Neben gestiegenen Zinsen sind die höheren Energie- und Lebensmittelpreise Hauptgründe für finanzielle Sorgen.

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Um die 500.000 Menschen in Österreich sind überschuldet, können also ihre Schulden nicht bezahlen, schätzt die Schuldnerberatung. Nur wenigen von ihnen gelingt es, mit einem Privatkonkurs aus dem Teufelskreis auszubrechen.

Die anhaltend hohe Inflation bringt Haushalte und Unternehmen in Bedrängnis. Politik und Zentralbank versuchen dem mit Hilfszahlungen und Zinspolitik entgegenzuwirken – oft mit gemischtem Erfolg, wie beim neuen Wohnkostenzuschuss. Statt eine Mieterhöhung um 8,6 Prozent zu verhindern, bekommen Haushalte eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro. Dies könnte die Nachfrage weiter erhöhen und die Inflation befeuern, anstatt sie zu dämpfen.

Besonders kritisch ist die Inflation für Menschen mit niedrigem Einkommen. Immer öfter kommen Menschen in finanzielle Probleme, die die Situation eigentlich unter Kontrolle hatten, sagt Clemens Mitterlehner, Chef des Dachverbands ASB Schuldnerberatungen. Trotzdem gehen sich Mehrkosten von 300 Euro bei vielen nicht aus.

Großer Andrang bei Schuldnerberatung

Die größten Probleme verursachen laut Mitterlehner die höheren Zinsen und Preiserhöhungen bei Strom und Gas, Lebensmitteln und Miete. Die Jahresinflation im Verbraucherpreisindex lag 2022 bei 8,6 Prozent, doch für einkommensschwache Haushalte ist sie wahrscheinlich höher. Deren Ausgaben werden besser vom Miniwarenkorb abgebildet, meint Mitterlehner. Darin sind 60 Güter eines typischen Wocheneinkaufs enthalten, die Inflation lag hier bei 14,5 Prozent.

Wie viele Menschen durch die Inflation in die Überschuldung geraten, ist nicht bekannt. Es gibt – trotz jahrelanger Forderung seitens der Schuldnerberatungen – keine offiziellen Erhebungen zu Überschuldeten in Österreich. Die Schuldnerberatung Fonds Soziales Wien verzeichnet in den ersten beiden Monaten 2023 aber einen Anstieg der Neuanmeldungen um fast 40 Prozent. Mitterlehner schätzt die Zahl der Überschuldeten in Österreich auf 500.000, da es in Deutschland, das ungefähr die zehnfache Bevölkerung hat, fünf bis sieben Millionen Überschuldete gebe.

8.176 Privatkonkurse

Der Weg aus der Überschuldung führt über den Privatkonkurs, offiziell Schuldenregulierungsverfahren genannt. Der Schuldner macht darin einen Vorschlag für einen Zahlungsplan und eine Rückzahlungsquote. Wenn dieses Angebot von den Gläubigern angenommen wird, zahlt der Schuldner über die nächsten Jahre die vereinbarten Raten zurück.

Die Anzahl der eröffneten Privatkonkurse stieg zuletzt wieder an.
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Sonst wird ein Abschöpfungsverfahren eingeleitet, in dem das Einkommen der Schuldner bis auf das Existenzminimum gepfändet wird. In beiden Fällen erfolgt am Ende – meist nach drei bis fünf Jahren – eine Restschuldbefreiung. Voraussetzung ist, dass in dieser Zeit keine neuen Schulden gemacht werden. 2022 schafften nur 8.176 Personen den Sprung in den Privatkonkurs.

Dreijähriges Verfahren bietet bessere Perspektive

Schon seit längerem bemühen sich die Schuldnerberatungen und die Politik, mehr Überschuldete in den Privatkonkurs zu bringen. Mit einer Gesetzesnovelle 2017 wurde die Mindestrückzahlungsquote von zehn Prozent abgeschafft, 2021 wurde das Abschöpfungsverfahren von fünf auf drei Jahre reduziert. Laut Bernhard Sell von der Schuldnerberatung Wien erleichtere das die Beratungen sehr, weil man den Menschen mit dem dreijährigen Verfahren eine bessere Perspektive bieten könne.

Zudem wurde 2021 die Gesamtvollstreckung eingeführt. Wenn der Gerichtsvollzieher während eines Exekutionsverfahrens sieht, dass kein pfändbares Vermögen mehr existiert, kann das Gericht die "offenkundige Zahlungsunfähigkeit" des Schuldners feststellen. Gläubiger können dann ein sogenanntes Gesamtvollstreckungsverfahren beantragen. Das pfändbare Einkommen und Vermögen wird unter den Gläubigern aufgeteilt. Dann wird ein Exekutionsstopp verhängt, das bedeutet: keine weiteren Pfändungen.

Öffentlich einsehbar

Dadurch können erfolglose Exekutionen, die vom Schuldner bezahlt werden müssen, vermieden werden. Theoretisch könnte das Verfahren so lange dauern, bis alle Schulden abbezahlt sind, denn man wird nicht wie im Privatkonkurs von den restlichen Schulden befreit. Deshalb wird das Gesamtvollstreckungsverfahren auch als "ewiger Konkurs" bezeichnet.

"Grundsätzlich ist das kein schlechtes Instrument", meint Mitterlehner. Die "offenkundige Zahlungsfähigkeit" wird in eine Ediktsdatei eingetragen. Das könne Betroffenen einen Anstoß geben, ihre Situation zu verbessern und das Schuldenregulierungsverfahren zu beginnen. Dass die Ediktsdatei öffentlich einsehbar und online abrufbar ist, wird von den Schuldnerberatungen aber kritisch gesehen. Betroffene werden sozusagen öffentlich angeprangert, Nachbarn und Arbeitgeber könnten von den finanziellen Problemen erfahren.

Defensiv eingesetzt

Zuverlässige Auskunft bietet die Ediktsdatei bisher aber nicht. "Das Onlineregister wird von den Gerichten sehr defensiv verwendet", meint Sell. Auch wenn jemand eindeutig überschuldet ist, werde das in vielen Fällen nicht im Onlineregister eingetragen. Ein möglicher Grund für den schleppenden Start der Ediktsdatei könnte sein, dass auch die Gerichte die Maßnahme, eine Überschuldung öffentlich zu machen, nicht als zielführend erachten.

"Bisher gehen nur vier Prozent aller Privatkonkurse auf eine ‚offenkundige Zahlungsunfähigkeit‘ zurück", sagt der ASB-Chef. Man beobachte die Situation seit der Einführung und könne keine einheitliche Linie erkennen. "Einige Gerichte haben die ‚offenkundige Zahlungsunfähigkeit‘ bereits dutzendfach eingesetzt, andere noch gar nicht", ergänzt Mitterlehner. (Magdalena Frei, 29.3.2023)