Österreich hat sich während der Pandemie stets als "Testweltmeister" gebrüstet. Vor allem über das Projekt "Alles gurgelt" überprüften Menschen regelmäßig, ob sie sich mit Corona infiziert hatten. Entwickelt wurde das niederschwellige Gurgelkonzept vom Wiener Unternehmen Lead Horizon, allein in Wien wurden fast 50 Millionen Tests durchgeführt. Die beiden Eigentümer haben sich mittlerweile zerstritten. Der Testerfinder hat den Mehrheitseigentümer angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Untreue sowie Urkunden- und Beweismittelfälschung, wie die "ZiB 2" recherchierte.

Ob bei der Untreue ein Schaden jenseits der Wertgrenze von 300.000 Euro in Betracht kommt, ist offen. "Das ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen", sagte Behördensprecherin Nina Bussek am Donnerstag. Wäre dem Beschuldigten an deren Ende ein angerichteter Vermögensschaden von mehr als 300.000 Euro nachzuweisen, hätte das im Fall einer Verurteilung Auswirkungen auf den Strafrahmen. Der läge dann bei einem bis zu zehn Jahren Haft. Für den Verdächtigen, der die Vorwürfe bestreitet, gilt die Unschuldsvermutung.

Im Mai 2021 haben wir die Reise eines Gurgeltests von Lead Horizon mit der Kamera begleitet.
DER STANDARD

Millionenklage am Wiener Landesgericht

Dem nicht genug: Das deutsche Unternehmen Covimedical hat am Wiener Handelsgericht gegen Lead Horizon eine Klage mit einem Streitwert von 3,3 Millionen Euro eingebracht. Der führende Anbieter von Corona-Test-Lösungen in Deutschland ging im März 2022 eine Geschäftsbeziehung mit Lead Horizon ein, um die Wiener PCR-Test-Kits an 200 Standorten in Deutschland flächendeckend auszurollen. Ein Kaufvertrag über eine Million Testkits wurde abgeschlossen, den Covimedical nun allerdings für obsolet erachtet. Beim Handelsgericht Wien ist eine Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrags anhängig. Für Lead Horizon sind die Vorwürfe gleichermaßen unberechtigt wie "unhaltbar", wie am Donnerstag betont wurde.

Aus Sicht des Unternehmens mit Sitz in Duisburg waren beziehungsweise sind die Testkits aus Wien unbrauchbar, weil die angebotene Onlinelösung für das Testen auf eine Infektion nicht zuverlässig möglich sei – die App funktioniere nicht ausreichend. Die Lead-Horizon-Geschäftsführung wies diese Vorwürfe gegenüber der APA als "an den Haaren herbeigezogen" zurück.

Zugleich wurde betont, die für Deutschland gedachte App sei eine andere als jene, die für das "Alles gurgelt" entwickelt wurde: "Die Klage von Covimedical betrifft ausschließlich den deutschen Markt und hat mit der in Wien eingesetzten Web-App für das Projekt 'Alles gurgelt' nichts gemein. Insbesondere geht es um eine vollkommen andere Web-App als diejenige, die in Österreich beim Projekt 'Alles gurgelt' verwendet wird. In Österreich wird der Testvorgang nicht durch eine künstliche Intelligenz überprüft." Insofern sei der Rechtsstreit "nicht geeignet, die Bevölkerung in Wien, die auf 'Alles Gurgelt' vertraut, zu verunsichern".

Allein in Wien wurde fast 50 Millionen Mal gegurgelt. Dass Österreich "Testweltmeister" war, kostete den Staat eine Stange Geld.
Foto: APA/LEAD Innovation Management

Lukratives Geschäft

Der Unternehmer Michael Putz holte im Sommer 2020 den Virologen Christoph Steininger als Minderheitsgesellschafter an Bord. Laut Firmenbuch hält Steininger nach wie vor rund 26 Prozent der Unternehmensanteile, ist aber operativ nicht mehr tätig. Gemeinsam brachten sie das blaue Päckchen mit der Gurgellösung auf den Markt. Ein lukratives Geschäft, und bezahlt wurden die Tests überwiegend vom Steuerzahler. Unternehmensinterne Dokumente, die dem ORF vorliegen, sprechen von über 101 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2021, knapp 70 Millionen waren es 2022 – nur für die Tests, ohne Laborleistungen, hieß es in der "ZiB 2". An Ebit blieben gut 20 Millionen Euro im Jahr 2022 beziehungsweise 4,5 Millionen Euro im Jahr 2021.

Anlassgründung

Die zentralen Elemente der Testungsmaschinerie von "Alles gurgelt" sind beziehungsweise waren das Testkit und die Software von Lead Horizon. Das Unternehmen wurde sozusagen als Anlassfirmengründung im Frühjahr 2020 aus dem Boden gestampft, um einen besseren Überblick in der Entwicklung der Pandemie zu bekommen. Die Idee für das Projekt sei von der Stadt Wien gekommen, man habe die Durchführung bewusst an Unternehmen aus der Privatwirtschaft ausgelagert, hieß es damals bei Lead Horizon. Lead Horizon bekam öffentliche Aufträge, die größtenteils aus Steuergeld bezahlt wurden.

Zusätzlich zu Lead Horizon involviert waren etwa der oberösterreichische Laborausstatter Greiner Bio One, Rewe für die Distribution, die Post für die Logistik und das Labor Lifebrain für die Laborauswertung. Lifebrain hat mittlerweile den Großteil der Stellen wieder abgebaut, aktuell sind noch rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wiener Labor beschäftigt. Zum Höchststand waren es rund 1.200.

Ermittlungen gegen Mehrheitseigentümer

Wie nun bekannt wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Dezember 2022 gegen Lead-Horizon-Mehrheitsgesellschafter Putz. Er soll Geld aus dem Unternehmen abgezogen haben, um Räume für sein zweites Unternehmen anzumieten, um sein Büro um eine Viertelmillion zu sanieren und um Rechtsberatung einzuholen, die nicht Lead Horizon zugutegekommen sein soll. Weiters soll er eine seiner anderen Firmen um mehr als 80.000 Euro beauftragt haben, obwohl die gar nicht über die notwendige Gewerbeberechtigung verfügt haben soll. Ein weiterer Vorwurf: Der Verdächtige soll ein Angebot einer Beratungsfirma verändert haben, hier werde wegen Urkunden- und Beweismittelfälschung ermittelt. Für den STANDARD war bisher noch niemand zu erreichen.

Für Aufregung sorgt außerdem der Fuhrpark von Lead Horizon. Teure Autos wie ein Audi e-Tron, Porsche Taycan oder Tesla Model 3 und andere Modelle seien um eine halbe Million Euro für die siebenköpfige Führungscrew angeschafft worden. Abseits der strafrechtlichen Ermittlungen würden Unterlagen zeigen, dass es auch Debatten über die Sicherheit der Tests gegeben habe. So soll aus Kostengründen eine hochwertige Pufferlösung mit Jahreswechsel durch eine einfachere Kochsalzlösung ausgetauscht worden sein. Virologe Steininger habe demnach Qualitätsverluste bei den Tests befürchtet. Gewechselt wurde trotzdem.

ORF

Lead Horizon und die Stadt Wien sahen keine Einbußen bei der Genauigkeit der Auswertungen. Mittlerweile beschäftigt die Causa auch das Gesundheitsministerium. Als Steininger das Unternehmen verließ, soll Putz auch dessen Sicherheitsagenden übernommen haben, obwohl er weder Virologe noch Arzt oder Pharmakologe ist. Allerdings schreibe das Medizinproduktegesetz vor, dass diese Funktion nur eine Person "mit der zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Sachkenntnis und Zuverlässigkeit" ausüben dürfe. Deswegen leitet laut ORF-Recherchen das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen ein Ermittlungsverfahren ein.

Hohe Kosten

Das Test-Unterfangen kostete den Staat jedenfalls eine ordentliche Summe Geld. Rund 4,8 Milliarden Euro hat der Staat bis Ende Februar 2023 für Covid-19-Testungen ausgegeben, DER STANDARD hat berichtet. Darunter fielen behördliche Testungen, Apothekentests, Wohnzimmer-Antigentests, Teststraßen und eben das Wiener Programm "Alles gurgelt". Stand Mitte März wird täglich noch rund 15.000-mal gegurgelt. (rebu, and, 30.3.2023)