Berlin – Die gute Nachricht zuerst: Zu Ostern müssen Reisende keinen Bahnstreik befürchten. Das verlautet zumindest die deutsche Eisenbahngewerkschaft EVG. Wohl auch, um die Passagiere zu besänftigen. Deren Geduld wird heute, Montag, ohnehin bis zum Anschlag strapaziert. Der in Deutschland beispiellose Warnstreik umfasst den Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr auf der Schiene, den kommunalen Nahverkehr, viele deutsche Flughäfen, die Wasserstraßen und Häfen sowie Autobahnen. Nichts geht mehr, heißt es deutschlandweit seit Mitternacht.

Am Montag müssen sich Pendler, Reisende und Unternehmen in Deutschland wegen Warnstreiks bundesweit auf große Verkehrsprobleme einstellen
DER STANDARD

Man wolle mit den Streiks "die Arbeitgeber und nicht die Reisenden treffen", tat die Gewerkschaft in der Bild am Sonntag kund. Noch ehe es so richtig ungemütlich wird. Der Streik trifft Berufspendler und Reisende hart. Auch die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi legen die Arbeit nieder.

Demonstranten unterstützen in Berlin Gewerkschaftsforderungen für Lohnerhöhungen. Aufgerufen dazu hatte unter anderem die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Foto: Imago/Jürgen Held

Fern- und Nahverkehr

Der Fernverkehr steht komplett still, auch bei der DB Regio, zuständig für den Regionalverkehr, rollt großteils kein Zug. Der Flugverkehr, in einigen Bundesländern der öffentliche Nahverkehr – und das über Deutschland hinaus bis nach Österreich – ist vom Ausstand betroffen. Wer seine Reise nicht verschieben kann – und etwa auf den über das Deutsche Eck eingerichteten Schienenersatzverkehr ausweicht, braucht Geduld. Betroffen sind alle Zugverbindungen über das Deutsche Eck. Ein Pendelverkehr im Zweistundentakt wurde eingerichtet. Fahrten können bis zu drei Stunden länger dauern. Züge von und nach Deutschland werden kurzgeführt oder fallen aus.

Mehrere deutsche Bundesländer haben das sonntags sonst geltende Lkw-Fahrverbot aufgehoben oder wollen auf Kontrollen verzichten.

Schwierige Lohnverhandlungen

Es geht wieder einmal ums Geld. In Zeiten der hohen Inflation sind Lohnverhandlungen besonders schwierig. Die EVG verhandelt für rund 230.000 Beschäftigte in 50 Bahn- und Busunternehmen über einen neuen Tarifvertrag. Sie fordert Lohnerhöhungen von zwölf Prozent, mindestens aber 650 Euro. Verdi verlangt für die 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen, unter anderem für Beschäftigte des Nahverkehrs und an Flughäfen, 10,5 Prozent mehr, mindestens aber 500 Euro monatlich.

Der 24-stündige Warnstreik betrifft sowohl Bahn- als auch Bus- und Flugverkehr.
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Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser verlieh am Freitag ihrer Hoffnung Ausdruck, dass man mit Verdi nach dem großen Verkehrsstreik am Montag rasch auf einen grünen Zweig kommen wird. "Ich bin sicher, dass wir nächste Woche eine gute Einigung für die wertvolle Arbeit unserer Bediensteten im öffentlichen Dienst finden werden", sagte die SPD-Ministerin am Freitag.

Zurück zum Verhandlungstisch

Zu Wochenbeginn wird mit Verdi und den kommunalen Arbeitgebern weiterverhandelt. Verdi-Gewerkschaftsboss Frank Werneke hat bereits in Aussicht gestellt, dass man es den Arbeitgebern nicht leicht machen werde. Sie müssten sich bewegen. "Unsere Leute sind es leid, sich in den Tarifverhandlungen mit dem Nasenring durch die Arena führen zu lassen", sagte der Gewerkschafter am Freitag im Sender Phoenix.

In München wurde der zweitgrößte deutsche Flughafen schon am Sonntag bestreikt. An beiden Tagen fallen damit alle ursprünglich geplanten gut 1.500 Verbindungen aus.
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Zumindest Fachleute zeigen Verständnis für die Forderungen. "Wir sehen hier einen Tarifkonflikt, der weder ungewöhnlich noch unverständlich ist", sagte die Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, der Rheinischen Post. Sie verwies auf die Belastungen für die Beschäftigten durch die hohe Inflation.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), rechnet laut Reuters in den kommenden Jahren mit mehr Streiks in Deutschland. "Wir erleben zurzeit eine Wende auf dem Arbeitsmarkt: Die Zeiten eines Arbeitgebermarktes, in dem Arbeitgeberlöhne und Arbeitsbedingungen mehr oder weniger diktiert werden konnten, scheinen vorbei." (rebu, 27.3.2023)