US-Außenminister Antony Blinken

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Washington – US-Außenminister Antony Blinken schließt langfristig Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht aus. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Ukrainern, betonte er am Donnerstag vor einem Parlamentsausschuss in Washington. Jeder eventuelle Friedensschluss müsse "gerecht und dauerhaft" sein. Die Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine müsse gewahrt bleiben, betonte Blinken.

"Aber wie diese konkret im Territorium definiert wird: Da warten wir, dass die Ukrainer uns das sagen." Zugleich fügte der US-Außenminister hinzu: "Ich glaube, dass es Gebiete in der Ukraine gibt, bei denen die Ukrainer entschlossen sind, am Boden darum zu kämpfen. Und eventuell gibt es Gebiete, bei denen sie beschließen, dass sie versuchen wollen, sie auf anderen Wegen wiederzuerlangen."

Beobachtern zufolge ließ der Chef der US-Diplomatie damit durchblicken, dass Washington eine Rückeroberung aller von Russland besetzten ukrainischen Gebiete – vor allem der Krim – durch Kiews Truppen für nicht wahrscheinlich hält.

Debatte um Milliarden an Kiew

Blinken versicherte den Kongressabgeordneten, dass die bereits für die Ukraine genehmigten Milliarden von Dollar für einen Großteil des Jahres ausreichen würden, und bestand darauf, dass Maßnahmen ergriffen worden seien, um sicherzustellen, dass sie sinnvoll ausgegeben werden. "Ich habe 45 Leute in unserer Botschaft in der Ukraine, deren Aufgabe es ist, die Ausgaben dieser Gelder zu überwachen", sagte Blinken einem Unterausschuss für Mittel des Repräsentantenhauses bei einer Anhörung, die sich auf den Haushaltsantrag des Außenministeriums konzentrierte. Es war die vierte Kongressanhörung innerhalb von zwei Tagen mit Aussagen von Blinken, nachdem die Regierung von Präsident Joe Biden in seinem Haushaltsantrag für das Haushaltsjahr 2024 eine Erhöhung des Budgets der Abteilung um elf Prozent beantragt hatte.

Republikanische Abgeordnete hatten angesichts der Budgetprobleme Washingtons die Unterstützung Kiews infrage gestellt und vor Korruption in der Ukraine gewarnt. Blinken würdigte die "Großzügigkeit der amerikanischen Steuerzahler", sagte aber, die Last sei von mehr als fünfzig anderen Ländern geteilt worden. Die Vereinigten Staaten hätten 32 Milliarden US-Dollar an Sicherheitshilfe für die Ukraine zugesagt, aber 22 Milliarden US-Dollar seien von anderen Ländern zugesagt worden. Und Washington habe etwa 15,5 Milliarden Dollar an wirtschaftlicher Unterstützung bereitgestellt, während es bei anderen Ländern 24 Milliarden Dollar gewesen seien. Washington habe weiters zwei Milliarden Dollar an humanitärer Hilfe geschickt, aber andere Länder 3,5 Milliarden, sagte Blinken: "Wenn wir den Stecker ziehen würden – entweder wir selbst oder Verbündete und Partner –, hätte das katastrophale Folgen für die Ukraine".

London sieht russische Probleme in der Rekrutenausbildung

Die russische Armee hat nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten zunehmend Schwierigkeiten, ihre Rekruten auszubilden. Das geht aus dem täglichen Update des Londoner Verteidigungsministeriums zum Ukraine-Krieg vom Freitag hervor. Demnach wurden kürzlich 1.000 Soldaten nach Übungen in einem Lager in Belarus wieder in die Ukraine verlegt.

"Obwohl keine neue Truppenverlegung dorthin festgestellt wurde, hat Russland das Zeltlager höchstwahrscheinlich an Ort und Stelle belassen, was darauf hindeutet, dass sie das Übungsprogramm fortsetzen", so die britischen Experten.

Die Tatsache, dass Russland sich bei der Ausbildung seines Personals auf die weit weniger erfahrene belarussische Armee verlasse, sei ein Anzeichen dafür, dass der Krieg in der Ukraine das russische Ausbildungsprogramm aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Russische Ausbilder seien weitgehend in der Ukraine im Kampfeinsatz. Die indirekte Unterstützung durch Belarus werde aber wohl auch als wichtiges politisches Signal in Moskau gewertet.

Medwedew zitiert Stalin

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hat vor Vertretern einer nationalen Rüstungskommission Sowjetdiktator Josef Stalin zitiert, wie aus einem von mehreren Videos hervorgeht, die Medwedew selbst am Donnerstagabend sowie Freitagvormittag in sozialen Netzwerken veröffentlichte.

Medwedew gilt als glühender Verfechter des brutalen russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland. In dem Video ist zu hören, wie er – am Kopfende eines langen Tisches sitzend – aus einem Telegramm Stalins aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs vorliest, in dem dieser eine Fabrik in der Stadt Tscheljabinsk zur pünktlichen Produktion von Panzerteilen aufruft. "Sollte sich in ein paar Tagen herausstellen, dass Sie Ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland verletzen, so werde ich damit beginnen, Sie wie Verbrecher zu zerschlagen", heißt es in dem Schreiben aus dem Jahr 1941 weiter.

Anschließend sagt Medwedew, der mittlerweile Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats ist, in die Runde: "Kollegen, ich will, dass Sie mir zuhören und sich an die Worte des Generalissimus erinnern." Mehrere russische Medien berichteten anschließend über diesen ungewöhnlichen Auftritt.

Kampf gegen die gesamte Nato

Später veröffentlichte Medwedew auch Ausschnitte aus einem Interview mit russischen Journalisten. Darin behauptete er einmal mehr, Russland kämpfe eigentlich gar nicht gegen die Ukraine, sondern gegen die gesamte Nato. An einem "direkten Konflikt" mit der Nato sei Russland aber nicht interessiert, sondern vielmehr an einer Lösung der Ukraine-Krise durch Gespräche, wurde Medwedew von der Agentur Interfax zitiert.

Zivilisten getötet

Unterdessen wurden in der Ukraine innerhalb eines Tages mindestens neun Zivilisten bei russischen Angriffen getötet. Weitere 26 seien verletzt worden, teilte der Pressedienst des ukrainischen Militärs am Freitag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Betroffen von Angriffen waren demnach acht Gebiete des Landes, dabei insbesondere das östliche Donezker Gebiet. Behördenangaben zufolge wurden dort allein bei einem Angriff auf ein Obdachlosenheim in der Stadt Kostjantyniwka drei Menschen getötet und zwei weitere verletzt.

Die Ukraine wehrt seit mittlerweile 13 Monaten eine russische Invasion ab. Die Vereinten Nationen haben seitdem mehr als 8.300 getötete Zivilisten registriert. Die Organisation geht aber aufgrund des fehlenden Zugangs zu den russisch besetzten Gebieten von in Wahrheit noch weitaus höheren Opferzahlen aus. (red, Reuters, APA, 24.3.2023)