Kanzler Nehammers (ÖVP) Vorschläge zur Änderung bei Sozialhilfe-Bezüge von Asylsuchenden löst Diskussionen aus.

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Anerkannte Flüchtlinge seien in Österreich bei der Sozialhilfe bessergestellt als viele EU-Bürgerinnen und -Bürger – und das sei ein Problem, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vergangenen Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Asylberechtigte hätten vollen Zugang zu den Leistungen des untersten sozialen Absicherungsnetzes, EU-Staatsangehörige hingegen müssten darauf fünf Jahre warten – so sie in Österreich zwar leben, aber hier nicht arbeiten.

Auf Nehammers Facebook-Account jedoch las sich das wenige Stunden später anders: "Es kann nicht sein, dass Asylsuchende (sic!) sofortigen Zugang zu Sozialleistungen haben, ohne jemals in unser System eingezahlt zu haben", stand da in einem Post. Das war falsch: "Asylsuchende", also Asylwerber und Asylwerberinnen, werden in Österreich lediglich grundversorgt, Zugang zur Sozialhilfe haben sie nicht. Sie bekommen Quartier und Versorgung gestellt sowie 40 Euro Taschengeld – oder aber für eine Einzelperson rund 320 Euro in bar, wenn sie eigenständig wohnen.

Post-Verbesserung erst nach 15 Stunden

In Nehammer Facebook-Post wurde das Wort "Asylsuchende" erst 15 Stunden und eine Reihe an Protesten von Sozialleistungsfachleuten später durch das Wort "Asylberechtigte" ausgebessert. Wirklich richtig wurde die Aussage dadurch aber nicht.

Denn zwar trifft zu, dass Menschen, die wegen erwiesener politischer oder sozialer Verfolgung in Österreich Asyl erhalten haben, in sämtlichen sozialrechtlichen Belangen hiesigen Staatsangehörigen gleichgestellt sind – also auch bei der von Nehammer in der "Pressestunde" erwähnten Sozialhilfe.

Auch stimmt, dass Asylberechtigte nichts ins System einzahlen. Sie können es aber nicht tun, weil sie vor ihrer Anerkennung, also als Asylsuchende, nicht arbeiten dürfen. Dieser Umstand wird seit Jahren kritisiert. Angesichts des herrschenden Arbeitskräftemangels hat es zu neuerlichen Sozialpartner-Diskussionen über den Jobzugang von Asylwerbenden ein Jahr nach ihrem Antrag geführt – wie Wirtschaftsbundpräsident Harald Mahrer unlängst in einem "ZiB 2"- Interview ausführte.

Genfer Flüchtlingskonvention stellt Asylberechtigte gleich

Doch die sozialrechtliche Gleichstellung anerkannter Flüchtlinge ist nicht so einfach wegzuwischen. Sie ergibt sich aus einer der ältesten Menschenrechtskonventionen. Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 besagt, dass "die vertragsabschließenden Staaten sich verpflichten, Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren". Für Lohn, Familienbeihilfe sowie soziale Sicherheit gilt das ebenso.

Österreich hat die Genfer Flüchtlingskonvention in vollem Umfang unterfertigt und ratifiziert. Auch der Status-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2004 hat Österreich vollumfänglich zugestimmt. Die Richtlinie überträgt die sozialrechtliche Gleichstellung anerkannter Flüchtlinge mit Einheimischen in Unionsrecht.

Dänemark optierte gegen Gleichstellung

Das unterscheidet Österreich von einem Land, das dem Kanzler laut mehreren rezenten Wortmeldungen ein Vorbild für Einschränkungen beim Sozialleistungsbezug von Ausländerinnen und Ausländern ist: Dänemark. Der für seine harte Ausländerpolitik bekannte skandinavische Staat hat sich bei der EU-Status-Richtlinie einen Opt-out-Vorbehalt ausbedungen. Die Richtlinie gilt dort in sozialrechtlichen Belangen nicht, anerkannte Flüchtlinge sind nicht gleichgestellt.

Die in Dänemark herrschenden Sozialhilferegeln sind hart: Recht darauf hat, wer in den vergangenen zehn Jahren neun Jahre lang in einem Stück legal in Dänemark gelebt und in dieser Zeit darüber hinaus mindesten zweieinhalb Jahre Vollzeit gearbeitet hat. Asylsuchende, die neu und allermeist mittellos nach Dänemark kommen, sind von der Sozialhilfe damit de facto ausgeschlossen. Auch die meisten EU-Staatsangehörigen fallen um die Gelder um.

Neue Wartezeiten in Österreich auch für Inländer?

Für diese Menschen, aber auch für Dänen und Däninnen, die verarmt aus dem Ausland zurück in ihr Heimatland kommen, gibt es eine eigene Leistung für Integration und Rückkehrhilfe – wörtlich übersetzt: für "Selbsterhaltung und Repatriierung". Eine alleinstehende Person erhielt im Jahr 2022 unter diesem Titel umgerechnet 837 Euro monatlich. Dazu kommen kleinere Summen für Miethilfe und Öffi-Nutzung.

Dass neue Wartezeiten auf Sozialunterstützung auch in Österreich neben Ausländern Inländer betreffen könnten, hatte Nehammer in der "Pressestunde" nicht ausgeschlossen. Eine für alle gleiche Regelung wäre verfassungsrechtlich weniger angreifbar als Beschränkungen für einzelne Bevölkerungsgruppen, sagte er. Tatsächlich wurden mehrere nur für Ausländer geltende Beschränkungen in der Vergangenheit höchstgerichtlich gekippt, so etwa die unter Schwarz-Blau eingeführte Verringerung der Familienbeihilfe für Kinder von EU-Bürgerinnen aus Osteuropa.

Entsolidarisierung in der EU als Folge

In der Praxis treffen Einschränkungen trotzdem hauptsächlich Nichteinheimische, wie das dänische Beispiel zeigt: 96 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher einer "Selbsterhaltungs"-Leistung waren dort 2022 Menschen aus nichtwestlichen Ländern, und zwar mehrheitlich aus Syrien und Eritrea. Nur zwei Prozent der Berechtigten waren dänische Staatsangehörige.

Insgesamt erhielten nur wenige Tausend Personen dieses Geld. Das und die im Vergleich zu Österreich extrem geringen Asylantragszahlen in Dänemark – im Dezember 2022 etwa gab es dort genau 215 Anträge – habe wohl mit dem "Verdrängungseffekt" zu tun, die harsche Sozialleistungsregeln auf Flüchtende hätten, kommentiert das Christoph Riedl, Asyl- und Integrationsexperte der Diakonie. Die Flüchtenden würden in andere europäische Staaten ausweichen.

Innerhalb Europas habe derlei entsolidarisierende Folgen. Ein Land versuche einschränkender als das andere zu sein. "Das verstärkt die zwischenstaatliche Sozialdumpingskonkurrenz in der EU", sagt Riedl. (Irene Brickner, 28.3.2023)