DER STANDARD geht in seiner Serie "Gesundheitssystem am Limit" den Fragen nach, wo in der Gesundheitsversorgung in Österreich Engpässe auftreten, warum Veränderungen auf sich warten lassen und wie Lösungen aussehen können.

Illustration: Der STANDARD

Maximal fünf Minuten pro Patient oder Patientin, mehr könne sie aus finanzieller Sicht nicht veranschlagen, sagt eine praktische Ärztin. Sonst sei die Ordination nicht leistbar, die sie vor der Eröffnung unter hohen Auflagen umgebaut habe. In der Realität gehe sich das natürlich nicht aus, zumal die Menschen mit immer höheren Ansprüchen zu ihr kämen.

Szenenwechsel ins Krankenhaus: Kürzlich warnte die Österreichische Gesellschaft für Unfallchirurgie davor, dass Menschen, die auf erfahrene Unfallchirurginnen und Unfallchirurgen angewiesen seien, "auf kaum noch haltbare Zustände in den Spitälern" träfen. "In Wien sollte derzeit besser niemand einen Unfall haben", bekräftigte kurz später ein Arzt des Faches der "Krone". Wieder ein Hilfeschrei aus einem Spital, der sich in eine Reihe von Warnungen einfügt.

Bei der Versorgung in Spitälern läuft nicht immer alles rund.
Foto: Steffan Arora

Veränderung als Bedrohung

Offensichtlich ist im Gesundheitsbereich vieles im Umbruch, zum Teil durchaus beabsichtigt und geplant: Zum Beispiel wurden die Bettenkapazitäten in den Spitälern zurückgefahren, und im niedergelassenen Bereich fühlt sich manch Hausarzt von Primärversorgungszentren bedroht, obwohl der Ausbau bisher sehr schleppend lief.

Was aus den Krankenhäusern und Arztpraxen dieses Landes zu hören ist, sind aber weit mehr als Symptome der Überforderung einzelner Veränderungsverweigerer (die es auch gibt). Die regelmäßig öffentlich gemachten Hilfeschreie werfen die Frage auf, wie sehr es wo an Ressourcen mangelt. Fährt das Gesundheitssystem, wenn alles so weitergeht, "gegen die Wand", wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) schon vor Monaten warnte? DER STANDARD geht dem in einer Serie auf den Grund und beleuchtet verschiedene Bereiche (eine Auswahl folgt weiter unten).

Mehr Bedarf für alternde Bevölkerung

Der allgemeine Arbeitskräftemangel trifft den Gesundheitsbereich jedenfalls ganz besonders, allein schon deshalb, weil die Aufgaben wachsen: Österreichs Bevölkerung wird älter und versorgungsintensiver. Zugleich läuft vieles ineffizient: Viele Behandlungen, die derzeit im Krankenhaus, also der teuersten Versorgungseinheit, gemacht werden, könnten längst woanders stattfinden.

Für die Krankenhäuser sind die Länder zuständig, die Sozialversicherung zahlt ordentlich mit, darf aber in der Organisation nicht mitreden. Ihr Hoheitsbereich ist der niedergelassene Bereich, der durch sie finanziert wird. Allerdings muss sie mit den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, allen voran der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), auskommen.

"Extrem schwierig" zu steuern

Im Gesundheitssystem etwas zu steuern sei "extrem schwierig", befindet Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), da Österreich nicht nur föderalistisch, sondern auch korporatistisch organisiert ist. Also nicht nur der Bund und neun Bundesländer reden mit, sondern auch die Kammern (die ihre jeweiligen Vertreter in der Sozialversicherung sitzen haben) und zusätzlich Vertreter der Ärztekammer.

Die Ärztekammer ist hierzulande ungewöhnlich mächtig: Sie hat gewerkschaftliche Funktionen, Disziplinaraufgaben, redet in der Ausbildung mit und noch einiges mehr. Von der Politik wird ihr oft eine Blockadehaltung vorgeworfen. Sie verhält sich denn auch stets konservativ, fürchtet um ihren Einfluss und um Einnahmen für Mitglieder.

Bund-Länder-Hickhack

In den Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sieht Minister Rauch eine Möglichkeit, "an großen Schrauben zu drehen", um "große Transformationen" zu erreichen – idealerweise soll dadurch das ewige Patientenherumgeschiebe zwischen den verschiedenen Bereichen ein Ende finden. Die Länder schlugen in der Sache einen eigenen Topf für den ambulanten Bereich vor. Viel Macht hergeben wollen sie aber nicht: Zuletzt stellte Hans Peter Doskozil (SPÖ), aktuell auch Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, Richtung Rauch klar, dass man zwar über Reformen reden wolle, aber nicht über ein Verschieben von Kompetenztatbeständen.

Es wird sich zeigen, wie groß der Veränderungswille wirklich ist. Irgendeine Einigung wird es geben müssen, und zwar bis Jahresende, denn die sogenannte 15a-Vereinbarung, die Bund und Länder für die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens beschließen müssen, besagt, dass ohne Einigung "die am 31. Dezember 1977 in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften (...) wieder in Kraft gesetzt" werden. Das wäre ein Rückschritt um mehr als 45 Jahre. (Gudrun Springer, 27.3.2023)