Deutsche Bank, Commerzbank und Co stehen derzeit unter hohem Druck. Das Vertrauen in den Sektor ist angeschlagen.

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Staatsanleihen – eigentlich gelten sie unter Investierenden als völlig sicherer Hafen. Schließlich wird das Kapital verlässlich zurückgezahlt. Dennoch stehen sie im Auge des Sturms, der derzeit über den Bankensektor braust. Aber wie kann das sein? Schließlich geht es nicht um windige Finanzkonstruktionen mit Subprime-Krediten, die 2008 zur weltweiten Finanzkrise führten. Im Detail zeigt sich aber, dass es in der sonst strengen Bankenregulierung in der EU einen blinden Fleck bei Schuldverschreibungen von Staaten gibt. Einen, von dem nun die Probleme ausgehen.

Denn für Staatsanleihen gelten weniger strikte Vorschriften als für andere Finanzierungen. Gewährt eine Bank einem Haushalt, einem Kleinunternehmen oder Großkonzern Kredite, muss sie dafür risikogewichtete Sicherheiten hinterlegen. Für staatliche Schuldpapiere gilt das nicht, da diese per definitionem risikolos sind. Wie belastbar diese Annahme ist, sei mit Blick auf den zweifachen Schuldenschnitt Griechenlands während der Eurokrise dahingestellt. Aber abgesehen davon – beim Kauf von Staatsanleihen ist nur eines sicher: nämlich wann und zu welchem Kurs sie getilgt werden. Alles dazwischen unterliegt den Kräften des Finanzmarkts.

Starke Kursverluste

Diese können bei steilen Anstiegen der Zinsniveaus, wie seit Juli von der Europäischen Zentralbank (EZB) vorexerziert, heftig ausfallen – da dies durch Kursverluste bestehender Papiere ausgeglichen wird. Als Beispiel dient eine Anfang Februar 2021 begebene, zehnjährige Anleihe der Republik Österreich mit einem Emissionsvolumen von etwa vier Milliarden Euro. Derzeit liegt sie mehr als 21 Prozent unter dem Emissionskurs, zwischenzeitlich war es schon mehr als ein Viertel. Dies ist ein Extrembeispiel, aber es zeigt: Muss eine Bank Staatsanleihen vor der Tilgung verkaufen, können hohe Verluste schlagend werden, für die keine Sicherheiten existieren.

Vielmehr besteht eine weitere Besonderheit: Banken können erklären, Staatsanleihen bis zur Tilgung zu halten (Hold to Maturity), und müssen diese dann bei Verlusten – entgegen dem sonst üblichen Prinzip der kaufmännischen Vorsicht – nicht auf den aktuellen Marktwert abwerten. Es entstehen also stille Verluste, die nicht in den Bilanzen erfasst sind und nun für extreme Verunsicherung im Sektor und an der Börse sorgen. Denn niemand weiß, bei wem diese Lasten wie groß sind – die erst sichtbar werden, wenn ein in Geldnot geratenes Institut die Staatsanleihen doch mit Verlust verkaufen muss.

Blaupause dafür war die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA. Sie musste Milliardenverluste mit US-Schuldverschreibungen einräumen, worauf Kunden ihre Einlagen abzogen, also ein Bank-Run das Geldhaus zum Einsturz brachte. Fitch hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die stillen Lasten der Bank deren Eigenkapital weit übersteigen. Die SVB wurde nun von der First Citizens Bank übernommen.

Strenge Bankenaufsicht

Einen Fall wie die SVB hätte es unter der "einheitlichen, leistungsfähigen und sehr strengen" Bankenaufsicht in Europa nicht gegeben, sagt Franz Rudorfer, Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung der Wirtschaftskammer. Er hält die Regulierung der Kreditinstitute für ausreichend, zumal mit der für das erste Halbjahr erwarteten Finalisierung des Bankenregimes Basel III ohnedies Nachschärfungen anstehen. Allerdings soll das Paket ungeachtet der jüngsten Probleme dem Vernehmen nach nicht mehr aufgeschnürt werden. Der regulatorisch blinde Fleck bei Staatsanleihen, von dem mit Staaten und Banken beide Seiten grundsätzlich profitieren, dürfte also bleiben.

Die Aufseher schauen aber Rudorfer zufolge derzeit genau darauf, dass Banken nicht zu viele Hold-to-Maturity-Anleihen in den Büchern haben, und die EZB verfüge über ein gutes Bild der Lage. Aber war das schon immer so? Schließlich hat die Notenbank, die auch die großen Banken beaufsichtigt, lange die sich auftürmende Inflationswelle unterschätzt – und daher selbst nicht mit den rasanten Zinsanhebungen ab Juli 2022 gerechnet, die letztlich die Kurse von Staatsanleihen abstürzen ließen.

Jedenfalls ist die Lage an den Finanzmärkten angespannt. Zuletzt gab es auch bei der Deutschen Bank einen Kursrutsch. Nun zeichnet sich ab, dass dahinter eine Leerverkäufer-Attacke stehen könnte. Rudorfer beruhigt dennoch: "Wenn Institutionen wie die EZB versichern, alles ist in Ordnung, dann kann ich auch als Privatperson darauf vertrauen." (Alexander Hahn, Bettina Pfluger, 28.3.2023)