Auf den ersten Blick zeigt sich ein düsteres Bild: Die Fälle von Kinderkriminalität, also Straftaten von unter 14-Jährigen, sind in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen, genau gesagt um fast 70 Prozent. So wurden 2022 7.858 Taten erfasst. Doch dieser Anschein trügt möglicherweise: Experten sehen eine gesamtgesellschaftliche Veränderung, vor allem in der Anzeigenkultur und der Hemmung, die Polizei hinzuzuziehen.

Zu den Top-Drei-Delikten der vergangenen zehn Jahre zählen Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Gemeinsam ist diesen Delikten, dass sie allesamt stark angestiegen sind, letztere haben sich sogar mehr als verdoppelt.

"Die Zahlen sind kein Ausdruck von gestiegener Gewalt", erklärt der deutsche Soziologe Reinhard Kreissl.
Foto: Christian Fischer

Was erst 2021 Eingang in die Liste der Top Zehn genommen hat, ist der betrügerische Datenverarbeitungsmissbrauch. Dabei verschaffen sich die Täterinnen und Täter einen Vermögensvorteil durch den unerlaubten Gebrauch von Daten, beispielsweise durch das unberechtigte Verwenden der Kontodaten einer anderen Person bei einer Überweisung.

Schockierende Fälle wie jener der zwölfjährigen Luise, die kürzlich in Deutschland von ihren beiden Freundinnen – zwölf und 13 Jahre alt – erstochen wurde, gehören zur Ausnahme. Dennoch scheint auch hierzulande die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen zu steigen: Gab es 2013 noch 1.159 Fälle von Körperverletzung, so ist diese Zahl 2022 auf 1.436 gestiegen.

Auch wenn die Zahlen der Täterinnen unter 14 Jahren in den vergangenen Jahren gestiegen sind, spricht sich das Justizministerium klar gegen ein Herabsetzen der Altersgrenze bei der Strafmündigkeit aus. Für den Strafrechtsexperten Alois Birklbauer wäre dies ebenso der falsche Weg: "Wenn man es nur senkt, heißt das, wir sperren 13-Jährige ins Häfn. Was soll das bringen?"

Straffällige Kinder

Doch wer sind die Jugendlichen, die diese Straftaten begehen? Die Mehrheit sind österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Unter jenen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sind die Top-Fünf-Nationen bei den Tatverdächtigen Russland, Deutschland, Serbien, Rumänien und Afghanistan – in ungereihter Auflistung, wie das Innenministerium festhält. Was die Motive der Kinder und Jugendlichen für ihre Taten sind und ob sie, nachdem sie strafmündig sind, wieder straffällig werden, dazu führt das Bundeskriminalamt keine Statistik. Nur hinsichtlich des Geschlechts lassen sich noch genauere Angaben machen: Waren 2022 rund 7.900 Buben Tatverdächtige, waren es nur 2.500 Mädchen – also 25 Prozent.

Fest steht: Jugendliche unter 14 Jahren gelten als strafunmündig. Das bedeutet, sie können keine Anzeige bekommen oder gar vor Gericht verurteilt werden. Kommt die Polizei im Zuge ihrer Ermittlungen zum Schluss, dass die Täterin unter 14 Jahre alt ist, werden zwar die notwendigen Ermittlungsschritte gesetzt, danach wird das Verfahren jedoch eingestellt.

Von dieser Einstellung des Strafverfahrens sind sowohl der Kinder- und Jugendhilfeträger als auch das Pflegschaftsgericht zu verständigen. "Wir nehmen Kontakt mit den Familien auf und stellen fest, ob eine sofortige Intervention notwendig ist", erklärt Ingrid Pöschmann, Pressesprecherin der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11). Die Eltern würden eine wichtige Rolle spielen, weshalb versucht werde, diese von Anfang an "ins Boot zu holen". Ambulant gebe es für die Kinder und Jugendlichen beispielsweise die Möglichkeit, an Antigewalttrainings teilzunehmen. Stationär stünden Wohngemeinschaften zur Verfügung.

Veränderte Anzeigenkultur

Der deutsche Soziologe Reinhard Kreissl erklärt sich den Anstieg der Straftaten vor allem durch eine Veränderung des Anzeigeverhaltens. "Wenn früher ein Apfel gestohlen wurde, bekam derjenige eine Ohrfeige. Heute zeigt man ihn vermutlich an." Die Hemmung, die Polizei hinzuzuziehen, sei stark gesunken. Zudem seien mehr Diebstahlsobjekte in Umlauf, da heutzutage auch Kinder mit Designerartikeln ausgestattet seien. Auch bei den Schulen sieht er einen Grund für den Anstieg: "Das Konfliktlösungspotenzial ist gesunken." Fest steht für ihn daher: "Die Zahlen sind kein Ausdruck von gestiegener Gewalt", erklärt Kreissl.

Einen ähnlichen Erklärungsansatz hat auch Günther König, Geschäftsführer der Welser Sozialeinrichtung Mopäd. Es würden sich nicht nur die Jugendlichen verändern, sondern die ganze Gesellschaft. "Die Anzeigenkultur ist eine andere als früher." Ein weiteres Problem sieht er bei den Schulen, denn dort würde "mehr Exklusion als Inklusion stattfinden", was man etwa an der hohen Zahl an Suspendierungen erkennen könne.

Präventionsprogramme

Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, gibt es verschiedene Präventionsprogramme wie "All Right – Alles was Recht ist" oder "Click & Check". Diese erreichten im vergangenen Jahr knapp 96.000 Schülerinnen und Schüler. Ziel dieser Programme ist, das Rechtsbewusstsein der 13- bis 17-Jährigen zu fördern, Handlungsstrategien für ein positives Miteinander zu erarbeiten und alternative Verhaltensmuster zu verinnerlichen. (Sophie Mooseder, 30.3.2023)