Pianist Igor Levit wird vom ORF-RSO Wien und Chefdirigentin Marin Alsop bei Hans Werner Henzes Verarbeitung der "Tristan"-Thematik Wagners resolut begleitet.

Dieter Nagl

Das schönste Musikstück wurde als spontanes Vorspiel gegeben: die Uraufführung des Werks mit dem Titel Demonstrativer Applaus für 3000 klatschende Hände. Die Frohbotschaft vom Weiterleben des ORF-RSO Wien hatte am Donnerstagabend auch schon dessen Abonnementpublikum im Musikverein erreicht. Und so fluteten vor Konzertbeginn Beifall und kollektive Freude den Großen Saal, und die Musikerinnen und Musiker des Radio-Symphonieorchesters, sie strahlten sichtlich Erleichterung aus.

Beim Publikumsgespräch nach dem Konzert verriet die RSO-Intendantin Angelika Möser, dass in den Morgenstunden "noch große Unsicherheit" über die Zukunft des Orchesters geherrscht habe. Auch nach dem nachmittags publikgemachten Bekenntnis von Kunststaatssekretärin Andrea Mayer zum Erhalt des Orchesters werde es "noch einiger Verhandlungen bedürfen". Und wie man wisse: "Der Teufel steckt im Detail." Wird das Orchester beim ORF situiert bleiben oder ausgegliedert? Wird es eine Mischfinanzierung zwischen ORF und der Politik geben? Alles noch offen, wobei sich Mayer weiterhin für eine gesetzliche Verankerung des RSO einsetzt, "damit diese Diskussionen in Zukunft nicht mehr notwendig sind".

Ausnahmsweise ein Bier

Chefdirigentin Marin Alsop vermutete gar, dass man die Unterstützung des Publikums bald noch einmal benötigen werde. Dennoch würde sie sich nach einem Tag wie diesem ausnahmsweise ein Bierchen genehmigen. Das hat sich die US-Amerikanerin auch verdient. Denn nach der Zitterpartie um ihr Orchester hatte sie dieses, nur drei Tage nach einem Paris-Gastspiel, vor dem Talk mit Hausherr Stephan Pauly durch ein extrem anspruchsvolles neues Programm gelotst. Als eine Innenschau in traumatisierte Seelenwelten entpuppte sich Tanja Elisa Glinsners BlurRed für Orchester. Mit Richard Strauss’scher Klanglust verwandelte die 1995 in Linz Geborene den Orchesterapparat in ein Füllhorn des Schreckens. Eine Welt für sich dann auch Hans Werner Henzes Tristan. Starpianist Igor Levit interpretierte die collageaffinen Préludes für Klavier, Tonbänder und Orchester als nachschöpferischer Geist mit Gefühlsgenauigkeit und routinierter Suggestivkraft.

Das Credo des Werks, laut Levit: No fear! Henze, der feinnervige Freigeist der Neuen Musik, arbeitete sich hier nicht nur an seinem Kollegen Richard Wagner ab, sondern verarbeitete in dem Großwerk (von 1984) auch persönliche und politische Schicksalsschläge.

Für ein langes Leben!

Und sogar Brahms, einst an Ort und Stelle wirkender Konzertdirektor der Gesellschaft für Musikfreunde, kommt als "Feind" Wagners zu Klangehren: Seine erste Symphonie wird von Henze zitiert. Ein komplexes, intensives Werk, das man gerne wöchentlich hören würde, um dessen vollen Gehalt erschließen zu können. Levit, der das Werk schon mit den Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen interpretiert hat, wünschte dem RSO nach dessen gut 600 Auftritten im Musikverein weitere 6000. Das wäre toll, denn dann könnte man neben Henze vielleicht auch Bartóks Konzert für Orchester noch einmal so unterhaltsam hören: amüsant etwa das kokette Paarungsverhalten der Holzbläser im zweiten Satz, energiegeladen das fröhliche Fugato im Finalsatz. Jubel für einen Klangkörper, der nun also weiterleben darf. (Stefan Ender, 24.3.2023)