Israel hat der Welt eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt: Die hunderttausenden Menschen, die wochenlang bei jedem Wetter auf die Straße gingen, um ihr Land vor einer machtverliebten, in Teilen korrupten Regierung zu retten, haben vorgezeigt, dass Demokratie nicht bei Wahlen endet. Sie muss, wie etwa in der Nacht auf Montag, manchmal auch um drei Uhr morgens rund um ein Lagerfeuer mitten auf der Autobahn verteidigt werden. Besonders dann, wenn die Regierung eine ihrer wichtigsten Säulen, die Unabhängigkeit der Justiz, einfach abschaffen will.

Junge, Alte, Frauen, Männer und sogar Kinder: Israels Demokratiebewegung hat deutlich aufgezeigt.
Foto: AP Photo/Ariel Schalit

Der Protest gegen die Justizreform in Israel hat alle Schichten und Altersgruppen erreicht. Es sind Szenen, die man sich in anderen Ländern kaum vorstellen kann: fünfjährige Kinder, die mit einer Begeisterung "De-mo-kra-tie!" schreien, als handle es sich um eine Comic-Heldenfigur; Teenager, die auf der Straße Hymnen auf die Gewaltenteilung singen. "Ihr seid an die falsche Generation geraten!", rufen junge Israelis seit Monaten auf den größten und am längsten andauernden Antiregierungsprotesten, die das Land je gesehen hat.

Ihre Hartnäckigkeit hat sich bezahlt gemacht. Reservisten der Armee schlossen sich dem Protest an. Hightech-Firmen, die Israels Exportwirtschaft anführen, erklärten den Streik. Piloten weigerten sich zu fliegen, Lehrer zu unterrichten – und am Ende erklärte sogar Verteidigungsminister Joav Galant: nicht mit mir.

Kapital verspekuliert

Dass Benjamin Netanjahu den Minister feuerte, zeigt nur, wie verzweifelt er ist: Israels am längsten regierender Ministerpräsident hat sich verspekuliert. Er hat unterschätzt, wie machtlos er ist, wenn die Menge auf der Straße es ernst meint.

All die Euphorie über Demokratie-Parade darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letztlich Sicherheitsargumente waren, die den Ausschlag für das zu erwartende Einlenken der Regierung gaben. Der Warnruf des Verteidigungsministers, der ihn letztlich seinen Job kostete, war kein Ausdruck seiner Sorge um die Grundfreiheiten der Menschen, die in Israel leben. Es waren nüchterne militärische Lageberichte, die ihn überzeugten, dass es besser wäre, die Justizreform vorerst zu stoppen.

Laut diesen Berichten steht Israel wegen der massiven Unruhe im Land nun als vulnerabel gegenüber möglichen Terrorangriffen da. Wenn antidemokratische Politik zum Sicherheitsrisiko wird, muss sie gestoppt werden – so die Logik des Ministers.

Auch über Tabus reden

Was aber, wenn Sicherheit als Argument genommen wird, um demokratische Rechte zu beschneiden – wie das seit Jahrzehnten im Westjordanland geschieht? Wenn man gar nicht erst fragt, ob das Mittel zur Terrorbekämpfung angemessen ist, weil das Ziel alle Mittel rechtfertigt?

Für solche Fragen waren in Israel, wie auch in vielen anderen Demokratien westlichen Zuschnitts, bisher eher keine Massen zu mobilisieren.

Der neue Schwung, der Israels politische Debatten erfasst hat, könnte das ändern. Die Demokratiebewegung sollte den Mut aufbringen, sich auch in diese tabuisierten Diskursbereiche vorzuwagen. Künftige Generationen werden es ihnen danken. (Maria Sterkl, 27.3.2023)