Es ist ein Bild, das man am Berliner Hauptbahnhof lange nicht gesehen hat. Es fahren keine Fernzüge, keine Regionalbahnen, keine S-Bahnen. Die Bahnsteige sind gähnend leer, auch in der Halle sind nur sehr wenige Menschen unterwegs. Birte aus Berlin, einen kleinen Koffer neben sich, schaut aufs Handy. Sie wollte nach Hamm in Westfalen, normalerweise drei Stunden Fahrt.

"Gestern hieß es noch, der Flixtrain fährt", sagt sie. Doch jetzt hat sie erfahren: Auch der Konkurrent der Deutschen Bahn wird sie nicht nach Hamm bringen. Und nun? "Keine Ahnung", sagt die junge Frau, "ich geh jetzt erst mal ins Homeoffice."

Noch nie da gewesen

Das müssen – unfreiwillig – am Montag Millionen Deutsche machen. Denn ein Megastreik legt das Land lahm. In einer noch nie dagewesenen Aktion haben sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zusammengetan und gemeinsam zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Die Deutsche Bahn hat ihren Fernverkehr komplett eingestellt, auch im Regionalverkehr geht fast nichts. Im Raum Berlin/Brandenburg freute man sich zunächst, dass die ODEG (Ostdeutsche Eisenbahn Gmbh) fährt. Doch auch die Privatbahn muss die Züge in den Depots lassen. Sie wird zwar nicht bestreikt, nutzt aber die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Und diese wird am Montag auch nicht bedient.

In einer noch nie dagewesenen Aktion haben sich Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zusammengetan und gemeinsam zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen.
Foto: APA/FRANZ NEUMAYR

Ähnlich sieht es auf den Flughäfen aus. In Frankfurt, München und Hamburg wird gestreikt, allerdings nicht in Berlin. "Die Lage ist ruhig", sagt ein Flughafensprecher in Frankfurt, wo der Flughafen menschenleer ist. Ursprünglich waren für den Montag rund 1.170 Starts und Landungen mit etwa 160.000 Passagieren geplant. Am Hamburger Flughafen wurden alle 147 Abflüge gestrichen oder sind ohne Passagiere geflogen.

Auswirkungen in Österreich

Die Auswirkungen zeigen sich auch in Österreich. Züge von und nach Deutschland werden kurzgeführt oder fallen aus. Betroffen sind zudem alle Zugverbindungen über das Deutsche Eck. Auch viele Flugverbindungen mit dem Nachbarland fallen aus. Nach Auskunft des Wiener Flughafens werden am Montag alle Flugverbindungen zwischen Wien und München, Frankfurt, Nürnberg und Stuttgart gestrichen. Es gibt auch einzelne Ausfälle bei Flugverbindungen von und nach Düsseldorf, Hamburg und Köln – insgesamt sind das 28 Hin- und 27 Rückflüge von und zu diesen Destinationen.

Entgegen einiger Befürchtungen bleiben am Vormittag große Streiks auf den Autobahnen aus. Der Streik hat auch keine Auswirkungen auf den Betrieb der Autobahntunnel. Am Wochenende hatte Verdi eine Notdienstvereinbarung mit der Autobahn GmbH des Bundes geschlossen, sodass die Tunnel normal betrieben werden.

Fluggäste in Wien-Schwechat. Auch hier wurden Flüge gestrichen.
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Am leeren Berliner Hauptbahnhof steht am Montagvormittag Achim Stauß, der Sprecher der Deutschen Bahn. Er kritisiert den "überzogenen und übertriebenen Streik" und sagt: "Gewinner des Tages sind die Mineralölfirmen." Er ruft die Gewerkschaft auf, zu Verhandlungen zurückzukehren. Denn: "Eine Lösung gibt es nur am Verhandlungstisch."

Verdi-Chef Frank Werneke verteidigt den 24-stündigen Warnstreik: "Mit dem Streiktag im Verkehrsbereich soll den Arbeitgebern noch einmal unmissverständlich klargemacht werden, dass die Beschäftigten eindeutig hinter unseren Forderungen stehen. Verdi verhandelt für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen, unter anderem auch für die Beschäftigten des Nahverkehrs und an Flughäfen. Die Gewerkschaft fordert 10,5 Prozent mehr, mindestens aber 500 Euro monatlich.

Mehr Lohn

Die EVG verhandelt für rund 230.000 Beschäftigte bei 50 Bahn- und Busunternehmen, für die sie zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro im Monat mehr will.

"Der Warnstreik ist notwendig und verhältnismäßig", erklärt EVG-Chef Martin Bunkert, "wir erwarten ein verhandlungsfähiges Angebot auf dem Tisch, das liegt uns bis heute nicht vor."

Gespenstische Ruhe am Hauptbahnhof in Berlin.
Foto: Imago/Rainer Keuenhof

Die Bahn will die Löhne der rund 180.000 betroffenen Beschäftigten in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent anheben und hat mehrere Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2.500 Euro in Aussicht gestellt. Das Angebot von Bund und Kommunen umfasst eine Entgelterhöhung von insgesamt fünf Prozent in zwei Schritten und Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2.500 Euro.

Kritik am Streik

Kritik am ausgedehnten Warnstreik kommt von der Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge: "Wir haben uns im vergangenen Jahr schon darauf verständigt, in drei Verhandlungsrunden zueinanderzukommen. Und deswegen erstaunt diese Massivität der Streiks vor der dritten Verhandlungsrunde schon deutlich."

Die dritte Verhandlungsrunde ist von 27. bis 29. März angesetzt, verhandelt wird in Potsdam. (Birgit Baumann, 27.3.2023)