Marko Arnautovic, einer der großen Abwesenden. Hätten wir mit ihm gegen Estland weniger gezittert?
Foto: tschuttiheft.li/Don Sueder

Im Gastblog schreibt Gerald Simon aus der Fan-Perspektive über die letzten Spiele der österreichischen Nationalmannschaft.

Fußballfan zu sein ist ja bekanntermaßen in erster Linie die unaufhörliche Leidensgeschichte persönlicher Rückschläge. Aber diesmal nicht! Obwohl, während unser Fußballnationalteam die kaukasische Herausforderung gegen Aserbaidschan souverän meisterte, wären wir in der estnischen Ostsee beinahe abgesoffen. Unterm Strich kann man nach dem Europameisterschaftsquali-Doppel aber sagen: Unser Team lebt, und das bis zur letzten Minute! Und die vielen Ausfälle zahlreicher Stammspieler muss man auch erst einmal so wegstecken. Aber alles der Reihe nach.

Das österreichische Fußballnationalteam möchte unbedingt 2024 zur Europameisterschaft nach Deutschland, die österreichischen Fußballfans möchten das auch unbedingt. Dafür sind aber in der Qualifikationsgruppe mindestens drei Hürden zu überwinden. Die beiden vermeintlich kleineren waren jetzt hintereinander binnen vier Tagen zum Start der EM-Quali im neuen Linzer Stadion zu Gast: Aserbaidschan und Estland. Abgesehen von den ersten 15 Minuten bot unser Team gegen Aserbaidschan eine tadellose Leistung und gewann 4:1. Der Fußballfan im Fernsehsessel war kaum Belastungen ausgesetzt und konnte in aller Ruhe sein Bier auf dem Bauch jonglieren. Man of the Match war Marcel Sabitzer, der Kapitän Alaba würdig als Spielführer vertrat, und mit zwei Treffern und einem Assist noch aus einer sehr guten Mannschaft herausragte.

Ein Spiel mit vielen Abwesenheiten

Ganz anders die zweite Partie gegen Estland. Zu allem Überfluss konnte der überragende Sabitzer verletzungsbedingt nicht mitmachen und reihte sich in die lange Liste berühmter Abwesender ein: Alaba (im ersten Spiel, im zweiten reichte es für eine Halbzeit), Arnautovic, Lienhart, Trauner, Schlager und wie sie alle heißen, und so musste Teamchef Rangnick auf seinen Not-Notkapitän Konrad Laimer zurückgreifen. Das österreichische Team legte los wie die Feuerwehr und vergab in der Startphase drei gute Möglichkeiten, um in Führung zu gehen. Der Fußballfan schmatzte zufrieden vor sich hin und übte bereits diverse Jubelposen. Als allerdings Gregoritsch auch noch einen Elfmeter verschoss, schwante dem gelernten österreichischen Fußballfan nichts Gutes und prompt kassierte das Team aus einer Standardsituation einen unnötigen Gegentreffer (aber welcher Gegentreffer ist schon nötig).

Kleiner Exkurs zum verschossenen Elfmeter: Es tut mir leid, aber Ihr unbestechlicher Chronist mag keine Elfmeter, die mit einem kurzen Anlauf geschossen werden. Was soll das bringen? Geht er rein, ist es nicht besonders cool und geht er nicht rein, wirkt es nur überheblich. Sorry, Gregerl, das musst du nacharbeiten.

Die unerwartete Wendung

Dem österreichischen Spiel tat dieser Rückstand nicht gut und die Esten verteidigten mit elf Mann und noch mehr Mäusen. Aber hier trat ein neuer Aspekt des österreichischen Teams zutage. Niemals aufgeben! Rangnick brachte in der zweiten Spielhälfte den rekonvaleszenten Alaba als Antreiber und sukzessive einen Offensivspieler nach dem anderen. Es dauerte bis zur 68. Minute bis zum Ausgleich und gar bis zur 88. Minute bis zum Siegtreffer. Bis dahin litt der gelernte österreichische Fußballfan wahre Höllenqualen, vom lässigen Bierflaschenjonglieren keine Rede mehr, eher musste man aufpassen, sich nicht daran zu verschlucken. Dass dann ausgerechnet Gregoritsch den Siegestreffer erzielte, gehört untrennbar zum Spiel und söhnte den Fußballfan wieder mit sich, der Welt und Gregoritsch aus.

Nicht nur die Nationalmannschaft, sondern auch die Fans konnten sich freuen.
Foto: APA/EVA MANHART

Aber: Ende gut, alles gut! Die ersten sechs Punkte sind gemacht. An den zweiten drei hat die tolle Stadionatmosphäre in Linz sicherlich ihren Anteil gehabt, umso bedauerlicher, dass das vorentscheidende Heimspiel gegen Schweden wieder im "hässlichen Happel" (Copyright Christian Hackl) stattfinden muss. Wir sind – nach dem Kasperltheater rund um die Rapid-Arena – geneigt zu sagen, warum sollten in Wien eigentlich noch Länderspiele stattfinden, andere Mütter haben auch schöne Kinder… (Gerald Simon, Claus Farnberger, 28.3.2023)