Die Supermarktkette Mpreis in Tirol will ihre Lkw-Flotte Schritt für Schritt mit grünem Wasserstoff betreiben. Vor allem in der Industrie ist das flüchtige Gas ein Thema.

Foto: ho

Bei Wasserstoff (H2) stand die Industrie immer knapp vor der Marktreife. Vor 30 Jahren schon hieß es: "In fünf Jahren ist es so weit." Es waren immer der Preis und die fehlende Infrastruktur, die den Durchbruch verhinderten. Das dürfte sich angesichts der dramatischen Veränderung des Weltklimas aufgrund der viel zu hohen Konzentration von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre jetzt ändern.

Einige Länder, die in großen Volumina Wasserstoff erzeugen möchten, haben bereits aufgezeigt. In Europa ist das neben Spanien unter anderem Rumänien. Beide haben nicht nur geografisch günstige Voraussetzungen, grünen, sprich klimaneutralen Wasserstoff herzustellen. Beide kommen auch auf eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Sonnenstunden und sind prädestiniert für das Aufstellen großflächiger Photovoltaik-Anlagen.

Geografische Vorteile

Beide Länder sind aber auch sehr geeignet für Windkraftanlagen und haben abseits der Agglomerationen viele unbewohnte Landstriche – Flächen, die wegen zunehmender Dürre landwirtschaftlich nur mehr schwer nutzbar sind.

Die großen Abnehmerländer stehen ebenfalls fest und sind mehr oder weniger ident mit jenen, die jetzt schon das meiste H2 in Europa einsetzen: Deutschland, Niederlande, Polen und Frankreich. Der Wasserstoff, der dort vorwiegend zum Einsatz kommt, ist noch grau. Das soll sich in absehbarer Zeit ändern.

Es gibt verschiedene Arten, Wasserstoff zu erzeugen. Von grünem Wasserstoff spricht man dann, wenn er mittels Elektrolyse aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne hergestellt wird. Schon jetzt gibt es entsprechende Herkunftsnachweise, wie es sie seit langem auch für grünen Strom gibt.

Sogenannter grauer Wasserstoff wird durch die Dampfreformierung (technisches Verfahren zur Herstellung von Synthesegas, Anm.) fossiler Brennstoffe wie Erdgas, Kohle oder Erdöl erzeugt. Dabei entsteht als Abfallprodukt CO2, das in die Atmosphäre abgegeben wird. Grauer Wasserstoff ist daher nicht klimaneutral und deshalb verpönt.

Proteste

Das Thema soll am Mittwoch auch bei einem Wasserstoffschwerpunkt im Rahmen einer internationalen Gaskonferenz in Wien behandelt werden. Rund 40 Personen aus dem Bündnis Blockgas haben am Sonntag die Zufahrt zum Privatjetterminal am Flughafen Wien blockiert. Damit wollten die Aktivistinnen und Aktivisten sowohl auf die Klimakrise als auch auf die steigende Armut in Österreich durch die hohen Energiekosten hinweisen.

Der Gesamtverbrauch von Wasserstoff in der EU liegt derzeit bei 340 Terawattstunden (TWh), was elf Prozent der weltweiten Nachfrage entspricht. In Österreich liegt die Wasserstoffnutzung nach Angaben von Alfons Haber, Co-Geschäftsführer der E-Control, bei etwa fünf TWh. Das entspricht rund 1,5 Prozent des EU-weiten Verbrauchs. Zum Einsatz kommt das flüchtige Gas vorwiegend in Raffinerien und in der chemischen Industrie.

Hochtemperaturprozesse

Überall dort, wo Hochtemperaturprozesse laufen, wie bei der Zementerzeugung oder in der Stahlindustrie, bietet sich Wasserstoff als Alternative zu dem bisher in die Ziehung gelangten Erdgas an. Erdgas setzt beim Verbrennen zwar weniger CO2 frei als Erdöl oder Kohle, steht als fossiler Energieträger aber spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auf der schwarzen Liste. Russland war der wichtigste Gaslieferant der EU; in eine vergleichbare Abhängigkeit von einem Land sollte Europa bei Wasserstoff nicht mehr gelangen, warnen Experten.

Dass Europa auch bei Wasserstoff auf Importe angewiesen sein wird, sei nicht schönzureden, sagt Frank Klose, Energieexperte der Boston Consulting Group (BCG). "Wir werden Wasserstoff über Pipelines auch aus dem europäischen Nahbereich, aus Nordafrika und dem Nahen Osten beziehen müssen. Sonst kommen wir nie auf die Größenordnungen, die wir brauchen", sagt Klose im Gespräch mit dem STANDARD.

USA düsen los

Zusätzlich bringen sich auch weit entfernte Länder wie Chile in Stellung, um Europa mit grünem Wasserstoff zu beliefern. Und die USA. Dort wurde Wasserstoff lange Zeit skeptisch beäugt. Mit den Klimapaketen von Joe Biden melden sich die USA aber massiv zurück – und setzen auf altbekannte Stärken: Subventionen, Erfindergeist, Forschungsnetze und Pragmatismus. Pragmatischer sollte auch Europa an die Sache herangehen, wünscht sich Energieexperte Klose, entscheidungsfreudiger und schneller.

"Europa hat weltweit die ambitionierteste Dekarbonisierungsagenda, relativ dazu aber ein geringes Potenzial an erneuerbaren Energien, das zur Herstellung von CO2-freiem Wasserstoff genutzt werden kann", sagt Klose. Was es an erneuerbarem Potenzial gebe, werde überwiegend benötigt, um die direkte Elektrifizierung voranzutreiben.

E-Control-Vorstand Alfons Haber macht im Zusammenhang mit Wasserstoff auf rechtliche Anpassungen aufmerksam, die noch folgen müssten, etwa, dass die E-Control als zuständige Behörde für die Regulierung von Wasserstoffinfrastruktur und Marktmodell festgelegt wird.
Foto: ho / anna rauchenberger

Seitens der EU ist laut E-Control-Chef Haber angedacht, die Produktion von grünem Wasserstoff von einer Million Tonnen 2024 auf etwa zehn Millionen Tonnen 2030 zu steigern. Das wären 330 TWh gleich 330 Milliarden Kilowattstunden. Zum Vergleich: Der Gasverbrauch in Europa liegt bei 3900 TWh.

Viele Pilotprojekte

In Österreich laufen in jedem Bundesland Pilotprojekte mit Wasserstoff; jüngstes Beispiel ist die Tiroler Supermarktkette Mpreis, die vor kurzem ihren ersten Wasserstoff-Lkw in Betrieb genommen hat. Zur Erzeugung des Wasserstoffs wurde am Firmensitz in Völs ein eigener Elektrolyseur errichtet.

Österreich könne eine Transitdrehscheibe für Wasserstoff werden und so an der Entwicklung partizipieren, sagt Haber. Über bestehende Leitungen, die mit vergleichsweise wenig Aufwand wasserstofftauglich gemacht werden müssten, könnte Wasserstoff zu großen Abnehmern etwa im süddeutschen Raum geleitet werden. Dazu seien aber noch einige rechtliche Anpassungen notwendig.

(Günther Strobl, 27.3.2023)