Kendra Morris gastiert am Dienstag im Wiener B72, am Mittwoch im Kulturkeller Villach.

Foto: Sarai Mari

Nachdem Pop immer auch Look bedeutet, vorab eine optische Einschätzung. Die lautet: gute Güte.

Man vermeint Kendra Morris zu kennen. Aus US-Crime-Serien, in denen Cops in verknitterten Anzügen im Trailerpark-Milieu ermitteln. Da geht immer irgendwo eine Wohnwagentür auf und eine Figur wie zehn Jahre Spätschicht in der Meth-Küche schaut raus, brüllt zahnlos eine Obszönität und sorgt so für Klischee und Authentizität zugleich.

Natürlich tut man Kendra Morris unrecht, doch der von ihr bemühte Chic spult derlei Filmchen im Kopf wie von selbst ab. Ihre blondierte Mähne, schrille Billigsdorfer-Tops, die 1980er-Jahre-Brille aus dem Dioptrien-Diskonter und großflächige Tätowationen … also wenn Axl Rose eine Frau wäre … andererseits, nein.

Denn Kendra Morris kann singen. Und zwar ziemlich. Ihr Fach ist ein mit einem Bein im Rock und im abgebremsten Funk stehender Soul, der im Gesamtpaket mit dem desperaten Look zwangsweise an Amy Winehouse erinnert, das gehört aus Gründen der Vollständigkeit erwähnt.

Zurzeit ist Kendra Morris auf Europa-Tour und gastiert am Dienstag im Wiener Gürtelclub B72, am Mittwoch ist sie im Kulturhofkeller in Villach zu erleben.

Eine Freundin von Scarlett Johansson

Morris stammt aus Tampa, Florida, und lebt in New York. In den letzten zehn, zwölf Jahren war sie recht umtriebig. Sie tourte mit dem legendären Motown- und Sessions-Gitarristen Dennis Coffey, spielte in der Backing Band ihrer Freundin Scarlett Johansson oder kollaborierte mit Rappern wie MF Doom oder dem Produzentengott DJ Premier von Gang Starr. Ach ja, und Mutter wurde sie auch. Ungeplant, was sie aber nicht davon abhält zu touren, weiter Musik zu produzieren. Es kommt einfach noch jemand mit. "Nichts in meinem Leben war je geplant", sagt sie in einem Interview.

Colemine Records

Daneben hat sie vier Alben veröffentlicht, die einen eigenen Stil haben, die 1970er beleihen, die Top-40-Musik dieser Zeit ebenso wie eine subtile Psychedelic, andere Songs variieren Motive aus dem Soul der Sixties. Ihr jüngstes Album heißt Nine Lives.

Harte Schicht

Wie in vielen guten Soul-Songs geht es um die Sicht von unten, um Verzweiflung, Hoffnung, dargeboten aber mit einer gewissen Hemdsärmeligkeit, die der Schule des Lebens entstammt. Da kennt Morris sich aus, sie hat 13 Jahre lang in einer Bar im New Yorker East Village gearbeitet, die Tagesschicht, während der die wirklich harten Jungs trinken kommen.

Ihre Songs wirken da wie Fluchtversuche aus dieser Tristesse – ohne die Schatten davon loszuwerden. Morris transportiert das elegant und ohne zu dick aufzutragen ins Dramatische, ihre Band klingt welterfahren, spielt keinen Ton zu viel. Aber was sie spielt, sitzt. Morris erweist sich damit als Geistesverwandte von Acts wie den Teskey Brothers und anderen Retro-Soulsternen, denen retro allein nicht reicht. (Karl Fluch, 27.3.2023)