die Konsequenz kann sein: Widerspruch, wo es vorher keinen gab. Hier gibt Kye zu bedenken: "Berechtigte Kritik ist kein Shitstorm. Aber Menschen, die für gewöhnlich die Deutungshoheit haben, sind es nicht gewohnt, dass man sie kritisiert."

Persy-Lowis Bulayumi ist Pädagoge und Jugendcoach sowie Qualitätsbeauftragter für die Entwicklung diskriminierungssensitiver und rassismuskritischer Handlungsansätze, er berät Unternehmen und Vereine, beispielweise wenn sich Mitarbeitende rassistisch verhalten haben. Er weiß: Am Werk sind oft sehr effiziente, unsichtbare diskriminierende Systeme. Dabei ist ein diskriminierungsfreies Umfeld ebenso Teil von internationalen Qualitätsnormen wie die Luftqualität am Arbeitsplatz. Rassismus ist eine "Kränkung, nichts anderes", es geht darum, "dass die Würde eines Menschen anhand von an den Haaren herbeigezogenen Kriterien einfach auf- oder abgewertet wird".

Raum für Fehler

Wie kann man Rassismus nun verhindern? "Wir sozialisieren uns noch immer so, als ob wir in einer Welt leben würden, in der es ein bis maximal drei Realitäten geben würde, dabei gibt es acht Milliarden Realitäten", so Bulayumi. "Integration mit dem Anspruch, dass nur eine Seite sich komplett verändert und assimiliert, gibt es tatsächlich nicht, das ist ein völliger Trugschluss." Wer interagiert, ändert sich gegenseitig. Allerdings: "Leider funktioniert die Integrationspolitik in unserem Land noch nicht so, dass wir uns überlegen, welche Auswirkungen haben die von uns gesetzten Ursachen eigentlich", so Bulayumi. Sich der Ausgangslage bewusst zu werden, braucht Zeit, so Persy-Lowis Bulayumi, und gegenseitige Geduld. Vorgefertigte Lösungen für alle gibt es nicht.

Bulayumis Lieblingsbeispiel bei Workshops funktioniert hervorragend als Metapher für alle Ziele, die man erreichen will: "Du bist am Karlsplatz und möchtest zum Stephansplatz. Was machst du? Du steigst in die U1 ein und fährst eine Station oder gehst die Kärntner Straße runter. Tatsächlich bist du aber in Floridsdorf. Du kannst ständig nach einer Station aussteigen, du kommst trotzdem nie am Stephansplatz an. Wenn du aber weißt, dass du in Floridsdorf bist, dann ist der Weg zum Stephansdom klar. Er wird vielleicht länger sein, vielleicht musst du umsteigen, aber du kommst auf jeden Fall zum Ziel."

Es muss überall Raum für Fehler geben und auch für Veränderung. Die Entschuldigung ist ein Raum, den sich alle Parteien zugestehen, in dem nachgedacht und verhandelt werden kann. Im schlechtesten Fall haben die Betroffenen kein Interesse mehr an einem Gespräch – denn auch die Normen, wer wem Aufmerksamkeit schenken muss, haben sich geändert. Und: Entschuldigen kann man sich nur einmal. Im besten Fall kann eine Geschichte ad acta gelegt werden und eine neue ihren Anfang nehmen – in Floridsdorf, am Stephansplatz oder ganz woanders.

Zugeben, dass man etwas falsch gemacht hat, gehört zu einer Entschuldigung dazu. Dieser Hund scheint es zu verstehen, Menschen tun das nicht immer. (Julia Pühringer, 25.3.2023)