Kamala Harris hielt in Accra vor tausenden jungen Ghanaern und Ghanaerinnen eine Rede.

Foto: Reuters/Misper Apawu

Stoßverkehr über dem Atlantik: US-Politikerinnen und -Politiker höchsten Ranges fallen derzeit in Scharen in Afrika ein. Vizepräsidenten Kamala Harris landete am Montag zu ihrem ersten Besuch des Erdteils in Ghana – zu einem Zeitpunkt, als Außenminister Antony Blinken gerade seine dritte Rundreise durch Afrika beendete. Zuvor hatte Finanzministerin Janet Yellen dem finanzschwachen Kontinent einen Besuch abgestattet, gefolgt von Washingtons UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield.

Auch Jill Biden, First Lady der transatlantischen Supermacht, ließ sich zwischenzeitlich blicken: womöglich, um den schwierigen Erdteil für ihren 80-jährigen Mann auszuchecken, der Ende des Jahres selbst nach Afrika reisen soll. Sein Vorgänger hatte den Kontinent noch als "shithole" bezeichnet – und jeden Besuch peinlichst vermieden.

Aufholbedarf der Supermacht

Doch jetzt werden Afrikas Präsidenten (plus zwei Präsidentinnen) vom Hype in Washington nicht mehr in Ruhe gelassen. Dabei waren sie erst Ende vergangenen Jahres fast geschlossen zum US-Afrika-Gipfel an den Potomac gepilgert. Staaten wie China, Indien, Russland oder Japan – sowie die EU – haben schon seit Jahren ihre eigenen Afrika-Gipfel: Die Supermacht scheint einiges aufholen zu müssen.

Ihr Besuch bestätige die "dauerhafte und sehr wichtige Freundschaft" zwischen den USA und Afrika, schwärmte Kamala Harris bei ihrer Ankunft in Ghana: Sie sei "begeistert" von der Zukunft des Kontinents. Solche Töne hatte man aus Washington bislang nicht gehört – einer der Gründe, wieso man auf dem Kontinent der zur Schau gestellten Begeisterung von Kamala Harris eher skeptisch gegenübersteht. Wo waren die überschwänglichen Gefühle, als es um faire Handelsbedingungen, um eine bessere Vertretung Afrikas im UN-Sicherheitsrat oder um die Aufteilung der knappen Covid-Impfstoffe ging?

Leichter ist die Frage zu beantworten, worauf das plötzliche Werben um die Gunst Afrikas beruht. Nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine musste Washington zur Kenntnis nehmen, dass es sich der politischen und diplomatischen Unterstützung des Kontinents keineswegs sicher sein kann: Fast die Hälfte der 55 Staaten wollte den russischen Aggressor nicht einmal rügen.

Warnung der Demografen

Außerdem war die Supermacht im Wettkampf um Afrikas Bodenschätze vor allem gegenüber China arg ins Hintertreffen geraten. Schließlich wurden im Weißen Haus auch die Alarmglocken der Demografen vernommen. Sie gaben bekannt, dass bereits Mitte dieses Jahrhunderts ein Viertel der Menschheit in Afrika leben wird – der Kontinent gilt als der letzte große Wachstumsmarkt der Welt. "Sehr begeistert" sei sie auch von den Folgen, die Afrikas strahlende Zukunft für den Rest der Welt haben werde, setzte Kamala Harris bei ihrer Ankunft in Ghana noch drauf.

Der Wettkampf um Afrikas Bodenschätze (sie decken angeblich ein Drittel des nachfossilen Bedarfs für Batterien und andere Hightech-Geräte ab) sowie um Afrikas Märkte lässt bereits die Rede von einer Neuauflage des "Scramble for Africa" aus der Kolonialzeit oder gar von einem neuen Kalten Krieg aufkommen. Letzteres ist vor allem den Umtrieben der russischen Söldnertruppe Wagner zu verdanken, die als Pfahl im Fleisch des westlichen Einflusses nach Afrika entsandt wurde.

Neue Stellvertreterkriege möglich

Washington versucht die vom US-Finanzministerium als "transnationale Verbrecherorganisation" bezeichnete Truppe mit Sanktionen in Schach zu halten, bisher allerdings ohne Erfolg. Dass es in Afrika wie bis vor 30 Jahren wieder zu Stellvertreterkriegen zwischen pro-ussischen und prowestlichen Kräften kommen könnte, ist nicht mehr ausgeschlossen.

Vorsichtiger geht Washington mit den Konkurrenten aus China um. Ihnen wird zugutegehalten, sich großflächig um Afrikas Infrastrukturprojekte gekümmert zu haben – zu einer Zeit, als sich die USA von dem Kontinent noch weitgehend fernhielten. Um sich von Peking abzugrenzen, weist Washington heute auf den nobleren Stil seiner Unterstützung hin: Sie komme vor allem der Bevölkerung, der Demokratie und den Menschenrechten zugute, während China jeden afrikanischen Machthaber ungeachtet seines Regierungsstils stärkt.

Washingtons Nachteil: Auch in Afrika haben nicht zivilgesellschaftliche Gruppierungen, sondern Regierungen das Sagen – und die nehmen Pekings bedingungslose Unterstützung nur allzu gern in Anspruch.

Eine weitere Folge des US-Ansatzes: Während sich China in so gut wie jedem der 55 afrikanischen Staaten engagiert, konzentriert sich Washington auf bespielhafte "Ankerstaaten". Zu diesen werden auch die drei Länder gerechnet, die Harris während ihrer Reise aufsucht: Neben Ghana sind das Tansania und Sambia – zwei Staaten, die sich nach längeren Flirts mit China wieder dem Westen zuwenden.

Vermeintliche Musterländer

Wie es um die Vorbildlichkeit der "Ankerstaaten" bestellt ist, wird allerdings schon am Beispiel des ersten Reiseziels der Vizepräsidentin deutlich: In Ghana brachten Abgeordnete eine Gesetzesnovelle ins Parlament ein, die Homosexualität noch stärker als bisher bestrafen wird. In dem westafrikanischen Staat herrscht außerdem eine Inflationsrate von 50 Prozent. Mit einem Musterland ist das wohl kaum vereinbar. (Johannes Dieterich, 28.3.2023)