Im Gastblog zeigt der Geo-/Astrophysiker Helmut Lammer, wie ein neues Forschungsprojekt mehr Wissen über die Beschaffenheit der Eismonde im Jupitersystem generieren soll.

Die europäische Raumsonde „JUpiter ICy moons Explorer“ (Juice) soll am 13. April 2023 vom Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch-Guayana mit einer Ariane-5-Rakete zu einer mehr als acht Jahre dauernden Reise zum Riesenplaneten Jupiter und seinen von Galileo Galilei am 7. Januar 1610 entdeckten Monden Io, Europa, Ganymed und Kallisto aufbrechen. Die etwa 5200 Kilogramm schwere Raumsonde wird dabei einige Sonnenumkreisungen, mehrere Vorbeiflug-Manöver an der Erde und je eines am Mond und an der Venus durchführen. Der wissenschaftliche Betrieb der Raumsonde wird etwa ein halbes Jahr vor ihrer Ankunft im Jupitersystem im Sommer 2031 beginnen. Dort wird die Raumsonde in eine Umlaufbahn um Jupiter eintreten, für rund drei Jahre den Riesenplaneten umkreisen und als eine ihrer Hauptaufgaben die Galileischen Monde erforschen.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den drei Eismonden Kallisto, Ganymed und Europa, wobei der größte der drei Eismonde, Ganymed, im Fokus liegt. Im letzten Jahr ihrer Mission wird die Raumsonde in den Orbit um Ganymed eintreten und den Himmelskörper ein Jahr lang im Detail untersuchen, wobei die Sonde voraussichtlich Ende 2035 zum kontrollierten Einschlag auf Ganymed gebracht werden wird.

Jupiter mit den Monden Io, Europa, Ganymed, Kallisto (Fotomontage; von links nach rechts)
Foto: Nasa/JPL/DLR

Paradigmenwechsel durch Entdeckung der Galileischen Monde

Die Entdeckung der vier Jupitermonde, die vom italienischen Universalgelehrten Galileo Galilei in seiner 1610 veröffentlichten Schrift "Sidereus Nuncius" veröffentlicht wurde, brachte das damalige Weltbild, welches die Erde im Zentrum des Universums sah, ins Wanken. Diese unterstützte das heliozentrische Weltbild, dem auch Nikolaus Kopernikus anhing, stieß aber auf heftigen Widerstand seitens der katholischen Kirche und brachte ihm große Probleme mit der Inquisition ein.

Auch wenn die Kontroverse um die Entdeckung der Galileischen Monde einen Paradigmenwechsel hervorrief und mittlerweile beigelegt ist, könnten künftige Entdeckungen auf Europa, Ganymed und Kallisto auch heute wieder am derzeit herrschenden Weltbild rütteln. So gelten diese Eismonde nämlich als astrobiologische planetare Objekte mit möglichen exotischen Lebensräumen für Organismen außerhalb der Erde.

Galileo Galilei - Porträt von Domenico Tintoretto, circa zwischen 1602 und 1607
Foto: Public Domain

Mögliche außerirdische Lebensräume

Vom Studium des irdischen Lebens weiß man, dass flüssiges Wasser eine der wichtigsten Bedingungen für einen Lebensraum (Habitat) und die Entstehung von einfachem und auch komplexem Leben, wie wir es kennen, ist. Wasser weist für die uns bekannten Organismen besonders wichtige Eigenschaften auf. Zu diesen gehören die Möglichkeit Wasserstoffverbindungen zu bilden, Moleküle auszurichten und Makromoleküle zu stabilisieren. Diese Fähigkeiten sind essenziell, um zellulare und biomolekulare Strukturen aufrechterhalten zu können. Zusätzlich übernimmt Wasser wichtige Funktionen für Lebewesen, zum Beispiel dient Wasser als ein Lösungsmittel für Nährstoffe oder als ein Transportmittel für Stoffe im Blut. Diese und noch andere Eigenschaften von Wasser bilden die Grundlage des Lebens auf der Erde. Somit ist Wasser das ideale Medium, in dem sich Organismen entwickeln und verbreiten konnten.

Zu diesen grundlegenden Anforderungen für die Entstehung von Lebensformen gehört auch eine genügend lange Zeitspanne, die für die Anreicherung lebensnotwendiger Bausteine benötigt wird. Weiters sind interne und externe Umweltbedingungen nötig, die erlauben, dass flüssiges Wasser lange genug existiert, um die Entwicklung von Organismen zu ermöglichen. Zusätzlich sind noch Energiequellen für den Stoffwechsel notwendig, damit sich Lebewesen in den Untergrund-Ozeanen dieser Eismonde entwickeln können.

Nachdem diese Anforderungen erfüllt sind und sich möglicherweise einfachste Lebensformen entwickeln konnten, ist davon auszugehen, dass eine weitere biologische Evolution sehr stark von der geophysikalischen Evolution des Himmelskörpers abhängt. Je nach Umweltbedingungen eines planetaren Körpers könnten sich Organismen zu komplexeren Mehrzellern entwickeln oder zu einfacheren Mikroorganismen, die sich an extreme Umweltbedingungen anpassen mussten.

Illustration möglicher Lebensbereiche in Eismonden
Foto: Lammer et al., AAR 17:181, 2009

Die orangen und grünen Kügelchen in der oberen Abbildung mit den vier möglichen Lebensbereichen stellen Umgebungen dar, in denen man womöglich messbare biologische Merkmale – sogenannte Biosignaturen – oder sogar primitive Organismen finden könnte. Dabei sind Biomarker in der Illustration mit orangen und mögliche Organismen mit grünen Kügelchen dargestellt. Die angegebenen Zahlen von 1 bis 4 beziehen sich auf mögliche Strukturen im Inneren der Eismonde: (1) vollständig gefroren, (2) von Eis eingeschlossene Wasserschicht, (3) mehr als 10 Kilometer dicke und (4) sehr dünne gefrorene Schichten mit darunterliegenden flüssigen Wasserozeanen, die in Kontakt mit Silikatböden stehen.

Für den kleineren Eismond Europa treffen sehr wahrscheinlich die Bereiche 3 oder 4 zu. Für den größten Eismond Ganymed gibt es aufgrund der derzeitigen geophysikalischen Unsicherheiten mehrere Möglichkeiten. Frühe Studien favorisierten Aufbau 1 oder 2. Detaillierte aufwendige geophysikalische Modelrechnungen können sich aber auch aufgrund der vorherrschenden Temperatur und Druckverteilung durchaus auch mehrere globale Wasserschichten im eisigen Mantel des größten Galileischen Mondes vorstellen. Dabei wäre auch eine Schicht aus flüssigem Wasser sowohl zwischen zwei Eisschichten als auch über dem Silikatboden möglich. Somit könnte Ganymed die Bereiche 1 bis 3 in der Illustration abdecken.

Bei Kallisto sind die gegenwärtigen Unsicherheiten in Bezug auf diese möglichen exotischen Lebensräume noch größer als bei Ganymed, obwohl es auch bei Kallisto sehr wahrscheinlich ist, dass es im Inneren des Eismondes ebenfalls einen Wasserozean ähnlich wie bei Ganymed oder Europa gibt. Ob diese Ozeane lebensfreundlich sind und ob sich dort jemals Organismen entwickeln konnten, hängt von physikalischen, chemischen Eigenschaften des Wassers, von möglichen Energiequellen und anderen Faktoren ab, die Lebensformen benötigen.

Salzwasser-Untergrundozeane

Von den drei Eismonden ist Europa der kleinste der vier Galileischen Monde mit einem Durchmesser von 3121 Kilometer. Der globale Wasserozean unter einer wahrscheinlich 15 bis 25 Kilometer dicken Eisdecke scheint im Jupiter-System auch der geeignetste Ort für die Entwicklung extraterrestrischer Organismen zu sein. Dass Europa tatsächlich einen etwa 60 bis 150 Kilometer tiefen Ozean aus Salzwasser besitzt, wurde durch die Messung eines induzierten Magnetfeldes, das durch die darin befindliche, elektrisch leitende Flüssigkeit hervorgerufen wird, von der NASA-Raumsonde Galileo mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigt.

Anhand geophysikalischer Berechnungen steht sein salzhaltiger Ozean direkt mit dem Silikatgestein am Meeresgrund in Kontakt. Die Galileo-Raumsonde konnte nachweisen, dass auch Ganymed ein Magnetfeld besitzt. Dieses wird jedoch nicht nur durch einen leitenden Salzwasserozean hervorgerufen, sondern wie bei der Erde und Merkur sehr wahrscheinlich auch durch Konvektion in seinem flüssigen Eisenkern, der durch Jupiters Gezeitenkräfte erzeugt wird.

Kallisto, Ganymed, Europa und mögliche Wasserozeane
Foto: Nasa

Wie zuvor beschrieben sind Untergrund-Ozeane, die im direkten Kontakt mit dem Silikatgestein eines Eismondes stehen, für die Astrobiologie sehr interessant, da das flüssige Wasser direkt mit hydrothermalen Quellen oder Unterseevulkanen interagieren könnte. Zu den vorhin genannten Energiequellen könnte außerdem auch natürliche Radioaktivität an der Silikat-Wasserscheide am Ozeangrund beitragen. In so einer Umgebung können für die Entstehung von Leben relevante chemische Elemente, auf ähnliche Weise wie bei hydrothermalen Quellen auf der Erde, in den Ozeanen der Eismonde eingebracht werden.

Gegenwärtig sind die Unsicherheiten in den vorhandenen Daten über die Ozeantiefe, den Salzgehalt des Ozeanwassers sowie die Topographie der Ozeanböden jedoch zu groß und Hinweise auf hydrothermale Quellen und Vulkanismus zu gering, um die Wahrscheinlichkeit der hypothetischen Lebensräume genau zu beschreiben. Die demnächst startende Esa-Raumsonde Juice und die im Oktober 2024 startende Nasa-Raumsonde Europa Clipper sollen diese gegenwärtigen Unsicherheiten erforschen und klären.

Mögliche hydrothermische Quellen am Ozeanboden und Spalten im Eis
Foto: Esa

Grazer Beiträge zur Studie an den exotischen Lebensräumen

Das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz ist bei der Juice-Mission am Magnetometer mit einem Quanteninterferenz-Sensor beteiligt, hat die Kalibrierung der Radiowellen-Empfangsantennen durchgeführt und ist – rein wissenschaftlich – beim Teilchenspektrometer involviert.

Der Grazer Magnetfeldsensor wurde in Kooperation mit dem Institut für Experimentalphysik der TU Graz entwickelt und gebaut. Alle drei Instrumente tragen dazu bei, vorhandene Unsicherheiten wie Eisdicken, Ozeantiefen und Salzgehalt der Ozeane einzuschränken, um Genaueres über die hypothetischen exotischen Lebensräume der Eismonde aussagen zu können. Vom Infrarot-Spektrometer auf der NASA-Weltraumsonde Galileo wurden sogenannte hydrierte Salze an den Oberflächen von Ganymed und Europa entdeckt. Dabei handelt es sich um kristalline Salzmoleküle wie Natriumsulfat und Magnesiumsulfat, die mit Wassermolekülen gebunden sind.

Flugmodell des Grazer Quanteninterferenz-Magnetometers
Foto: MAGSCA-Team/IWF/ÖAW, CC BY 4.0

Kallisto, Ganymed und Europa bewegen sich im variierenden Magnetfeld des Jupiters um den Planeten. Dadurch werden im salzhaltigen flüssigen Wasser unter der Eiskruste von Europa oder innerhalb der eisigen Schichten von Ganymed und Kallisto elektrische Ströme generiert, die ihrerseits wieder Magnetfelder erzeugen. Das vom IWF mitgebaute Magnetometer an Bord von Juice ist so genau, dass es diese kleinen Felder messen kann und so über die Leitfähigkeit Rückschlüsse auf den Salzgehalt der Ozeane zulässt. Je höher der Salzgehalt, desto stärker ist die Leitfähigkeit und die daraus resultierenden Ströme und deren Magnetfelder. So lassen sich auch Informationen über die Größe der Wasserkörper unter dem Eis ermitteln. Zusätzlich werden auch Daten aus der Messung des Gravitationsfeldes und anderer Instrumente an Bord von Juice mit einbezogen.

Um genaue Aufschlüsse über den Transport von Ozeanwasser durch Spalten im Eis an die Oberfläche der Monde zu erhalten, muss man Bilanzen von salzhaltigen Bestandteilen an den Mondoberflächen ermitteln. Dafür wird ein Zusammenwirken der drei Instrumente, an denen das IWF beteiligt ist, benötigt. Durch die komplexe Wechselwirkung mit Teilchen aus der Jupitermagnetosphäre, in der die Monde eingebettet sind, kann ein Anteil dieser Elemente von der Oberfläche losgelöst und in die Umgebung des Riesenplaneten transportiert werden. Außerdem wird der innerste Galileische Mond Io durch Gezeitenwechselwirkungen mit Jupiter von aktivem Vulkanismus heimgesucht. Dessen ausgestoßene Bestandteile bilden einen Torus mit geladenen Teilchen in besagter Magnetosphäre, welche die Oberflächen der Eismonde zusätzlich mit Natrium- und Magnesium-Teilchen kontaminieren.

Um nun die Elemente, die aus dem Ozean stammen, von diesen Verunreinigungen trennen zu können, muss man alle Quellen und Senken von Natrium und Magnesium identifizieren und deren Raten messen. Durch eine genaue Messung und Analyse der Magnetfelder des Jupiters und des jeweiligen Mondes, dem Studium der Plasmaeigenschaften in der Mondumgebung und die Identifizierung von angelieferten und entfliehenden Natrium- und Magnesium-Teilchen durch die zuvor erwähnten Instrumente kann man schließlich genaue Erkenntnisse über den Transport von Salzwasser aus den Ozeanen an die Oberfläche erhalten.

Io-Vulkanismus, Jupiter-Magnetosphäre und Io-Plasmatorus
Foto: Nasa, Esa

Unterstützende Laborexperimente

Die durch Juice gewonnenen Erkenntnisse kommen auch im IWF-Astrolab zum Einsatz. Durch Experimente und  Modellrechnungen kann mehr über die Beschaffenheit oberflächennaher Schichten der Eismonde, wie deren thermische Bilanz, Wärmeleitfähigkeit und Gasdurchlässigkeit in Erfahrung gebracht werden. Der Vergleich mit den Beobachtungen soll dazu beitragen, laufende Prozesse besser zu verstehen, um die Resultate der Juice-Mission durch physikalische Modelle zu unterstützen.

CoPhyLab - Comet Physics Laboratory

Ausblick in die Zukunft

Der am 13. April startende Juice-Mission wird viele der zuvor angesprochenen offenen Fragen mit einer Reihe von Fernerkundungs-, geophysikalischen und In-situ-Instrumenten klären. Juice wird die Galileischen Monde als planetare Objekte, aber auch als zuvor beschriebene, mögliche Lebensräume charakterisieren, die komplexe Umgebung des Riesenplaneten Jupiter eingehend erforschen und das Jupitersystem als Archetyp für extrasolare Gasriesen mit ähnlichen Monden oder sogar als Beispiel extrasolarer Wasserwelten untersuchen und dabei spannende, neue Erkenntnisse liefern. (Helmut Lammer, 3.4.2023)

Juice (links) wird mit einer Ariane-5-Rakete in den Weltraum fliegen.
Foto: 2023 Esa-CNES Arianespace

Helmut Lammer ist ein international anerkannter Experte für die Evolution von Planetenatmosphären, deren Wasserreservoirs und der potentiellen Habitabilität von Planeten. Er leitet die Forschungsgruppe Planetenphysik im Sonnensystem am IWF der ÖAW in Graz und ist wissenschaftlich an Mars Express und den Teilcheninstrumenten an Bord der Merkursonde BepiColombo, der Jupitersonde Juice und der Kometenmission Comet Interceptor beteiligt. Außerdem ist er Mitglied im Plato-Konsortium, das sich mit der Umgebung von Planeten in der bewohnbaren Zone befasst, die das Weltraumteleskop entdecken wird.

Wer beim Launch Event zum Start von Juice live am IWF dabei sein will, kann sich noch bis 10. April 2023 anmelden.

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