Im IOC-Hauptquartier in Lausanne werden richtungsweisende und auch höchst umstrittene Entscheidungen getroffen.

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Lausanne – Thomas Bach nahm eine geschlagene Viertelstunde Anlauf, ehe er in der IOC-Zentrale in Lausanne die folgenschwere Nachricht verkündete: Das Internationale Olympische Komitee mit seinem deutschen Präsidenten an der Spitze öffnet Russlands Athletinnen und Athleten die Tür zur Rückkehr in die Sportgemeinschaft. Vor 13 Monaten, unmittelbar nach dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine, waren die meisten Fachverbände einer IOC-Empfehlung zum Ausschluss der Sportler gefolgt.

Ausnahmen

Zu den IOC-Bedingungen zählen strikte Neutralität, die Einhaltung des Anti-Doping-Codes und der Nachweis, den Krieg nicht aktiv zu unterstützen. Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus, die dem Militär angehören, bleiben ausgeschlossen, ebenso Mannschaften der beiden Nationen. Eine Entscheidung bezüglich der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris und den Winterspielen in Mailand und Cortina d'Ampezzo 2026 werde "zu gegebener Zeit" getroffen werden.

Autonomie des Sports

"Wir können keine Lösung bieten, die allen gefällt", sagte Präsident Thomas Bach zu Beginn der Exko-Sitzung. Das IOC war vor allem in der westlichen Welt von Regierungen und Athleten für die Pläne kritisiert worden, pocht aber auf die Autonomie des Sports und verweist auf die Richtlinien der UN- und olympischen Charta zur Diskriminierung. Deutschlands Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wertet die Entscheidung des IOC als einen "Schlag ins Gesicht der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler".

Bach behauptete am Dienstag, dass die Teilnahme russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten in Sportarten wie Tennis, Eishockey oder Radsport funktioniere. "In keinem dieser Wettbewerbe sind Sicherheitsvorfälle passiert", sagte Bach. Allerdings haben zuletzt besonders im Frauentennis die Auseinandersetzungen zwischen den neutralen Athletinnen aus Russland und Belarus und ihren Kontrahentinnen aus der Ukraine zugenommen.

Westlicher Widerstand

Widerstand gegen den Kurs des IOC gibt es vor allem aus der Ukraine und einer Reihe von westlichen Ländern. Die Ukraine verweist darauf, dass viele russische Spitzensportler auch Angehörige des russischen Militärs sind. In einer Gesprächsrunde von Bach mit Nationalen Olympischen Komitees am Vorabend der IOC-Beratungen erinnerte der ukrainische Sportminister Wadym Gutzajt daran, dass bereits 262 ukrainische Sportler und Trainer im Krieg mit Russland getötet worden seien. Die Ukraine droht auch mit dem Boykott internationaler Wettbewerbe bis hin zu Olympia, um Aufeinandertreffen mit Athleten aus Russland und Belarus zu vermeiden.

Offener Brief

Mehr als 300 Fechterinnen und Fechter hatten zuletzt in einem offenen Brief ihren Weltverband (FIE) und das IOC aufgefordert, die Haltung zur Wiederzulassung von Russland und Belarus zu überdenken. Die FIE hatte am 10. März die Aufhebung des Teilnahmeverbots an internationalen Turnieren beschlossen. Im offenen Brief der Aktiven ist von einem "katastrophalen Fehler" zu lesen, den das vom ehemaligen Fechter Thomas Bach geführte IOC tunlichst vermeiden sollte. Der FIE war bis Ende Februar 2022 der russische Oligarch Alischer Usmanow als Präsident vorgestanden. Nach seiner Meinung nach "ungerechtfertigten internationalen Sanktionen" gegen seine Person zog er sich von dem Amt zurück, das nun interimistisch der Grieche Emmanuel Katsiadakis bekleidet. Usmanov betont, er habe zur FIE seit seinem Rückzug "keine Arbeitskontakte" mehr.

Auch der Verein Athleten Deutschland bekräftigte seine Forderung nach einem Komplettausschluss von Russland und Belarus. Der Weltsport müsse seine Unterwanderung durch russischen Einfluss systematisch und unabhängig aufarbeiten lassen, hieß es.

Österreich gespalten

Österreichs Olympisches Comité (ÖOC), im IOC durch Präsident Karl Stoss vertreten, ist wie Bach der Meinung, dass Sportlerinnen und Sportlern aus Russland und Belarus ein Start bei Olympischen Spielen wieder zu ermöglichen sei – wenn auch unter besonderen Bedingungen. Das ÖOC steht damit im Gegensatz zu Sportminister Werner Kogler, der wie eine Mehrzahl seiner Amtskollegen in der EU eine russische Olympia-Teilnahme schlicht für "unzumutbar" hält. (sid, APA, red, 28.3.2023)

Korrekturhinweis: am 18. April um 11:18 Uhr um die Tatsache ergänzt, dass Alischer Usmanow seit Anfang März 2022 nicht mehr FIE-Präsident ist.