Ein angestellter Cellist probte mit dem Orchester, durfte aber nicht auftreten.

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Wer als Musiker oder Schauspielerin Teil eines Ensemble ist, will nicht nur auf der Ersatzbank sitzen, sondern bei Auftritten auf der Bühne stehen. Im Theaterarbeitsgesetz ist deshalb explizit ein "Recht auf Beschäftigung" festgeschrieben. Künstlerinnen und Künstler können dieses Recht laut einem aktuellen Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) aber nicht einklagen und sich gleichsam gerichtlich auf die Bühne "reklamieren". Andernfalls wäre die künstlerische Freiheit des Dirigenten oder des Regisseurs zu stark eingeschränkt (OGH 27.3.2023, 8 ObA 94/22i).

Ausgelöst hatte die Entscheidung ein Cellist, der fix bei einem Wiener Orchester angestellt ist, aufgrund von Konflikten im Ensemble bei Proben und Auftritten aber bereits seit längerem nicht mehr eingesetzt wird. Der Musiker wandte sich mit einer Klage gegen seinen Arbeitgeber ans Arbeits- und Sozialgericht Wien und stützte sich dabei auf das Recht auf Beschäftigung, das in Paragraf 18 des Theaterarbeitsgesetzes geregelt ist. Demnach sind Theaterunternehmen dazu verpflichtet, Ensemblemitglieder "angemessen zu beschäftigen".

Künstlerische Freiheit entscheidend

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien und das Oberlandesgericht Wien gaben dem Cellisten Recht. Künstlerinnen und Künstler dürfen das Recht auf Beschäftigung im Theaterarbeitsgesetz "unmittelbar gerichtlich geltend machen", argumentierten die Gerichte.

Der OGH sah das in letzter Instanz anders. Der Grund für das Recht auf Beschäftigung im Theaterarbeitsgesetz sei, dass Ensemblemitglieder für ihr Fortkommen darauf angewiesen sind, sich dem Publikum zu präsentieren. Auf die Bühne reklamieren können sich Künstlerinnen und Künstler auf dem Klagsweg aber nicht. Schließlich müsse es in der künstlerische Freiheit des Dirigenten liegen, sich bei einer Aufführung für bestimmte Ensemblemitglieder zu entscheiden.

Schadenersatz möglich

Wenn das Recht auf Beschäftigung vom Arbeitgeber nicht erfüllt werde, habe der Gesetzgeber explizit eine andere Rechtsfolge vorgesehen, sagt Andrea Potz, Anwältin und Partnerin in der Kanzlei CMS, die im aktuellen Fall das Orchester vertreten hat. Musiker oder Schauspielerinnen, die ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht zum Einsatz kommen, können ihren Vertrag vorzeitig auflösen und Schadenersatz verlangen. "Es ist richtig und wichtig, dass der OGH in der Entscheidung auf diese Besonderheiten im Theaterarbeitsgesetz hinweist", sagt Potz.

Ähnlich hat der Oberste Gerichtshof in der Vergangenheit im Fall eines Fußballers entschieden. Auch im Profisport gibt es demnach ein Recht auf Beschäftigung, Fußballer können sich aber nicht per Klage in die Kampfmannschaft reklamieren. Bei der Entscheidung, wer aufgestellt werde, spielen nämlich taktische Überlegungen des Trainers eine Rolle, die nicht eingeschränkt werden dürfen. Fußballer können jedoch zumindest verlangen, am Training teilnehmen zu dürfen. Bei Konzertproben, in denen der Auftritt gezielt geübt wird, ist das aus Sicht des Höchstgerichts anders.

Debatte in Causa Teichtmeister

Das Recht auf Beschäftigung spielte auch in der Debatte rund um mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen für den ehemaligen Burgschauspieler Florian Teichtmeister eine Rolle, dem der Besitz von Missbrauchsdarstellungen vorgeworfen wird. Das Burgtheater, das ebenfalls von CMS vertreten wurde, argumentierte, dass es den Schauspieler nicht von der Bühne habe nehmen können. Dafür hätte ein "wichtiger Grund" vorliegen müssen, der rein aufgrund der Verdachtslage nach Medienberichten im Herbst 2021 noch nicht vorgelegen sei.

Nach der aktuellen OGH-Entscheidung ist nun klar, dass Teichtmeister seine Besetzung mit Hauptrollen jedenfalls nicht hätte einklagen können. Er hätte aber unter Umständen seinen Vertrag mit dem Theater auflösen und Schadenersatz verlangen können. In einem möglichen Schadenersatzprozess hätte das Burgtheater dann im Nachgang nachweisen müssen, dass es aufgrund der Ermittlungen gegen Teichtmeister einen "wichtigen Grund" gehabt habe, den Schauspieler nicht weiter zu beschäftigen. "Gerüchte und Vermutungen hätten dafür aber nicht ausgereicht", betont Potz.

"Das ist eine wichtige Grundsatzentscheidung für die gesamte Theaterbranche", sagt die Anwältin. Die Rechtsfrage sei bisher nämlich ungeklärt gewesen und war vom Oberlandesgericht gegenteilig und mit sehr strengen Vorgaben für Arbeitgeber beantwortet worden. Jetzt, da der Oberste Gerichtshof entschieden habe, sei es für Theaterunternehmen möglich geworden, Bühnenmitglieder dienstfrei zu stellen. Es sei erfreulich, dass der OGH die Entscheidung der Vorinstanzen, auch im Interesse der Kunstfreiheit, revidiert habe. (Jakob Pflügl, 29.3.2023)