Auf dem Handy ist es 13 Uhr, auf der Armbanduhr 12 Uhr.

Foto: REUTERS/Mohamed Azakir

Die Frage nach der aktuellen Uhrzeit ist normalerweise leicht zu beantworten. Im Libanon sorgt sie aber seit Sonntag für Stirnrunzeln. Denn im Land am Mittelmeer sind aktuell zwei Uhrzeiten gleichzeitig aktiv.

Eigentlich hätten die Uhren am Sonntag wie in Österreich und anderen Staaten um eine Stunde nach vorne gestellt werden sollen. Am Donnerstag gab der geschäftsführende Premierminister Najib Mikati aber bekannt, dass die Zeitumstellung auf 20. April verschoben werde. Die Vorgabe wurde nicht begründet, allerdings tauchte ein Video eines Gesprächs zwischen Mikati und Parlamentssprecher Nabih Berri auf. Darin bittet Letzterer, die Sommerzeit bis zum Ende des Ramadans zu verschieben.

Mikati folgte dem Wunsch. Es wird vermutet, dass er damit bei der muslimischen Bevölkerung punkten will. Denn im Ramadan sind Muslime angehalten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu fasten. Weil die Uhr nicht nach vorne gestellt wird, können sie bereits gegen 18 Uhr ihr Fasten brechen. Mit Zeitumstellung wäre dies erst gegen 19 Uhr der Fall gewesen.

Zwei Zeiten

Das Problem: Nicht alle halten sich an die Vorgaben der Regierung. Während öffentliche Einrichtungen daran gebunden sind, stellte etwa die die maronitische Kirche die Uhren wie gewohnt um eine Stunde vor. Andere christliche Organisationen und Schulen zogen ebenfalls nach. Auch die führenden zwei TV-Sender LBCI and MTV boykottieren Mikatis Beschluss.

Der Blick auf die Uhr kann trügen.
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Die staatliche Fluggesellschaft Middle East Airlines ging einen Mittelweg. Sie blieb zwar in der Winterzeit, stellt aber ihre Flugzeiten bereits auf Sommerzeit um, um im internationalen Flugplan kein Chaos zu stiften.

Kritik an Mikati

Wie sich das alles in der Praxis auswirkt, hat eine NGO-Mitarbeiterin in Beirut erzählt. "Ich habe einen Termin um acht Uhr und einen Kurs um neun Uhr, die nun zur gleichen Zeit stattfinden", sagte Haruko Naito der Nachrichtenagentur AP. Der eine Termin betrifft eine private Sprachschule, die die Uhren umgestellt hat. Der andere Termin ist bei einer Behörde, die sich an den Beschluss der Regierung hält.

"Das Chaos ist in vollem Gange, während wir versuchen herauszufinden, wann unsere Termine am Montag stattfinden", twitterte Anna Fleischer, die Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut.

In den sozialen Medien wird bereits gescherzt, dass es im Libanon künftig eine "muslimische" und "christliche Zeit" geben würde, berichtet die "Tagesschau". Für die Autorin Kim Ghattas ist das Chaos ein weiteres Zeichen des "totalen Versagens auf allen Ebenen der politischen Anführer".

Der geschäftsführende Justizminister Henry Khoury hat Mikati aufgefordert, seinen Beschluss rückgängig zu machen, weil dieser die libanesische Bevölkerung spalten würde.

Wirtschaftskrise

Seit Ende 2019 steckt der Mittelmeerstaat in der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Sie wird unter anderem auf jahrzehntelange Korruption in Politik und Wirtschaft zurückgeführt. Drei Viertel der mehr als sechs Millionen Menschen im Land leben nach Angaben der Vereinten Nationen in Armut. (ag, APA, 26.3.2023)