Gold in allen Formen und einer Farbe geht beim Juwelier über den Verkaufstresen.

Foto: Michael Windisch

Man könnte das kleine Geschäft fast übersehen: Unscheinbar liegt es eingeklemmt zwischen einem leerstehenden Beautysalon und dem Restaurant eines Möbelhauses. Doch so dezent der Laden im sechsten Wiener Gemeindebezirk von außen wirkt: Innen ist hier alles Gold, was glänzt. An einem sonnigen Mittwochmittag lässt sich eine junge Frau beim Kauf einer Kette beraten, hinter ihr wartet bereits der nächste Kunde. Es geht dieser Tage hoch her beim Juwelier Wiesinger in der Mariahilfer Straße. Und die Menschen wollen nicht nur kaufen. Viel mehr noch wollen sie verkaufen, ihr Gold zu Geld machen. Jetzt oder nie.

Denn der Goldpreis ist hoch. Unsichere Zeiten mit hoher Inflation, volatilen Aktienmärkten und Bankenkrisen verleiten zu vermeintlich sicheren Wertanlagen. Allein in den letzten drei Monaten hat der Goldkurs um acht Prozent zugelegt, steht jetzt bei etwa 1.820 Euro pro Feinunze (rund 31,1 Gramm). Die 2.000 Euro sind für Gerhard Wiesinger, den Chef des Hauses, nur mehr eine Frage der Zeit.

Vom Milchgeschäft zur Schatzkammer

Natürlich ist der 66-Jährige berufsbedingt Optimist. Aber der gelernte Uhrmachermeister, der mit Sakko und Krawatte empfängt, ist auch einer, der sich auskennt. Seit 1974 ist er im Geschäft. 1980 eröffnete er seinen ersten eigenen Laden, vor bald 40 Jahren siedelte er in Wiens größte Einkaufsstraße. Dort baute er ein ehemaliges Milchgeschäft zum Juwelierladen mit fünf Mitarbeitenden um.

Hinter einer unscheinbaren Fassade in der Wiener Mariahilfer Straße läuft das Geschäft mit dem Altgold ab.
Foto: Michael Windisch

Auf einem kleinen Schreibtisch in einem Kämmerchen hinter dem Verkaufsraum flimmern die aktuellen Weltmarktpreise über einen Bildschirm. Direkt daneben, in einem hellgrauen, eineinhalb Meter hohen Tresor, der aussieht, als würde er jede Krise gelassen aussitzen, schlummern die Schätze: Ketten, Ohrringe, Uhren, Münzen, Barren.

Goldschmuck aus den Achtzigern landet im Schmelztiegel

"Seit 2003 hat sich der Goldpreis versechsfacht", erklärt Wiesinger. "Gleichzeitig hat sich der Geschmack beim Schmuck stark verändert. In den Achtziger- und Neunzigerjahren haben die Leute große Ketten und Armbänder mit hohem Goldanteil gekauft. Jetzt wollen die Menschen fragilen, zierlichen Schmuck mit wenig Gold." Viele wittern die Chance, jetzt ihren alten Schmuck loszuwerden, in allen Altersgruppen. Die einen haben die Goldkette von der Großmutter geerbt und keine Verwendung dafür. Die anderen wollen dem Kind oder Enkelkind beim ersten Auto unter die Arme greifen und verkaufen deshalb. Das betrifft nicht nur Schmuck, sondern auch Münzen, die viele zu Hause haben: "Früher war das fast ausschließlich der Golddukaten, jetzt auch vermehrt der Philharmoniker, die Krone oder der südafrikanische Krügerrand."

Rund 20 bis 30 Prozent verkaufen aber, weil sie das Geld angesichts der hohen Inflation einfach zum Leben brauchen und den Schmuck am leichtesten entbehren können, schätzt Wiesinger. Die dritte große Gruppe trennt sich von Luxusuhren, an denen sie sich nach drei, vier Jahren bereits sattgesehen hat – um mit dem Verkaufserlös ein neues Modell anzuschaffen.

Seit 1974 ist Gerhard Wiesinger im Geschäft, seit 1980 führt er seinen eigenen Laden.
Foto: Michael Windisch

Marktvorteil für Vintagegold

Was aber passiert mit dem ganzen Gold, das Wiesinger zusammenträgt? Rund zwei Drittel werden eingeschmolzen – das ist das, wofür es wohl keinen Käufer mehr gibt. Wiesinger arbeitet mit einer deutschen Scheideanstalt zusammen, die das Bruchgold zu Feingold aufbereitet, das dann weiterverkauft wird.

Das übrige Drittel wird serviciert, gereinigt, bei Bedarf geschliffen, neu gelötet – und landet dann als Vintagegold in der Vitrine. "Das hat den großen Vorteil, dass das sehr nachhaltig ist", denn die Produktion von Gold ist extrem energieaufwendig. Ein weiteres Plus: Altgold in Schmuckform ist differenzbesteuert. Das bedeutet, nur der Teil, den der Juwelier auf den Ankaufspreis aufschlägt, unterliegt der Mehrwertsteuer. Kauft Wiesinger also eine Kette um 100 Euro und verkauft sie um 130 Euro, beträgt die Mehrwertsteuer davon nur fünf Euro.

Wie aber läuft so ein Ankauf überhaupt ab? Wiesinger erklärt das am Beispiel eines Taufkettchens. Zunächst wird das Stück einmal begutachtet. "Ein solches Kettchen ist meist nicht besonders innovativ, sondern maschinell gefertigt. Da liegt das Hauptaugenmerk am Goldpreis." In Österreich haben laut Wiesinger 95 Prozent aller Schmuckstücke einen Feingehalt von 14 Karat, das heißt, sie bestehen zu 58,5 Prozent aus reinem Gold, der Rest ist eine Legierung. Das Kettchen wird dann gewogen, der adäquate Preis anhand des Feingehalts ermittelt. "Ist es aber ein Schmuckstück – Jugendstil, Art Deco, manchmal gibt es auch noch Biedermeier –, dann wird ein Faconpreis berechnet. Da ist nicht der Materialpreis das Hauptargument, sondern die Arbeit, die in das Stück geflossen ist."

50 Gramm reines Gold von einem Schweizer Bankhaus – aktuell um rund 3.000 Euro zu bekommen.
Foto: Michael Windisch

Bitte ein Blick in die Kamera!

Wo viel Geld im Spiel ist, dort wachsen die Begehrlichkeiten. Auch die krimineller Natur. Anfang Februar wurde der Juwelier Opfer eines Raubüberfalls. Nur einen Tag vor dem Besuch des STANDARD stahl ein Dieb am helllichten Tag zwei Ringe aus dem Verkaufsraum. Da so etwas regelmäßig vorkommt, haben sich die Juweliere der Gegend mittlerweile zusammengetan und informieren einander rasch über derartige Vorfälle. Wiesinger stellte Bilder der Diebesware ins Netz, noch am selben Tag konnte die Polizei den Täter fassen. "Ganz vermeiden lässt sich das aber nicht, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen." Wer etwa noch immer mit FFP2-Maske ins Geschäft kommt, den bitten Wiesinger und seine Angestellten, kurz die Maske abzunehmen und in die Kamera zu schauen. Sicher ist sicher.

Wovor Wiesinger warnt, ist, dass in seiner Branche "viel Schindluder betrieben wird": Reisende Goldankäufer laden zu Schätzungsterminen in Hotels. "Am Land gibt es Wirtshäuser, dort bekommst du, wenn du 40 Gramm Gold verkaufst, ein Schnitzel dazu." Die gebotenen Preise aber liegen weit unter dem Marktwert. Auch Fälschungen sind keine Seltenheit, wobei gerade Münzen als besonders fälschungssicher gelten – anders als Barren –, obwohl auch hier ab und zu Fälschungen angeboten werden. Persönlich würde Wiesinger also immer Münzen den Vorzug geben – und Silber als Wertanlage nicht außer Acht lassen. Aber das ist eine andere Geschichte. (Michael Windisch, 29.3.2023)