Kämpferisch: die Regisseurin und feministische Aktivistin Katharina Mückstein.

Die Regisseurin Katharina Mückstein ist, spätestens seitdem sie im Juni 2022 mit einem Instagram-Posting MeToo in der österreichischen Filmbranche losgetreten hat, auch Aktivistin. Ein Gespräch über ihren neuen Film Feminism WTF, den Missbrauch in der Branche, die Diskurse der Rechten und die Rolle von Männern im Feminismus.

STANDARD: Auf der diesjährigen Diagonale stellte die Anlaufstelle für Filmschaffende #we_do! ihre Jahreszahlen vor. 2022 haben sich die Meldungen wegen Machtmissbrauchs und Belästigungen nahezu vervierfacht. Anlass dafür war auch ein Posting, mit dem Sie im Sommer 2022 die MeToo-Welle in der Branche initiiert haben. Hat Sie das damals überrascht?

Mückstein: Ja, total. Ich dachte nicht, dass mir mehr als zehn Leute schreiben. Aber nach ein paar Tagen hatte ich dann schon ein paar Hundert Nachrichten mit Beschreibungen von Übergriffen und Machtmissbrauch. Jetzt wissen viel mehr Leute über die Anlaufstellen Bescheid und sind bereit, sich dort zu melden.

STANDARD: 80 Prozent der Meldungen bei #we_do! kamen von Frauen. Derzeit geht es oft darum, die Geschlechtergrenzen aufzulösen – ginge dann nicht die Kategorie Frau als Werkzeug für arbeitsrechtliche Forderungen verloren?

Mückstein: Ich sehe nicht, dass im Queerfeminismus die Kategorie Frau infrage gestellt wird. Es geht darum, anzuerkennen, dass andere Geschlechterformen existieren, die auch von patriarchaler Gewalt betroffen sind. Man muss sich zusammentun. Wenn man eines gegen das andere ausspielt, tut man so, als ob Gleichstellung, Freiheit und Rechte ein Kuchen wäre, von dem es nicht genug für alle gäbe.

STANDARD: In "Feminism WTF" haben Sie sich dagegen entschieden, "genderkritische" Feministinnen zu Wort kommen zu lassen. Weshalb?

Mückstein: Weil für mich transexklusive Positionen keine feministischen sind. Diese Positionen negieren, was wissenschaftlich belegt ist, nämlich dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt. Das Anerkennen von Geschlechtervielfalt ist wahrscheinlich das mächtigste feministische Werkzeug, das wir haben. Die Geschlechterbinarität ist die Grundlage für Ungleichheit. In meinem Film zeige ich, dass Care-Arbeit abgewertet wird und schlecht oder unbezahlt bleibt, weil sie weiblich stereotypisiert wird. Wenn man die Enge der Kategorien Mann versus Frau auflöst, dann greifen auch die Zuschreibungen und die Ungleichbehandlungen nicht mehr.

Stadtkino Filmverleih

STANDARD: Ihr Film setzt vor allem auf Expertinnen. Wie kam es zu dieser reduzierten Form, und warum nehmen Sie sich selbst derart zurück?

Mückstein: Ich habe Genderstudies und Philosophie studiert und die Erfahrung gemacht, dass es schwer ist, sich feministisches Wissen zu erarbeiten. Obwohl es einen großen Körper an akademischem, aktivistischem und gelebtem Wissen gibt, muss sich jede Frau und jede Flinta-Person (inkludiert auch nichtbinäre, inter- und transgeschlechtliche Menschen, Anm.) dieses Wissen, das immer wieder aufs Neue verdrängt und marginalisiert wird, mühsam zusammensuchen. Deshalb wollte ich einen Film machen, der kompakt zeigt, was aus einer queerfeministischen oder intersektionalen Perspektive gemeint ist, wenn man von Feminismus spricht. Darin steckt sehr viel und sehr ausdifferenziertes Wissen. Feminismus ist keine Meinung! Darum war es mir auch sehr wichtig, die Experts zu zeigen und ihrer Sprache, ihrem Gestus einen Raum zu bieten. Wir sitzen und hören zu, weil ich glaube, dass wir uns dieses Wissen mit sehr viel Aufmerksamkeit reinziehen sollten.

STANDARD: Verkörpertes Wissen spielt hier eine zentrale Rolle. Was bedeutet das?

Mückstein: Mit verkörpertem Wissen ist gemeint, dass man je nachdem wo man sich befindet an eine gewisse Körperlichkeit, eine Erscheinung, gewisse Privilegien gebunden ist. Ein weißer Körper macht andere Erfahrungen in einer so weißen Gesellschaft wie Österreich als ein schwarzer Körper. Ein Frauenkörper macht andere Erfahrungen als ein Männerkörper, usw. Die Idee dahinter ist, dass dieses verkörperte Wissen immer mitgedacht werden muss und dass, wenn Vielfalt nicht gegeben ist, auch Expertise und Erfahrung fehlt.

STANDARD: Es wurde bereits behauptet, "Feminism WTF" sei ein Propagandafilm. Haben Sie damit ein Problem?

Mückstein: Warum sollte ich ein Problem damit haben? Das Gegenteil von Feminismus ist Antifeminismus. Im Feminismus geht es um Menschenrechte, um eine Idee davon, wie wir besser zusammenleben können, wie wir weniger Gewalt in der Gesellschaft haben, wie wir die Zukunft der Menschheit sichern können, indem wir uns einem Prinzip der Fürsorge zuwenden und uns von Ausbeutung und Profit abwenden. Das sind alles zukunftsweisende Ideen, die wir ganz dringend brauchen.

STANDARD: Welche Rolle haben denn Männer im feministischen Diskurs?

Mückstein: Der Männlichkeitsforscher Christoph May sagt das in meinem Film sehr deutlich, und ich stimme ihm zu: Ich sehe nicht, dass sich Männer in einem relevanten Maß an der feministischen Debatte beteiligen. Oft werde ich gefragt, wie wir Männer vom Feminismus überzeugen und ihnen erklären können, dass sie selbst auch profitieren können. Ich finde aber, dass Eigeninteresse keine besonders wünschenswerte politische Haltung ist. Was ich als Stärke des intersektionalen Feminismus* sehe, ist, dass man prinzipiell auf der Seite der verletzbaren, prekarisierten oder unterdrückten Personen steht, je nachdem, wer das gerade ist. Egal, ob ich davon selbst profitiere. Auch ich muss als weiße, gebildete, europäische Cis-Frau meine Privilegien gegenüber anderen anerkennen und die Verantwortung, die daraus entsteht, immer wieder ernst nehmen. Ich würde von den Männern verlangen, dass sie aus Prinzip Feministen sind, nicht weil sie eine Liste bekommen, auf der steht, was sie alles davon hätten.

STANDARD: Antisemitismus wird in dem Film historisch mit Antifeminismus verschränkt. Können Sie das kurz ausführen?

Mückstein: Die Soziologin Franziska Schutzbach erklärt, dass sich vieles der rechten Rhetorik, die heute stark Einzug in die Mitte der Gesellschaft gehalten hat, in den Anfängen des Nationalsozialismus wiederfinden lässt. Zum Beispiel die Vorstellung, dass die Verweichlichung der Gesellschaft ein riesiges Problem sei. Heutige Diskurse über Snowflake-Generationen, die sensible Jugend, kommen aus der amerikanischen Alt-Right und sind in der Gesellschaft bis links der Mitte aufgriffen und unreflektiert weiterverwendet worden. Dass der "verweichlichte Mann" eine Gefahr sei, behaupteten auch die Nationalsozialisten über jüdische Männer.

STANDARD: Auch Cancel Culture und Wokeness gehören zu diesen Alt-Right-Diskursen. Wie sehen Sie diese?**

Mückstein: Ich finde es erschreckend, weil ich immer wieder Gespräche mit Menschen habe, die ich für schlau halte, aber die etwa den Begriff woke abwertend verwenden. Dann frage ich, woher kommt das, dass du sagst, woke oder sensibel zu sein, sei eine schlechte Sache? Wokeness kommt aus der schwarzen Kultur und sagt nichts anderes, als politisch wach und aufmerksam zu sein. Wie kann man das ins Lächerliche ziehen? Schade ist, dass wirklich kluge Leute diese Worte übernehmen, ohne die Ideengeschichte dahinter in Betracht zu ziehen. Genauso sehe ich das auch mit Cancel Culture. Da wird behauptet, dass eigentlich marginalisierte Gruppen die Macht dazu hätten, jemanden auszulöschen. Oft wird jemand aber nur öffentlich kritisiert, das ist etwas anderes.

Ich habe mich sehr viel mit Fragen von sexualisierter Gewalt in meiner Arbeitswelt beschäftigt, und ich wünschte, es wäre möglich, jemanden zu canceln. Es ist aber nicht möglich. Wir kämpfen vielmehr mit dem Problem, dass wir Täter kennen, aber keine juristische Handhabe haben, darüber zu sprechen. Wir dürfen ihre Namen nicht nennen, weil wir sonst verklagt werden, und müssen damit leben, dass sie weitermachen, als ob nichts passiert wäre.

STANDARD: Haben Sie dennoch das Gefühl, dass sich die Branche bewegt?

Mückstein: Ich habe eben einen Tatort abgedreht, und ich hatte das Gefühl, dass die Stimmung am Set anders ist. Von meinem sehr jungen Team hatte ich den Eindruck, dass viele sich nichts mehr gefallen lassen. Besonders bei jüngeren Frauen gibt es viel mehr Wissen über die Übergriffsthematik ebenso wie eine treffendere Sprache und den Willen, auszusprechen, was passiert und was sie sehen. Mehr Mut und mehr Freiheit. Rundherum fehlt es weiterhin an Maßnahmen, Regelungen und Aufklärung. Außerdem fehlt die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Strafrecht der Maßstab für die Entscheidung sein soll, ob man mit Menschen zusammenarbeitet, die potenziell für andere eine Gefahr sind.

STANDARD: Was macht feministische Filmarbeit aus?

Mückstein: Das beschäftigt mich sehr, und ich muss sagen, dass auch bei mir erst in den letzten Jahren eine große Sensibilität dafür entstanden ist, wie wir tatsächlich in unseren Arbeitsprozessen mit Leuten umgehen, welche Art von Umgang und welche Hierarchien normalisiert sind, die nicht nötig wären. Zeit und Geld sind die wichtigsten Kriterien. Wenn es nötig ist, unter diesem Druck jemanden schlecht zu behandeln, dann ist es halt so. Aber kein Film kann es wert sein, an Menschen einen Schaden zu hinterlassen. Das muss aufhören.

STANDARD: Was ist mit der vielzitierten Grenzüberschreitung der Kunst?

Mückstein: Es steht jedem Künstler und jeder Künstlerin zu, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten, aber die Grenzen der anderen dürfen nicht überschritten werden. (Valerie Dirk, 29.3.2023)