Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hielt am Donnerstag eine Videoansprache im Parlament.

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Eigentlich hätte das, was Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag im österreichischen Parlament per Videoschaltung sagte, schon für sich Aufregung genug sein sollen. Von einem "totalen Krieg" Russlands gegen die Menschen in seinem Land sprach der ukrainische Präsident, die Besatzer hinterließen dort nicht nur verbrannte Erde, sondern auch Sprengfallen in Wohnhäusern und Minen, die mittlerweile auf einer Fläche doppelt so groß wie Österreich gelegt worden seien. Die Ukraine sei aber entschlossen, ihre Moral nicht zu verlieren, erklärte Selenskyj.

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Dessen Worte erreichten den Nationalrat ohnehin reichlich spät: Als einer der letzten EU-Staaten hat Österreich dem ukrainischen Präsidenten die Gelegenheit geboten, im Parlament zu sprechen. Einzig Ungarn und Bulgarien verweigern sich weiter. Und doch waren es nicht nur die Schilderungen des ukrainischen Präsidenten, die am Donnerstag im Nationalrat für Irritationen sorgten. Wie angekündigt protestierte die FPÖ gegen den Auftritt Selenskyjs im Parlament. Doch auch in den Reihen der SPÖ blieben viele Plätze leer – eine Mandatarin, die dagegen anwesend war, sprach von "Führungsversagen".

Der Auszug der Freiheitlichen.
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Nach der Begrüßung durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) klatschten die FPÖ-Abgeordneten demonstrativ nicht – als Einzige. "Das offizielle Österreich ist zwar militärisch neutral, nicht aber politisch", erklärte Sobotka, kurz bevor die Freiheitlichen zu Beginn von Selenskyjs Ansprache aus braunen Papiersackerln Tafeln mit der Aufschrift "Platz für Frieden" und "Platz für Neutralität" hervorholten, die sie vor sich auf den Pulten platzierten. Dann verließen sie geschlossen den Saal und kamen auch nicht wieder zurück, als Selenskyj über die Kriegsverbrechen Russlands in seinem Land Bericht erstattete.

Bei einer Pressekonferenz erklärte FPÖ-Chef Herbert Kickl schließlich, dass im Parlament ein Mann gesprochen habe, dem die Uno Kriegsverbrechen vorwerfe. Die FPÖ hätte auch den Saal verlassen, wenn etwa der russische Präsident im Hohen Haus aufgetreten wäre. In der Veranstaltung ortete Kickl eine "Neutralitätsverletzung". Zudem sei der Krieg in der Ukraine "nichts anderes als ein Krieg der USA und der Nato gegen Russland, der auf dem Boden der Ukraine ausgeführt wird".

Schüttere Reihen bei der SPÖ

Doch nicht nur die Freiheitlichen wollten Selenskyjs Worte nicht hören. Auch in den Reihen der SPÖ blieben mehr als die Hälfte der Plätze leer. Laut Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos sollen nur 18 von 40 Abgeordneten der SPÖ anwesend gewesen sein. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, die auch außenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist, blieb der Plenarsitzung fern, weil diese erkrankt sei, wie die SPÖ in einem Tweet wissen ließ.

Und warum nahmen zahlreiche andere rote Mandatarinnen und Mandatare nicht an der Veranstaltung teil? Dem Vernehmen nach war Selenskyjs Auftritt im roten Klub im Vorfeld äußerst umstritten. Offenbar schreckte einige Rote ab, dass dieser in anderen Parlamenten dieser Welt im Tarnanzug gesprochen und um Waffen gebeten hatte. Hinzu kommt, dass die SPÖ ein zwiespältiges Verhältnis zu Russland hat. Die Klubspitze dürfte STANDARD-Informationen zufolge die Parole ausgegeben haben, dass jede und jeder selbst entscheiden dürfe, ob sie oder er an der Veranstaltung teilnehmen möchte. Eine rote Mandatarin, die an der Veranstaltung teilgenommen hatte, bezeichnet dies im STANDARD-Gespräch als "Führungsversagen und individuelles Versagen vieler, die der Meinung waren, es ist eine gute Idee, nicht zu kommen".

"Ausdruck des Bösen"

Allzu fordernd trat Selenskyj in Wien freilich ohnehin nicht auf. Wenn die Ukraine um Hilfe bitte, bitte sie um Unterstützung dafür, Leben retten zu können, sagte der ukrainische Präsident den Abgeordneten – beziehungsweise jenen, die den Saal nicht verlassen hatten. Die Ukraine wollte nie etwas haben, das ihr nicht gehöre. Sie wünsche sich Sicherheit und Ruhe, Freiheit und Glück für ihre Kinder, in ihrem ukrainischen Haus. "Ist das zu viel verlangt?", fragte Selenskyj rhetorisch.

Besonderen Dank sprach der ukrainische Präsident den Städten Wien, Linz und Graz aus, die in ihren Krankenhäusern verletzte Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen haben, ebenso der Initiative Nachbar in Not. Er sei überzeugt, dass die Ukraine in diesem Krieg siegen werde, sagte Selenskyj. Er sei überzeugt, dass das Land seine Menschlichkeit, seine Zivilisiertheit, seine Moral und seinen Glauben daran, dass das Böse immer verlieren werde, bewahren werde. Denn gegenüber dem Bösen können man nicht neutral sein, fügte Selenskyj an.

Selenskyjs Worte ließen sich auch zahlreiche Besucherinnen und Besucher, die dessen Ansprache von der Galerie aus verfolgten, nicht entgehen. Darunter: Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der ukrainische Botschafter Wassyl Chymynez.

Auf der Regierungsbank wohnten der Veranstaltung seitens der ÖVP Außenminister Alexander Schallenberg, Wirtschaftsminister Martin Kocher und Staatssekretär Florian Tursky und von den Grünen Vizekanzler Werner Kogler, Sozialminister Johannes Rauch und Justizministerin Alma Zadić bei.

Vor dem Parlament demonstrierten dagegen an die hundert Menschen gegen die Rede Selenskyjs. Mit dabei: eine russische Fahne.

Rüge an die FPÖ

Im Anschluss an die Rede haben sich Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Fraktionen zu Wort gemeldet. Auch während dieser Debatte blieben die Abgeordneten der FPÖ dem Plenarsaal fern. Das hinderte die anderen Fraktionen aber nicht daran, die Freiheitlichen zu rügen.

Erster Redner war der ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka, der dem ukrainischen Präsidenten Respekt zollte und sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine zeigte. "Dieser Krieg ist mehr als ein regionaler Konflikt, dieser Krieg hat eine globale Dimension", sagte er. Lopatka übte auch Kritik daran, dass die FPÖ-Abgeordneten dem ukrainischen Präsidenten den Rücken gekehrt haben: "Schade, dass sie ein solches Verhalten an den Tag legen. Wirklich schade." Parteichef Herbert Kickl sei "solidarisch mit Putin (Russlands Präsident, Anm.), wir sind es mit den Menschen in der Ukraine".

Auch SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried – er trat anstelle von Rendi-Wagner ans Rednerpult – zeigte sich empört und sagte in Richtung FPÖ: "Wenn man in einem Jahr ausschließlich 30 prorussische Anträge hier einbringt, ist das weder ein Signal für Frieden noch ein Signal für Neutralität." Den Angriffskrieg Russlands verurteilte er "mit aller Schärfe".

Nach den "eindringlichen Worten" des ukrainischen Präsidenten sei es "kaum möglich, zur Tagesordnung überzugehen", sagte die Grünen-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic. Auch sie richtete scharfe Worte an die FPÖ: "Wenn hier im Hohen Haus jemand die Neutralität verrät, dann ist es die FPÖ." Die Partei entziehe sich dem demokratischen Diskurs, und "das ist eine Schande", betonte sie.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wiederum sprach Wolodymyr Selenskyj "Respekt und Dankbarkeit" aus. Und sie sagte, sich dafür zu schämen, "dass es auch hier im Hohen Haus Menschen gibt, die nicht unterscheiden können zwischen Tätern und Opfern". Wer hier auf der falschen Seite stehe, "macht sich zum Kollaborateur von diktatorischen Regimen", richtete sie den FPÖ-Abgeordneten aus. (Florian Niederndorfer, Sandra Schieder, 30.3.2023)