Die Anhörung findet am Mittwoch in Straßburg, dem Sitz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, statt. Auf dem Foto zu sehen ist unter anderem die Anwältin der Schweizer Klägerinnen.

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Genf – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beschäftigt sich seit Mittwoch erstmals mit einer Klage gegen den Klimawandel. Dabei haben sich tausende Schweizer Seniorinnen zusammengetan, die ihrer Regierung vorwerfen, zu wenig gegen die Erderwärmung zu tun. Das gefährde ihr Leben und verletze damit ihre Menschenrechte. Haben die Frauen Erfolg, könnte das die Schweiz und womöglich auch andere Länder dazu zwingen, viel schneller als bislang geplant für eine CO2-Absenkung sorgen zu müssen.

Dutzende der Klägerinnen, Unterstützer und Klimaaktivisten von Greenpeace versammelten sich am Mittwoch vor Beginn der Verhandlung vor dem Gerichtssaal. Zu ihnen zählt auch Bruna Molinari. Sie leide an Asthma, das sich durch übermäßige Hitze verschlimmere, sagte die 81-Jährige hustend. Sie hoffe, dass der Gang vor das Gericht zumindest kommenden Generationen zugutekommen werde. "Als Großmutter und Mutter denke ich, dass sie das Recht haben, ein besseres Klima zu haben als wir."

Jahrelanger Rechtsstreit

Der Rechtsstreit zieht sich seit Jahren hin. Die Schweizer Regierung hat dabei zweimal vor inländischen Gerichten gewonnen. Sie will den Fall in Straßburg als unzulässig abweisen lassen. Ihr Anwalt Alain Chablais sagte, jede von dem Gericht erlassene Vorschrift würde eine Überschreitung bedeuten, die dem Gericht quasi das Gewicht eines Gesetzgebers verleihe. Der Fall entbehre jeder Grundlage. Man müsse die Frage stellen, ob die Klägerinnen überhaupt als Opfer anzusehen seien. Acht weitere Regierungen haben sich dem Fall angeschlossen: die aus Rumänien, Lettland, Österreich, der Slowakei, Norwegen, Italien, Portugal und Irland.

Zahlreiche Klägerinnen, Unterstützende und Klimaaktivisten von Greenpeace versammelten sich am Mittwoch vor Beginn der Verhandlung vor dem Gerichtssaal.
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In der Klage machen die Seniorinnen vier Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend, darunter das Recht auf Leben. Sie berufen sich auf Studien, wonach ältere Frauen weniger als jüngere ihre Körpertemperatur regulieren können. Auch auf ein Papier der Weltgesundheitsorganisation von 2014 wird verwiesen, wonach die meisten europäischen Studien zeigen, dass Frauen ein höheres Sterberisiko bei Hitzewellen haben. In einer anderen Studie heiße es zudem, rund 30 Prozent der hitzebedingten Todesfälle in der Schweiz seien in den letzten Jahren auf den Klimawandel zurückzuführen.

Die Schweizer Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 auf null zu senken. Die Anwälte der Kläger nennen das "völlig unzureichend". Sie kritisieren vor allem das Vorhaben der Schweiz, verbriefte Emissionskürzungen im Ausland einzukaufen und sie in den nationalen Zielen zu berücksichtigen. (Reuters, 29.3.2023)